Viele Drehbuchautoren fordern angesichts neuer Konkurrenz für die Fernsehsender ARD und ZDF mehr Mut und Risiko bei der Serienentwicklung. Außerdem wollen die Autoren mehr Geld.

Stuttgart - Es ist beinahe paradox: Allüberall wird geklagt, für Filme und Serien stünde zunehmend weniger Geld zur Verfügung; und trotzdem sind kaum Qualitätseinbußen festzustellen. ARD und ZDF trauen sich dank des Erfolgs von „Weissensee“ sogar immer öfter an Fortsetzungsgeschichten. Im fiktionalen Bereich sind die beiden öffentlich-rechtlichen Systeme mittlerweile ohnehin fast konkurrenzlos. RTL und Sat 1 probieren sich zwar gelegentlich an neuen Serien, aber die Erfolge sind überschaubar; Sat 1 hat die neue Vorabendproduktion „Mila“ kürzlich sogar zur kleinen Senderschwester Sixx abgeschoben. Im Ersten und im Zweiten erfreuen sich die Seriensendeplätze dagegen großen Zuspruchs. Die Fernsehfilme wiederum sind fast immer sehenswert und oft sogar herausragend.

 

Ausgerechnet jetzt jedoch schlägt der Verband Deutscher Drehbuchautoren Alarm. Neue Markteilnehmer wie Netflix und Amazon brächten ARD und ZDF mit ihren hochwertigen internationalen TV-Serien in Bedrängnis, heißt es in einem Papier des VDD: „weil sie neue Erzählformen anbieten und neue Geschichten. Und weil sie ein Manko sichtbar machen: Die fiktionale Produktion in Deutschland befindet sich viel zu lange schon in einem Stadium der Saturiertheit. Auch auf hohem Niveau kann es langweilig werden.“

Der Verband fordert daher „mehr Mut und Risiko insbesondere in der Serienentwicklung.“ Sebastian Andrae, Drehbuchautor und geschäftsführender Vorstand des VDD, verweist im Gespräch auf das thematische Spektrum neuer amerikanischer Drama- und Comedy-Serien, die mutig Außenseiter-Themen aufgriffen: „Man hält bewundernd die Luft an über diese Bandbreite und Qualität, über das Selbstverständnis von Fernsehmachern, die die gesellschaftliche Diskussion mitbestimmen.“ Der Autor stellt in Richtung ARD und ZDF die Frage, warum sich Deutschland „als einer der größten und reichsten Fernsehmärkte der Welt nicht mehr erzählerische Innovation leistet.“ Die Antwort gibt er gleich selbst: „Horizontal erzählte, ambitionierte Serien bedeuten einen größeren Entwicklungsaufwand, mehr Vertrauen in die Autoren und ihre kreative Kraft, das heißt auch Abgabe oder besser Übergabe von Verantwortung durch die Entscheider in den Redaktionen.“ Der Stellenwert der eigentlichen Erzähler, der Autoren, müsse daher dringend stärker gefördert werden, um in den nächsten Jahren Zuschauer zu begeistern und zu binden.

Standardgeschichten in Bergkolorit

Um dieses Ziel zu erreichen, ist der VDD offenbar auch bereit, übers Ziel hinauszuschießen. In einer Pressemitteilung wird der Status quo folgendermaßen beschrieben: „Serienproduktionen orientieren sich zumeist am gängigen Zuschauergeschmack. Pfarrer, Ordensschwestern, Ärzte und Ermittler bevölkern die Programme, Gewalt- und Schmunzel-Krimis, Schmonzetten, Standardgeschichten in See- oder Bergkolorit bilden den Durchschnitt der Formate.“ Kein Wunder, dass sich bei ARD und ZDF Begeisterung und Verständnis für das VDD-Papier in Grenzen halten, selbst wenn Reinhold Elschot und Gebhard Henke, zwei der wichtigsten deutschen Fernsehfilmchefs, zunächst beinahe gleichlautend ihre Wertschätzung der Autoren erklären. „Ohne gute Autoren läuft gar nichts“, versichert Henke. Daher versteht der Leiter des WDR-Programmbereichs Fernsehfilm, Kino und Serie auch nicht, weshalb der VDD fordert, die Autoren sollten „endlich wieder zum Motor für die Entwicklung neuer Programme werden“, denn das seien sie doch schon: „Der WDR ist mit vielen Autorinnen und Autoren regelmäßig und intensiv im Gespräch. Wie würden sonst unsere Filme entstehen können?“

Auch Elschot betont, Autorinnen und Autoren seien „unser wichtigstes und hoch geschätztes Gut“, schließlich „haben wir in Deutschland auch dank ihrer Arbeit ein exzellentes öffentlich-rechtliches Erzählfernsehen.“ Aber dann wird der ZDF-Fernsehfilmchef deutlich: „Wenn ich freilich den ewig gleichen und abgenutzten Vorwurf der mangelnden Risikobereitschaft und des fehlenden Muts höre, bin ich mir nicht ganz sicher, ob der VDD wirklich fernsieht“; sonst hätte der Verband zum Beispiel die Serie „Blochin“ wahrgenommen, mit dem das ZDF „inhaltlich, erzählerisch und formal“ neue Wege gegangen sei.

Aus Sicht der Sender besteht ohnehin kein unmittelbarer Handlungsbedarf, zumal die vom VDD angesprochenen potenziellen Konkurrenten Netflix und Amazon ganz andere Nutzergruppen ansprechen: Für die dort angebotenen horizontal erzählten US-Serien interessieren sich erfahrungsgemäß überwiegend jüngere Zuschauer, die das linear ausgestrahlte öffentlich-rechtliche Programm kaum wahrnehmen. Andrae hält diese Haltung jedoch für trügerisch, weil niemand wisse, wie lange diese Aufteilung noch gültig sei: „Das Zuschauerverhalten ist veränderlich, und die Veränderung ist rasant. Die zeitlich und räumlich fast unbeschränkte Verfügbarkeit fiktionalen Fernsehens lässt den Qualitätsanspruch des Zuschauers steigen. Mehr denn je will er sich überraschen lassen, ist aber auch bereit, für Qualität zu zahlen.“

Die Honorare stagnieren

Ein weiterer Punkt des VDD-Papiers gilt dem Geld. Die gesamte TV-Branche beklagt seit Jahren, dass die Honorare stagnierten. Die Sender reagieren auf entsprechende Forderungen mit einer unverhohlenen Drohung: Da ihnen für fiktionale Produktionen nur eine bestimmte Summe zur Verfügung stehe, hätten höhere Budgets zwangsläufig zur Folge, dass weniger Filme gedreht werden könnten. Andrae findet das Argument „ein bisschen schlicht“ und hält es außerdem für falsch: Die Kommission zur Ermittlung des öffentlich-rechtlichen Finanzbedarfs habe bereits verlautbart, dass sie den Sendern mehr Geld für Programminnovationen im fiktionalen Bereich gewähren würde.