Experten sehen in Industrie 4.0, also der künftigen vernetzten Produktionswelt, eine Chance für Europa. Neue Arbeitsplätze entstehen aber nicht für jeden.

Stuttgart - Beim Stichwort Industrie 4.0 gerät auch der eher zurückhaltende Bosch-Chef Volkmar Denner ins Schwärmen. „Maßgeschneidert, aber bezahlbar“, hat er einmal gesagt. Und: „Deutschland hat eine historische Chance, seine Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.“ Für Experten ist Industrie 4.0 nicht weniger als die vierte industrielle Revolution – nach der Einführung des mechanischen Webstuhls dank der Wasser- und Dampfkraft, der Einführung des Fließbands sowie dem Einsatz von Computer und Elektronik in der Produktion. Nun also steht die vernetzte Produktion an. Experten sind sich einig, dass Deutschland und auch Europa gute Chancen hat, aber der Bosch-Chef mahnt zur Eile. Auch Länder wie die USA, China und Südkorea arbeiten intensiv am vernetzten Zeitalter. Auch um das Tempo zu erhöhen, hat sich in Deutschland die Plattform Industrie 4.0 gebildet. Die Industrieverbände VDMA (Maschinen- und Anlagenbau), Bitkom (IT und Telekommunikation) und der ZVEI (Elektrotechnik, Elektronik) sind mit von der Partie. Neben Bosch machen Konzerne wie ABB, Telekom, Festo, Infineon, IBM, HP, Siemens, Trumpf, SAP und Thyssen-Krupp mit. Auch Baden-Württemberg hat den Startschuss für die „Allianz Industrie 4.0“ bereits gegeben. In der vernetzten Welt reicht Branchenwissen allein nämlich nicht mehr. Alles wird benötigt – IT, Software, Datenleitungen, Elektronik, Sensorik und natürlich das spezifische Branchenwissen.

 

Westeuropa und auch Deutschland sind in den vergangenen Jahren industriell unter Druck geraten. Vor allem an aufstrebende asiatische und afrikanische Länder haben die Europäer Marktanteile verloren. Das ging auch zu Lasten von Arbeitsplätzen – so hat Großbritannien in den vergangenen 20 Jahren 29 Prozent seiner Industriearbeitsplätze eingebüßt, Frankreich 20 Prozent und Deutschland acht Prozent, hat die Unternehmensberatung Roland Berger errechnet. Dank Industrie 4.0 werden angeblich selbst Kleinstserien zu (geringen) Kosten wie bei der Massenproduktion hergestellt. Experten sehen die Chance, dass Industriezweige, die wegen hoher Lohnkosten verlagert wurden, zurückkommen können.

Die Unternehmensberatung Boston Consulting hat die Auswirkungen durch Industrie 4.0 in Zahlen gefasst. Demnach entstehen bis 2025 durch Industrie 4.0 rund 390 000 Arbeitsplätze. Verlierer dabei sind die Un- und Angelernten. Einfache manuelle Tätigkeiten werden weniger gefragt, steht in der Studie. Das Bruttoinlandsprodukt werde um 30 Milliarden Euro steigen. Allerdings: kostenlos gibt es all das nicht; die Unternehmensberatung hat einen zusätzlichen Investitionsbedarf von 250 Milliarden Euro in den kommenden zehn Jahren errechnet – in Ausrüstung, Maschinen und in Infrastruktur.

Mittelständler fühlen sich angesichts solcher Summen womöglich überfordert. Viele halten sich bei Industrie 4.0 zurück. Eine aktuelle Umfrage des Bitkom unter mittelständischen Führungskräften aus der Autoindustrie, dem Maschinenbau, der chemischen Industrie und der Elektroindustrie hat ergeben, dass rund ein Drittel bisher nichts über Industrie 4.0 gehört hat.

Sputen sollte sich auch die Politik, denn Industrie 4.0 braucht flächendeckend Breitbandnetze. Zwar hat sich die Zahl der unversorgten Gebiete in Baden-Württemberg in den vergangenen zwei Jahren reduziert, aber 2014 waren immerhin noch 200 Ortsteile im Südwesten komplett vom globalen Datennetz abgehängt, zeigt eine Untersuchung. Lediglich 68 Prozent der Haushalte bewegen sich dagegen flott – mit mehr als 50 Megabit pro Sekunde – durchs Datennetz. Und nicht gelöst ist auch das wichtige Thema der Datensicherheit.