Der EnBW-Deal wäre fast an der Affäre um die dubiosen Russland-Geschäfte des Energiekonzerns gescheitert: Die Franzosen verlangten in letzter Minute Garantien für ihre Aufsichtsräte.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die beiden Themen bescheren der EnBW gleichermaßen Negativschlagzeilen, scheinen aber nichts miteinander zu tun zu haben. Hier der Skandal um den Aktienrückkauf durch Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus, da die Affäre um undurchsichtige Russlandgeschäfte, deretwegen neuerdings die Staatsanwaltschaft ermittelt – ein Zusammenhang war bis jetzt nicht ersichtlich.

 

Nun aber stellt sich heraus, dass es sehr wohl einen gab, sogar einen hochbrisanten: Nachforderungen der Électricité de France (EdF) wegen der „russischen Angelegenheit“, enthüllen noch unveröffentlichte Recherchen des Landesrechnungshofes, hätten den EnBW-Deal fast in letzter Minute platzen lassen. Sie waren der Anlass für die inzwischen bundesweit bekannte Wut-Mail, in der der Investmentbanker Dirk Notheis den Franzosen mit einer Intervention von Bundeskanzlerin Angela Merkel drohte. Die müsse sich für Mappus einsetzen, weil er sie sonst parteiintern „mit seinen Truppen killen“ könnte.

„Was wird hier gespielt?“, empörte sich Notheis

Wenige Tage vor Vertragsabschluss hatten die EdF-Vertreter ein neues, überraschendes Ansinnen nachgeschoben: Ihre bisherigen Aufsichtsratsmitglieder bei der EnBW – darunter der Europa- und der Deutschlandchef – müssten von der Haftung für den „russian deal“ freigestellt werden. Sie wollten keineswegs für jene Millionen in Regress genommen werden, die der Karlsruher Energiekonzern durch seine Geschäfte mit dem Moskauer Lobbyisten Andrey Bykov zu verlieren drohte. Notheis war über das Begehren deshalb besonders empört, weil er es für unerfüllbar hielt. „Was wird hier gespielt?“, schrieb er auf Englisch an den EdF-Finanzchef. „Niemand auf der Welt“, schon gar nicht ein für Justiz und Gerichte zuständiges Bundesland, könne einen solchen Haftungsausschluss gewähren. „This is an absolute no go! Get rid of those games!“

In einer Mail an seinen Kollegen Kai Tschöke und einen der Anwälte wurde der Banker noch deutlicher. EdF räume einerseits ein „mögliches schuldhaftes Verhalten“ ein und wolle andererseits eine solche Garantie – „das geht zu weit“. Er werde Mappus empfehlen, das geplante Telefonat mit EdF-Chef Henri Proglio abzusagen „und stattdessen eine Pressekonferenz in Stuttgart zu geben, den gesamten Fall publik zu machen und zu erklären, dass die EdF aus Angst vor den Konsequenzen des russischen Atomskandals die Schraube überdreht hat und er sich nicht erpressen lässt“. Am Ende kam es doch nicht zum Eklat, die Franzosen bestanden nicht auf ihrer Forderung. Die gewünschte Freistellung erhielten sie nur für die Monate zwischen der Vertragsunterzeichnung und dem Abschluss der Transaktion, nicht aber für die Zeit davor.

Brisanter Bericht des Ex-EnBW-Chefs Goll

Eines irritierte die Prüfer des Rechnungshofs an der Eskalation auf der Zielgeraden besonders: wenn die Russlandthematik derart wichtig gewesen sei, dass man ihretwegen sogar die gesamten Verhandlungen hätte platzen lassen, hätte sie Einfluss auf den Kaufpreis haben müssen. Doch das Prozessrisiko durch die Auseinandersetzungen mit Bykov, die die EnBW schon rund 50 Millionen Euro gekostet haben, sei nicht berücksichtigt worden.

Die Verbindung zur Bykov-Affäre ist einer der spannendsten Punkte im 90-seitigen Gutachten des Rechnungshofes, von dem bis jetzt nur die vierseitige Zusammenfassung bekannt ist. Schon diese fällt für Mappus und seinen Bankerfreund Notheis, wie berichtet, vernichtend aus: Landesverfassung und Haushaltsgrundsätze seien in vielerlei Hinsicht grob missachtet worden. Doch die Langfassung enthält noch ungleich mehr Zündstoff. Brisant ist etwa, was der frühere EnBW-Chef Gerhard Goll den Prüfern berichtete.

Mappus sollte zwischen OEW und EdF vermitteln

Ein halbes Jahr vor dem Deal habe die EdF weder, wie von Mappus behauptet, unbedingt die Mehrheit in Karlsruhe haben wollen noch den Verkauf ihrer Anteile geplant. Bei einem Treffen in Paris, so Goll, habe ihm EdF-Chef Proglio zwar dargelegt, dass die Situation für die Franzosen „unbefriedigend“ sei, sie hätten aber an Lösungen gearbeitet: der Konsortialvertrag mit dem Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke (OEW) sollte neu verhandelt werden, der Aufsichtsratsvorsitzende und OEW-Berater Claus Dieter Hoffmann möglichst durch „eine andere Person“ ersetzt werden.

Über das Treffen habe er Mappus vor dessen Gespräch mit Proglio im Juli berichtet. Sein Rat an ihn: Er solle sich als Vermittler zwischen OEW und EdF anbieten, um die Zusammenarbeit zu verbessern. Nach seiner Erinnerung im Oktober erfuhr Goll dann aber aus Paris, dass Mappus die Anteile zurückkaufen wolle. Der EdF-Chef sei „überrascht und unentschieden“ gewesen, auch im Vorstand habe es zwei Lager gegeben. Am Ende setzte sich jenes durch, dessen Sicht der frühere EnBW-Chef so schilderte: Da sich die wirtschaftliche Lage des Karlsruher Konzerns „rapide“ zu verschlechtern drohe, dürfe das „sehr günstige Angebot des Landes nicht ausgeschlagen werden“.

Fehlende Prüfung sollte verschwiegen werden

Erkennbar fassungslos schildern die Finanzkontrolleure, wie es zum Preis von 41,5 Euro je Aktie kam. Obwohl bei dem Milliardendeal über ein Sechstel des Landeshaushalts verfügt wurde, habe es keine gründliche Unternehmensbewertung gegeben: Anstelle einer vertieften „Due Diligence“-Prüfung, bei der auch interne Daten ausgewertet werden, habe Morgan Stanley nur eine weitaus weniger aussagekräftige „Fairness Opinion“ abgegeben. Gleichwohl sprachen Mappus und Notheis stets von einer Due Diligence auf der Basis öffentlich verfügbarer Informationen – offenbar bewusste Augenwischerei. „Eine Due Diligence bei der EnBW erfolgte nicht“, hatten die Anwälte von Gleiss Lutz zuvor ehrlich festgestellt, was Notheis’ Kollegen Tschöke arg missfiel: „Wenn möglich eher vermeiden“ solle man den Hinweis auf die fehlende Prüfung.

Ein tiefer Einblick ins Unternehmen, argumentiert der Rechnungshof, wäre dringend nötig und durchaus möglich gewesen. Anstatt „die Katze im Sack“ zu kaufen, wären dann diverse Risiken offenbar geworden. Als Beispiele nennen die Prüfer die Beteiligungen am Oldenburger Regionalversorger EWE und der Energieversorgung Niederösterreich (EVN), die später zu Abschreibungen von mehr als 600 Millionen Euro führten. Der Streit um das Leipziger Gasunternehmen VNG hätte EnBW sogar fast 1,5 Milliarden Euro kosten können. Für diese Risiken „hätte versucht werden müssen, Abschläge vom Kaufpreis durchzusetzen“, urteilen die Finanzkontrolleure. Stattdessen habe Mappus einen Aufschlag von rund einer Milliarde Euro dafür bezahlt, dass er die Anteile später erklärtermaßen in andere Hände weitergeben wollte. Den „Paketzuschlag“ hätte er nämlich nicht erheben können, wenn die Aktien an diverse Stadtwerke gegangen wären.

Fragwürdige Finanzierung über die Dividende

Erkennbar für unseriös hält der Rechnungshof Mappus’ Kalkül, die Milliardenanleihen für den Aktienkauf durch die EnBW-Dividende zu finanzieren; das Land mache dabei sogar noch Gewinn. Auch Morgan Stanley sei bewusst gewesen, wie fragwürdig diese Rechnung war. Man habe „eigentlich keine Basis“, um – wie der Ex-Premier – von einer bei 1,50 Euro bleibenden Dividende auszugehen, schrieb der Banker Tschöke an einen der Anwälte. Noch offener äußerte er sich gegenüber den PR-Beratern, die den Deal vermarkten sollten: „Wie schon mehrfach angemerkt ist unsere Argumentation des Dividendenüberschusses über die Finanzierungskosten am angreifbarsten.“ Öffentlich ließ Mappus indes keinerlei Zweifel erkennen.

Besonders schwer dürfte den Altministerpräsidenten die Einschätzung des Rechnungshofes zu seiner Glaubwürdigkeit treffen. Wenn sie die Verfassungswidrigkeit des Milliardendeals auch nur erahnt hätten, wäre das Geschäft sofort abgebrochen worden, hatten Mappus und sein Ex-Staatsminister Helmut Rau versichert. „Diese Aussage überzeugt jedoch nicht“, schreiben die Prüfer. Schon aus den Unterlagen ergebe sich, dass die beiden „keineswegs gutgläubig davon ausgehen konnten, der Weg (über das Notbewilligungsrecht, die Red.) sei eine problemlose Alternative“. Dafür hätten die Rechtsanwälte „deutlich genug auf die Risiken (. . .) hingewiesen“.