Als 13-Jähriger wollte Thomas Witzke nach Frankreich abhauen, um Picasso kennenzulernen. Heute sieht er sieht sich als Maler, wobei seine Palette weit mehr umfasst. Seit Kurzem lebt Witzke in Plieningen.

Plieningen - Das Grün ist überwältigend. Der Boden der Eingangshalle in der Stuttgarter Staatsgalerie springt dem Betrachter förmlich entgegen. In den Fensterscheiben zum Innenhof spiegelt sich die Farbe nicht nur, sondern scheint noch verstärkt auf. Auf diese Weise stellt der Plieninger Künstler Thomas Witzke das Markenzeichen des Stirling-Baus, das dominierende Grün des Foyers, in den Mittelpunkt seiner Arbeit. Bei seinen am Computer erstellten Vektorzeichnungen wird das Museum selbst zur Kunst.

 

Thomas Witzke ist erst seit wenigen Wochen Plieninger Bürger. Er ist mit Sabine Witzke verheiratet, die für ihr Amt als neue Leiterin des Paracelsus-Gymnasiums von Ulm nach Stuttgart gewechselt ist. Für den freischaffenden Künstler ist ein Umzug kein Problem, doch Wohnung und Atelier im Loft einer ehemaligen Ulmer Turmuhrenfabrik sollen vorerst beibehalten werden.

Ortswechsel sind für den 1961 in Heidenheim geborenen Künstler von klein auf eine Selbstverständlichkeit. Die ersten fünf Jahre verbrachte er mit den Eltern und einer Schwester im australischen Brisbane. Während der Vater dort noch nach Gold und Opalen suchte, siedelte die Mutter nach München über. Es sollte die eigentliche Heimatstadt werden, auch wenn Thomas Witzke das Abitur in Giengen gemacht hat. In der bayerischen Landeshauptstadt hat er Kunstgeschichte und Ethnologie studiert. Abgesehen von einer kurzen Phase, in der er den Beruf eines Haifischjägers ergreifen wollte, war für den zeichnerisch begabten Jungen die Laufbahn eines Künstlers schon früh klar. Als 13-Jähriger wollte er nach Frankreich abhauen, um Picasso kennenzulernen, mit dessen Kunst ihn sein Großvater vertraut gemacht hatte. Der war ein Hobbymaler, der gelegentlich seine Arbeiten in klingende Münze umwandelte, um das Geld in der Spielbank von Lindau zu verzocken.

Kunst am Bau

„Die Spielleidenschaft habe ich nicht geerbt, aber die Begeisterung für Kunst“, sagt Witzke. Vom Vater, einem Industrieschlosser, habe er allerdings auch das Talent zum Schreiben geerbt, und so verdient er sein Brot nebenbei mit dem Schreiben von Artikeln in Kunstzeitschriften und von Texten für Künstlerkollegen.

Thomas Witzke empfindet sich als Maler, auch wenn die Palette seiner Techniken sehr viel mehr umfasst: Er hat angefangen mit klassischer Malerei, er hat Rauminstallationen gemacht, und schon als Student bekam er erste Aufträge für Kunst am Bau. Nebenbei ließ er sich zum Kunsttherapeuten und zum Mediendesigner ausbilden. Die Fotografie nahm er hinzu, um seine Arbeiten zu dokumentieren. Zurzeit steht eher die Arbeit am Computer im Mittelpunkt. „Diese Vektorzeichnungen sind sehr aufwendig, an einer arbeite ich zwei bis drei Monate“, berichtet Witzke.

Die Computergrafik, die aus Linien oder Kreisen zusammengesetzt ist, wird vor allem von Mediendesignern bei der Erstellung von Logos oder von Comiczeichnern benutzt. Thomas Witzke ist seines Wissens der Erste, der diese Technik künstlerisch einsetzt, bei der unzählige Linien in verschiedenen Abstufungen geschaffen werden, bei denen auch die Farbe, die Strichstärke, verschiedene Füllmuster als Daten eingegeben werden. Das Ergebnis sieht auf den ersten Blick aus wie eine Fotografie. „Das ist hyperrealistisch und immer gleich scharf. Das kriegen Sie mit der Kamera gar nicht hin“, erklärt Witzke.

Museum als künstlerischer Inhalt

Zugleich haben die Bilder etwas Künstliches. Es beginnt allerdings mit einem Foto: Für seinen Bildzyklus „l’art pour l’art“, den Bildern von Kunstmuseen und Künstlerateliers, fotografierte er die Räume, um sie anschließend ohne Gemälde an der Wand und ohne Besucher neu abzubilden. Das ist vergleichbar mit den Arbeiten des Künstlers Thomas Demand, der Räume aus Papier nachbaut, sie fotografiert und die Betrachter so vollkommen durcheinander bringt; oder mit Robert Longos nach Fotos gearbeiteten Kohlezeichnungen.

Thomas Witzkes Computer-Zeichnungen werden auf Fotopapier belichtet und mit einem speziellen Museumsglas verklebt, das nicht spiegelt. Die Motive für seine meist 120 mal 180 Zentimeter großen Bilder sind vorwiegend Ausstellungsräume. „Es geht darum, das Museum zum künstlerischen Inhalt zu machen“, erklärt Witzke. „Es ist ein Bekenntnis zur Kultur des Museums an sich.“ Neben der Stuttgarter Staatsgalerie mit ihrem charakteristischen Grün und ihrem markanten Noppenboden, der an Legosteine erinnert, gibt es eine Reihe von Lieblingsmuseen, deren Farben ihn in ihrer Klarheit faszinieren. Da ist zum Beispiel die Neue Pinakothek in München mit ihren leuchtend roten Wänden und weißen Türrahmen.

Zyklus auch in Kaunus

Oder das Münchner Lenbachhaus, in dessen Neubau sich alte und neue Architektur so wunderbar ergänzen. Oder das Kunstmuseum Heidenheim, ein ehemaliges Jugendstilbad, dessen Treppenhaus in der Vektorzeichnung zu einem überirdisch schönen Raum wird. Vom 1. Juli bis zum 11. September wird „l’art pour l’art“ dort ausgestellt. Auch im litauischen Kaunas, wo Witzke in diesem Jahr Artist in Residence war, wird der Zyklus zu sehen sein.

Doch der Künstler würde gerne noch weitergehen: Er möchte seine Bilder in dem jeweiligen Raum zeigen, den sie darstellen. Dies wiederum mit einer Fotografie dokumentieren – und so den Kreislauf von Foto über Vektorzeichnung und Abbildung an der Wand zur Fotografie schließen.