Stefan Mappus hat eine für Katastrophen vorgesehene Klausel für den Milliardencoup mit EnBW-Aktien am Landtag vorbei genutzt.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)
Stuttgart - Haben Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) und seine Regierung gegen die Landesverfassung verstoßen, als sie den Rückkauf der EnBW am Landtag vorbei besiegelten? Diesen Vorwurf will die Opposition nun möglicherweise juristisch prüfen lassen. Die Fraktionen von SPD und Grünen erwägen, den Staatsgerichtshof anzurufen, weil sich Mappus bei dem Milliardengeschäft auf ein Notbewilligungsrecht in der Verfassung stützte; über eine Klage dürfte auf den Klausuren im Januar entschieden werden.

Die für Notfälle wie die Bewältigung von Naturkatastrophen oder Seuchen vorgesehene Klausel findet sich in Artikel 81. Danach darf der Finanzminister zunächst ohne Beteiligung des Landtags über Ausgaben entscheiden - allerdings nur "im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses". Die Zustimmung des Parlaments ist nachträglich einzuholen. SPD und Grüne bezweifeln, dass bei dem EnBW-Geschäft die Voraussetzungen vorlagen, die Regierung sieht sie als erfüllt an.

War der Rückkauf unabweisbar?


Weitgehend unstrittig scheint zu sein, dass der Rückkauf der Aktien von der EdF unvorhergesehen kam. Dazu reicht es schon, dass der Finanzbedarf bei der Aufstellung des Haushaltsplanes noch nicht bekannt war. Aber war er auch unabweisbar? Das ist der Knackpunkt bei der rechtlichen Beurteilung. Die Landesregierung stützt sich vor allem auf eine Expertise der Anwaltskanzlei Gleiss Lutz, die das Milliardengeschäft begleitet hat. Mappus hatte öffentlich zugesagt, der StZ den entsprechenden Teil des Gutachtens zur Verfügung zu stellen. Doch sein Staatsministerium hat dieses Versprechen bisher nicht eingelöst; eine Anfrage vom Dienstag voriger Woche blieb bisher unbeantwortet.

Nach StZ-Informationen hat Gleiss Lutz einen trickreichen Weg empfohlen, um das Notbewilligungsrecht nutzen zu können: Unabweisbar wurde das Bedürfnis demnach dadurch, dass das Kabinett den Deal am Montag kurz vor der Bekanntgabe absegnete. Damit habe Finanzminister Willi Stächele (CDU), der den Milliardenbetrag freigab, die Anwendung der Ausnahmeklausel begründet. Die angebliche Notsituation wäre demnach von der Regierung durch ihren Beschluss selbst herbeigeführt worden. Stächele selbst soll erst kurzfristig in den Coup eingeweiht worden sein.

Das Staatsministerium betonte stets, das Milliardengeschäft sei im Einklang mit dem geltenden Haushaltsrecht abgewickelt worden. Zugleich verwies es auf die Zuständigkeit des Finanzministers. Dieser habe beim Notbewilligungsrecht "eine rechtlich eigenständige Kompetenz, die unabhängig ausgeübt wird". Aus dem Ressort Stächeles hieß es lediglich: "Die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen wurden geprüft und bejaht." Für diese Prüfung kann allerdings nicht viel Zeit gewesen sein.

Justizministerium nicht beteiligt


Gar nicht beteiligt war offenbar das Justizministerium von Ulrich Goll (FDP), der bereits relativ früh über den Coup informiert gewesen sein soll. "Wir waren und sind mit der Prüfung dieser Vorgänge nicht befasst", sagte ein Sprecher Golls. Aus der Opposition hieß es, es sei verwunderlich, dass ausgerechnet das Verfassungsministerium nicht gefragt wurde; wahrscheinlich habe man eine abschlägige Antwort befürchtet. Das Justizressort ist jedoch nur für Verfassungsfragen auf Bundesebene zuständig, die Kompetenz auf Landesebene teilen sich Innen- und Finanzministerium.

In der Landtags-FDP gab es dennoch erheblichen Unmut über die Rolle Golls. Dieser habe vor den Abgeordneten nur die Argumente von Mappus "nachgebetet" - vor allem im Blick auf die Insiderproblematik bei dem Deal - und sei über die Rechtslage unzureichend informiert gewesen, verlautete aus der Fraktion. Die Jungen Liberalen nannten den Verweis auf die Notbewilligungsklausel "lächerlich und respektlos gegenüber dem Parlament". Das Sonderrecht sei "für Notstände und Naturkatastrophen gedacht, nicht als Ausrede für eine katastrophale Schuldenpolitik", sagte der Juli-Landesvorsitzende Jens Brandenburg. Die "schuldenfinanzierte Verstaatlichung" der EnBW sei "ordnungspolitisch falsch, finanziell riskant und vermutlich sogar verfassungswidrig", meint der FDP-Nachwuchs.

Erst vor drei Jahren hatte sich der Staatsgerichtshof zuletzt mit der Notfallklausel befasst. Seinerzeit ging es um knapp 60 Millionen Euro für die privatisierte Bewährungshilfe, die der damalige Finanzminister Gerhard Stratthaus (CDU) vorab bewilligt hatte - ein Hundertstel der Summe für den EnBW-Kauf.

In einem von der SPD angestrengten Verfahren bescheinigten die Richter der Regierung einen Verfassungsverstoß, was jedoch ohne Folgen blieb. Im Finanzausschuss lehnten es CDU und FDP ab, der Regierung eine Rüge zu erteilen. Die Opposition scheiterte auch mit dem Antrag, wenigstens in Zukunft sollten bei Notbewilligungen die Rechte des Parlaments gewahrt werden. Die Begründung der Koalition: dies sei eine Selbstverständlichkeit. Eben nicht, erwiderten SPD und Grüne.