Im Film "Die anonymen Romantiker" wollen sich zwei überaus sensible Menschen näherkommen - eine sanft-romantische und ironische Komödie.  

Stuttgart - Nein, die junge Frau mit dem hellgrünen Mantel und dem roten Schal ist diesmal nicht in Ohnmacht gefallen, sie hat ihre Panikgefühle zurückgedrängt, sie sitzt jetzt also tatsächlich im Büro einer kleinen Schokoladenmanufaktur beim Vorstellungsgespräch. Der sehr altmodisch-korrekt gewandete Chef allerdings bringt kaum einen Ton heraus, hockt mit angespannter Miene da wie festgedübelt, starrt konzentriert an ihr und auch am klingelnden Telefon vorbei. Angélique (Isabelle Carré) und Jean-René (Benoit Poelvoorde) heißen die beiden, und natürlich ahnen wir, dass sie sich doch noch näherkommen werden.

 

Aber was ist mit ihnen eigentlich los? Nun, sie gehören zur Gruppe der "Hochsensiblen Persönlichkeiten" (HSP), die in den neunziger Jahren erstmals unter diesem Begriff zusammengefasst und beschrieben wurden. "Es ist bzw. wäre mir wichtig, mein Leben so einzurichten, dass ich aufregende oder überfordernde Situationen (Überstimulation) vermeiden kann", so lautet ein Testsatz in einem HSP-Internet-Forum. Hochsensible Persönlichkeiten werden nämlich durch das Ausmaß ihrer Gefühle so verunsichert, dass sie extrem schüchtern wirken.

Ein nostalgisches Kinoreservat

Im Film suchen Angélique und Jean-René aber nicht Rat im Internet. Sie geht zu einer Selbsthilfegruppe, er sucht Rat bei einem Psychotherapeuten, der ihm kleine Aufgaben mitgibt. Diesmal soll es eine Verabredung zum Abendessen sein! So sitzen sie sich im Restaurant gegenüber, beide verliebt, aber gleichzeitig auch so peinlich berührt von ihren Gefühlen, dass Jean-René gar nicht bemerkt, wie still Angélique ist, und sie nicht mitbekommt, dass er schon das dritte durchgeschwitzte Hemd auf der Toilette heimlich durch ein frisches ersetzt hat.

Wir Zuschauer aber können uns entspannt zurücklehnen und genießen. Denn der Film setzt seine Protagonisten nicht allzu sehr der Realität aus, er bietet ihnen lieber einen Rückzugsraum, in dem die von Handy und Computer weitgehend verschonte Zeit es nicht so eilig hat, ja, er kreiert ein nostalgisches Kinoreservat, in dem rote Ziegelsteine leuchten und dunkles Edelholz schimmert. Dass Angélique sich mal mit dem Song "I have Confidence!" aus "The Sound of Music" Mut ansingt, dass der Film also eine Sequenz lang ins Musical ausbricht, überrascht deshalb nur wenig.

Ein Schokoladenfilm, aber nicht zu klebrig

"Darf ich Sie küssen?", lautet am Ende die Frage. "Famose Idee!" die Antwort. Diese sanft-romantische und ironisch von Musik umspülte Komödie strebt sozusagen das Glück im Winkel an, ihre kauzig-charmanten Charaktere lugen hinein ins Biedermeierlich-Spitzweghafte. Außerdem ist dies ein Schokoladenfilm, eine gewisse Süße ist in diesem Genre sogar Pflicht! Der Regisseur Jean-Pierre Améris achtet allerdings streng darauf, dass es nicht allzu klebrig wird. Er gehört übrigens selber zu den "Hochsensiblen Persönlichkeiten", sein Film ist daher wohl auch eine Art Selbsttherapie. Und das Kino, sagt Améris, habe ihn schon als Kind gerettet: "Ich empfand große Gefühle, ohne mir Sorgen darum zu machen, ob mich jemand beobachtet."

Die anonymen Romantiker. Frankreich, Belgien. Regie: Jean-Pierre Améris. Mit Isabelle Carré; Benoit Poelvoorde. 78 Minuten. Ohne Altersbegrenzung. Atelier am Bollwerk