Hat der Investmentbanker Dirk Notheis beim EnBW-Deal eigenmächtig agiert? Diesen Verdacht hegt der Untersuchungsausschuss. Notheis hingegen lies sich derweil krankschreiben. Stefan Mappus will von dem Verdacht nichts wissen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es wäre ein kurzer Auftritt geworden für Dirk Notheis. Der einstige Investmentbanker hätte dem Untersuchungsausschuss zum EnBW-Deal wohl nur gesagt, dass er nichts sagen wird. Wegen der laufenden Untreue-Ermittlungen darf er schließlich die Auskunft verweigern. Dann hätte er wieder gehen können. Doch anstelle des Ex-Deutschlandchefs von Morgan Stanley erschien in der jüngsten Sitzung nur dessen Anwalt und übergab ein ärztliches Attest: Notheis sei „schwer erkrankt“ und weder reise- noch verhandlungsfähig, andernfalls drohten für seine Gesundheit „bleibende negative Folgen“.

 

Nun hofft der ganze Ausschuss, dass es ihm bald wieder besser geht und er vielleicht doch auf sein Schweigerecht verzichtet. Für den 19. Juli ist der enge Freund von Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus (beide CDU) jedenfalls erneut als Zeuge geladen. Dann könnte er Licht in jene Aspekte des Milliardengeschäfts bringen, die immer noch im Dunkeln liegen. Notheis habe dabei eine noch wichtigere Rolle gespielt, als das bisher bekannt sei: in dieser Einschätzung zeigten sich Vertreter aller Fraktionen nach dem zwölfstündigen Sitzungsmarathon am Freitag einig. Womöglich sei nicht einmal Mappus klar gewesen, wie sehr der Banker Regie führte.

Mappus will keine Marionette gewesen sein

Als Zeuge wollte der Ex-Regierungschef davon nichts wissen. „Absurd, unwahr und ehrenrührig“ sei die Annahme, er habe als „Marionette“ seines Freundes agiert. Dessen Bank habe ihren Beratungsauftrag beim EnBW-Deal „hervorragend ausgeführt“. Auch von den Anwälten der Großkanzlei Gleiss Lutz habe er sich bestens beraten gefühlt – damals. Heute, da der von ihnen frei gegebene Weg über ein Notbewilligungsrecht als Verfassungsbruch verurteilt wurde, ist er schlecht auf die Advokaten zu sprechen. Nie hätten sie ihn vor einem solchen Risiko gewarnt, dann hätte er die Transaktion nämlich „sofort abgebrochen“. Eine „Riesensauerei“ sei es, wenn Gleiss Lutz das jetzt anders darstelle, die „vermeintlich renommierte“ Kanzlei wolle sich „aus dem Staub machen“. Ihr Verhalten sei „absolut skandalös“.

Auf diese Attacken ging der Chefanwalt Martin Schockenhoff als Zeuge überhaupt nicht ein. Stattdessen wiederholte er unbeirrt seine frühere Aussage, die Mappus als „objektiv unwahr“ gegeißelt hatte: Eigentlich habe man an den entscheidenden zwei Tagen Ende November 2010 nach einem Kompromiss gesucht, um den Landtag trotz des Widerstrebens der Franzosen doch noch zu beteiligen. Dann aber habe ihm Notheis mitgeteilt, Mappus wolle den Deal ohne Parlamentsvorbehalt besiegeln, wenn sich das „nur irgendwie begründen“ ließe. Lieber nehme er verfassungsrechtliche Risiken in Kauf als das Risiko, dass ihm ein anderer Käufer das Aktienpaket der Electricité de France (EdF) wegschnappe. Am Nachmittag hätten die Verfassungsrechtler dann ihr Plazet erteilt.

Kontakt mit Anwälten lief über Notheis

Vielleicht, ahnten die Abgeordneten, sei der Widerspruch gar keiner, vielleicht stimmten ja beide Aussagen. Woher wolle Mappus denn wissen, dass sich Notheis so nicht gegenüber Schockenhoff geäußert habe, fragte der SPD-Obmann Sascha Binder. Immerhin sollte die Kommunikation zwischen Anwälten und Staatsministerium laut dem Chefadvokaten über Notheis laufen, direkten Zugang zu Mappus habe er kaum gehabt. „Sehr bedeutsam“ sei in diesem Zusammenhang eine E-Mail, die Notheis bereits am Vormittag an den französischen Morgan-Stanley-Chef Rene Proglio geschickt habe: Er solle seinem Zwillingsbruder, dem EdF-Chef Henri Proglio, ein Angebot ohne Bedingungen („unconditional offer“) avisieren. Dass der Verzicht auf einen Parlamentsvorbehalt doch möglich sei, hatte der Nichtjurist wohl irrtümlich aus einem Vermerk des Staatsministeriums geschlossen. Erst Stunden später bestätigte Gleiss Lutz, dass der Weg über die Notbewilligung begründbar sei. Diese Abläufe habe Mappus „nicht erklären können“, konstatierte Binder.

Auch der CDU-Obmann Alexander Throm äußerte die Vermutung, dass Notheis „vorangegangen, gar vorgeprescht“ sei. Ob er seinen Handlungsspielraum überdehnt, womöglich das Vertrauen von Mappus missbraucht habe? Morgan Stanley habe jedenfalls „sehr ergebnisorientiert gearbeitet“, antwortete Throm diplomatisch – „in dem Sinne, dass man das Geschäft zum Abschluss bringen wollte“. Wäre es geplatzt, hätte die Bank statt der später gezahlten Millionen keinen Cent bekommen – dies war laut Mappus die Grundlage des Auftrags. Inwieweit sich der Banker mit dem Ministerpräsidenten rückgekoppelt habe, so erklärte der CDU-Obmann, könne man nicht feststellen.

Justiz will mögliche Falschaussagen prüfen

Auch für den Grünen-Obmann Hans-Ulrich Sckerl ist es fraglich, ob Notheis Mappus „über alle Schritte informiert“ habe – oder doch „einsame Entscheidungen“ in dessen Namen getroffen habe. Angesichts der umfassenden Vollmacht für seinen Freund trage der Ex-Regierungschef für dessen Handeln jedoch die volle Verantwortung. Dem FDP-Obmann Andreas Glück blieb es vorbehalten, Mappus am späten Abend direkt mit dem fraktionsübergreifenden Verdacht zu konfrontieren: Ob er es für möglich halte, dass Notheis „eine größere Rolle gespielt hat, als wir alle – vielleicht Sie auch – dachten?“

„Nein, das halte ich für ausgeschlossen“, erwiderte Mappus. Er kenne den Banker schließlich besser als alle anderen im Saal. Gleiss Lutz, beharrte der Ex-Premier, habe „eine Revolverstory“ aufgetischt – was ziemlich unverblümt den Vorwurf einer Falschaussage beinhaltet. Klarheit könnte nur Dirk Notheis schaffen, der bei seinem ersten Zeugenauftritt indes erhebliche Gedächtnislücken gezeigt hatte – entweder mit einer Aussage vor dem Ausschuss oder bei der Staatsanwaltschaft. Die steht schon länger bereit, um Ermittlungen auch wegen Aussagedelikten aufzunehmen.