Wolken am Beziehungshimmel: Die Debatten um Flughafenlärm und Steuerabkommen haben das Verhältnis zwischen Deutschen und Schweizern gestört. Jetzt sprechen beide Partner klare Worte.

Zürich - Im deutsch-schweizerischen Zusammenleben knirscht es. Das Steuerabkommen ist gescheitert und der Konflikt über die Lärmbelastung durch den Züricher Flughafen findet kein Ende. Eine Redakteurin des Zürcher „Tages-Anzeigers“ und unser Korrespondent erklären in beiden Blättern, was Deutsche und Schweizer voneinander halten und warum sie so schwer zusammenkommen.

 

Liebe Deutsche,

Wenn ich in Deutschland bin – und das bin ich oft, denn ich habe verwandtschaftliche Beziehungen in euer Land –, dann stelle ich immer wieder fest, wie unterschiedlich wir sind. Manchmal ertappe ich mich beim Gedanken: „Das gäbe es in der Schweiz nicht.“ Zum Beispiel, wenn ich ein Schreiben deutscher Behörden erhalte, das so bürokratisch formuliert ist, dass ich keinen Schimmer habe, worum es geht.

Wir sprechen wohl dieselbe Sprache, aber wir reden anders. Wir packen Dinge anders an. Wir haben ein anderes Bezugssystem. Sogar unsere Meereshöhe ist eine andere: Sie liegt 27 Zentimeter tiefer als eure. Was beim Bau der Hochrheinbrücke 2003 prompt zu Problemen führte. Denn die Ingenieure korrigierten den Unterschied in die falsche Richtung. Und so bauten die Schweizer ihren Brückenkopf 54 Zentimeter weiter unten als die Deutschen.

Unser unterschiedliches Bezugssystem steht uns im Weg

Die Brückengeschichte ist irgendwie symptomatisch für unser Verhältnis. Immer wieder versuchen Schweizer und Deutsche, ihre Differenzen zu überbrücken – und immer wieder steht uns unser unterschiedliches Bezugssystem im Weg. Auch im Streit über die Anflugrouten.

Nur schon, dass unser Land klein ist und eures groß, färbt ab. Wir haben ein ganz anderes Distanzempfinden. Für jeden Deutschen ist klar, dass die Schweizer ihren Flughafen direkt an die Grenze gebaut haben. Schließlich sind es nur elf Kilometer Luftlinie von der Grenze bis zur Pistenschwelle.

Schweizer sehen das völlig anders. Zehn Kilometer, das ist für uns nicht nah, geschweige denn „direkt daneben“. Aus Zürcher Sicht kommt noch etwas anderes dazu: dass zwischen den Flughafengebäuden in Kloten und der Grenze zu Deutschland das Zürcher Unterland liegt. Das ist für die meisten Zürcher eine Art Niemandsland, wilder, dünn besiedelter Norden. Es würde keinen wundern, zögen dort Büffelherden durchs Grasland. Und Deutschland liegt jenseits dieser weiten Ödnis.

Deutschland ist ja sowieso weit weg

So weit weg vom Flughafen kann aus unserer Sicht der Fluglärm gar nicht laut sein. Jedenfalls nicht lauter als an der Goldküste am Zürichsee, dort, wo die Reichen wohnen. Dass Deutschland jenseits einer Landesgrenze liegt und ein souveräner Staat ist, wollen wir lieber nicht wissen. Die dort sind ja sowieso weit weg.

Zugegeben, wenn es darum geht, ein paar Fränkli zu sparen, ist Südbaden plötzlich wieder ganz nah. Aber, liebe Deutsche, als passionierte Schnäppchenjäger versteht ihr das doch sicher!? Dass wir eure Parkplätze belegen und eure Straßen verstopfen, betrachten wir als Nebeneffekt, den es in Kauf zu nehmen gilt, schließlich bringen wir dafür unser gutes Geld in eine wirtschaftlich minderbemittelte Gegend. So jedenfalls rechtfertigen wir unser Tun uns selbst gegenüber. Damit beruhigen wir unser schlechtes Gewissen darüber, dass wir nicht in unseren eigenen Läden einkaufen. Man berechnet uns ja gerne einen höheren Preis, weil man uns für reich und erfolgreich hält. Das sind wir ja auch. Aber wir neigen dazu, uns deswegen für einzigartig zu halten.

Wir waren wie Hobbits: Zufrieden und satt

Lange sind wir gut gefahren mit unserem Glauben an unsere Einzigartigkeit. Vermeintlich auf niemanden angewiesen, zogen wir unser Ding durch. Was uns nie aufgefallen ist: dass das den Mächtigen dieser Welt ganz gut ins Konzept passte. Unser Land war wie das Auenland in „Herr der Ringe“: idyllisch, gut genährt, stabil, eigenbrötlerisch – und deshalb unauffällig bis zur Unsichtbarkeit. Ein idealer Ort für andere, um ihre Schätze zu verstecken.

Und wir waren wie Hobbits. Zufrieden und satt. Was jenseits unserer Grenzen passierte, kümmerte uns nicht. Keiner hatte an uns herumzumäkeln.

In den letzten Jahren hat unser Selbstbild freilich Risse bekommen. Der Fluglärmstreit, aber auch der Streit über unversteuerte Vermögen hat uns erahnen lassen, dass wir nicht halb so eigenständig sind, wie wir immer glaubten. Wenn es die Mächtigen wollen, müssen wir nachgeben. Aber wahrhaben wollen wir das nicht. Noch nicht. Wenigstens wollen wir eure ungeteilte Aufmerksamkeit. Aber nicht einmal die bekommen wir. Dafür sind wir zu unwichtig. Was für ein Schlag für unser Selbstbewusstsein.

Wenn beide unzufrieden sind, dann passt’s

Noch schlimmer aber ist: wenn wir eure Aufmerksamkeit bekommen, dann fühlen wir uns überfahren. Ihr könnt besser und schneller reden als die Großmäuler der Schweiz. Eure Politiker machen alles ruck, zuck, zack, zack, während bei uns jedes Geschäftchen endlos hin- und herdiskutiert wird. Das ist wohl mit ein Grund, warum wir das Gefühl haben, Deutschland habe uns mit dem Staatsvertrag übers Ohr gehauen. Dass Deutschland genau das gleiche Gefühl hat, müsste uns konsensgeübten Schweizern eigentlich eine Entwarnung sein: Wenn beide unzufrieden sind, dann passt’s.

In der Schweiz jedenfalls ist das so. Nur, mit Ausländern weiß man ja nie so genau.

Herzlich,Lilane Minor



Liliane Minor (42) ist Redaktorin beim Züricher „Tages-Anzeiger“ im Ressort Zürich und Region. Ihr Schwerpunkt ist unter anderem der Flughafen.

Liebe Schweizer, ...

Wenn ich Euch schon mal so ganz direkt ansprechen darf, muss ich eins gleich loswerden: Ihr seid immer gleich beleidigt. Jetzt sagt nicht, dass das nicht stimmt. Es ist so. Einer muss das Euch mal sagen.Und es nervt. Denn es ist total unnötig. Vor allem, wenn etwas aus Deutschland tönt, wie es bei Euch so schön heißt, kommt als Echo immer Euer Beleidigtsein zurück. Sagt man irgendetwas halbwegs Kritisches zum Bankgeheimnis und zu den nicht gezahlten Steuern, zum Flughafen Zürich, den veralteten Atomkraftwerken entlang der deutschen Grenze oder den Plänen für ein Atomendlager – immer seid Ihr gleich auf der Palme. Warum bloß? Habt Ihr so wenig Selbstbewusstsein?

Ich kapiere das nicht, denn ich mag Euch. Als Alemanne verstehe ich Euch sogar. Wenigstens Euch Deutschschweizer. Nicht nur die Sprache, auch Eure charmant behäbige, rechtschaffene Mentalität. Nur wenige Kilometer von der Grenze aufgewachsen, habe ich mir schon als Kind in Eurem Fernsehen regelmäßig den „Samschtig-Jass“ angesehen – Menschen spielen Karten, und die Nation guckt zu, irre! Ich habe die Regeln nie verstanden und die Sendung schon lange nicht mehr gesehen, lese aber beglückt, dass Euer erstes Programm an dieser Veranstaltung festhält. Das stimmt mich dankbar nostalgisch, so etwas wäre im quotenfiebrigen deutschen Fernsehen undenkbar.

Der Schweizer ist wie sein Uhrwerk: Immer akkurat

Bleibt so, Schweizer! Das möchte ich Euch zurufen. So sperrig, verschroben und eigenbrötlerisch, wie Ihr als Bergvolk nun einmal seid. Oder wie Ihr es wohl einmal wart, bevor Ihr vor 150 Jahren angefangen habt, Euren Alpen- zu einem Industriestaat umzubauen. Heute bedient auf der Alm die Tamilin in bestem Schwyzerdütsch. Ihr habt den Wandel geschafft. Der war nur mit offenen Türen möglich. Ein Viertel der Schweizer sind heute ausländischer Herkunft. Das ist schon was.

So klein Ihr seid, steht Ihr doch mit Euren Maschinenbau- und Lebensmittelkonzernen global an der Spitze. Darauf dürft Ihr stolz sein. Wie auch auf so manches andere. Eure Effizienz, Präzision und Sauberkeit sind bewundernswert. Der Schweizer arbeitet wie seine Uhrwerke. Nie zu schnell, nie zu langsam. Immer akkurat. Eure Bahn, die hohe Berge zu überwinden hat, kommt stets pünktlich. Ihr lebt in einer Landschaft, die aussieht wie frisch gelüftet, gewaschen und gefegt. Und Ihr sorgt dafür, dass das auch so bleibt.

Es ist ein weiter Weg vom Alm-Öhi zum Investmentbanker

Unschlagbar seid Ihr aber auch als Lagerstätte und Umschlagplatz für Geld. Zürich, das ist Eure ungeliebte Hauptstadt des globalen Kapitalismus und noch immer eines der verschwiegensten Finanzzentren der Welt. Das ist der große Widerspruch: Eure Geldhäuser drehen das große Rad mit, aber politisch und geografisch bleibt die Schweiz ein kleines Land, eingekeilt in der Mitte Europas. Einerseits die Hybris und andererseits das Minderwertigkeitsgefühl, doch nur ein kleines Rädchen in den großen Zeitläuften zu sein. Das ist gewiss kein schönes Gefühl. Es ist eben ein weiter Weg vom Alm-Öhi zum Investmentbanker, und das in kaum einem Jahrhundert.

Gerade wir Deutschen, die wir zwei Weltenbrände entfacht haben, wissen um diese Diskrepanz, von wirtschaftlichen Groß- und politischer Ohnmacht besser, als Ihr es vielleicht glaubt. Der große, ungeliebte Bruder Deutschland kommt Euch zu laut, zu schrill und zu bestimmend daher. Auch wenn Ihr es nicht glauben mögt: Wir leiden auch daran. Viele bei uns sind nicht damit einverstanden, dass wir uns wieder überall einmischen und alles bestimmen wollen.

Bei Verhandlungen mit der Schweiß beißt man auf Granit

Wenn wir Euch aber mit einigem Recht sagen, dass Kloten Euer Flughafen ist und Ihr nicht noch mehr Fluglärm auf uns abwälzen könnt, dann seid Ihr eingeschnappt. Stellt Euch einmal vor, dieser Flughafen stünde auf deutscher Seite. Wie viel Anflüge würdet Ihr Zürich und seiner Goldküste zumuten? Auch 100 000? Wohl kaum. Ich vermute: keinen einzigen. Denn man kann eben wunderbar mit Euch plauschen, doch bei Verhandlungen beißt man auf Granit. Nicht nur unser Verkehrsminister scheint das nicht verstanden zu haben.

Ihr werdet das nicht gerne hören, doch Ihr Schweizer seid Rosinenpicker. Ihr nehmt Euch heraus, was Euch gerade passt. Ist Euer nationales Ego angekratzt – wie bei den deutschen Verordnungen gegen Fluglärm –, dann ist Euch Europa ganz recht. Da klagt Ihr dann auch vor dem Europäischen Gerichtshof.

Aber nicht alle Deutschen poltern los wie der hanseatische SPD-Kanzlerkandidat, der Euch – ein wahrer Gessler! – die Kavallerie schicken und die Peitsche spüren lassen will, falls Ihr nicht spurt. Als ob Ihr unser 17. Bundesland wärt. Dieser schnoddrige Befehlston passt vielen bei uns nicht. Uns Schwaben schon gar nicht, die wir uns Euch wesensverwandt fühlen. Ihr seht, auch hier greift das Nationalepos „Wilhelm Tell“, das aber – oh je! – mit Friedrich Schiller ein Schwabe gedichtet hat.

Herzlichst,Wolfgang Messner

Wolfgang Messnerprivat Wolfgang Messner
(48) ist seit zehn Jahren StZ-Korrespondent für Bodensee/Oberschwaben. Seitdem schreibt er über den Flughafen Zürich.

Fluglärmstreit und kein Ende

Airport Der 1948 eröffnete Zürich-Kloten ist der größte schweizerische Flughafen. Er liegt 15 Kilometer südlich der Grenze zu Deutschland und 13 Kilometer entfernt von der Innenstadt von Zürich. Er wird von der börsennotierten Flughafen Zürich AG betrieben. Der Airport ist als internationales Drehkreuz (Hub) ausgelegt. Im Jahr 2009 wurde er in einer Umfrage von mehr als acht Millionen Reisenden zum besten Flughafen Europas gewählt; weltweit landete er auf dem vierten Platz.

Lärm Seit den sechziger Jahren nimmt der Fluglärm zu. Entsprechend kam es zu immer stärkeren Protesten gegen die Belästigung sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland. Als Folge der Proteste und einiger Gerichtsverfahren trafen beide Länder 1984 eine lose Verwaltungsvereinbarung zum grenzüberschreitenden Flugverkehr. Erst als dieser weitgehend wirkungslose Vertrag gekündigt wurde, kam das Thema auf höchster politischer Ebene an.

Verträge Bereits im Jahr 2001 unterschrieben die Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz einen Staatsvertrag, der aber nach einigem Widerstand auf beiden Seiten nicht ratifiziert wurde. Deutschland erließ in der Folge einseitige Verordnungen zu Mindestflughöhen, Flugrouten und Sperrzeiten. Diese Verordnungen wiederum riefen in der Schweiz heftigen Unmut hervor, weil erstmals auch der reiche Süden am Zürichsee von Fluglärm betroffen war. Im Juli 2012 handelten die Schweizer Verkehrsministerin Doris Leuthard und ihr deutscher Kollege Peter Ramsauer (CSU) erneut einen Staatsvertrag aus und unterzeichneten ihn im September dieses Jahres.

Widerstand Gegen das neue Vertragswerk gibt es erneut Gegenwehr. Die baden-württembergischen Bundestagsabgeordneten von CDU, SPD und FDP wollen den Vertrag nicht unterschreiben. Bundesverkehrsminister Ramsauer will am kommenden Montag die kritischen Abgeordneten und die südbadischen Landräte mit einer überarbeiteten Auslegung des Vertrages überzeugen. Die Kritiker monieren, dass die Denkschrift keinerlei rechtsverbindlichen Charakter hat.