Immer wieder gehen Bohrungen nach Erdwärme daneben, wie das neueste Beispiel Leonberg zeigt. Doch die Technik ist besser als ihr Ruf.

Stuttgart - Wenn eine Bohrung nach Erdwärme danebengeht, dann sind massive Schäden programmiert: In Staufen bei Freiburg quoll die Erde lange Zeit wie ein Hefeteig auf, nachdem dort im September 2007 durch eine unzureichend abgedichtete Bohrung Wasser in gipshaltige Schichten eingedrungen ist. Im November 2008 traf es Schorndorf, wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen: Dort senkte sich der Untergrund, weil durch eine ebenfalls nicht richtig abgedichtete Bohrung Wasser in die Tiefe sickerte. Auch in Leonberg sind nun Senkungen für die Schäden an mehreren Häusern verantwortlich. Hier wurde durch eine ebenfalls undichte Bohrung offenbar zwei grundwasserführende Schichten so miteinander verbunden, dass die obere Schicht nach unten "ausläuft" und deshalb der Boden absinkt.

 

Bundesweites Aufsehen erregte auch eine missglückte Erdwärmebohrung in Wiesbaden: Dort war im November 2009 in 130 Meter Tiefe versehentlich eine unter hohem Druck stehende Wasserader angebohrt worden. Die Fontäne sprudelte meterhoch aus dem Bohrloch. Erst unter hohem Druck nach unten gepresster Zement beendete die spektakuläre Panne.

Entwicklung von Leitlinien

Aufgeschreckt durch solche Vorfälle entschloss sich die damalige baden-württembergische Landesregierung, die Qualitätssicherung bei der Bohrung und Verpressung von Erdwärmesonden zu verbessern. Gleichzeitig sollte sichergestellt werden, dass, so der Ministerratsbeschluss vom August 2009, "die Nutzung der Geothermie in weitem Rahmen möglich bleibt". Bei der Suche nach Möglichkeiten, vergleichbare Vorkommnisse in Zukunft zu vermeiden, holte das Umweltministerium auch das fachlich zuständige Freiburger Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau (LGRB) sowie Wasser- und Umweltbehörden mit ins Boot. Auch externe Fachleute etwa von Bohrfirmen und Baustoffherstellern arbeiten seither an der Entwicklung zukünftiger Leitlinien mit.

Zunächst wollten die Experten mit einer Umfrage bei den zuständigen Behörden bisher unbekannten Schadenfällen auf die Spur kommen. Das Ergebnis: bei den bis dahin offiziell dokumentierten rund 17000 Erdwärmebohrungen war es bei 44 Erdwärmesonden und bei sechs Wasserwärmepumpen zu Problemen gekommen. Bei den bis Anfang 2011 registrierten zusätzlichen 5000 Bohrungen wurden drei weitere Zwischenfälle registriert. Neben den spektakulären Ereignissen in Staufen, Schorndorf und Leonberg reichen die Probleme von plötzlich beim Nachbarn aus dem Boden sprudelnden Springbrunnen über versiegende Quellen in der Nachbarschaft bis zu großen Löchern, die sich an der Bohrstelle durch den Einsturz angebohrter Kavernen gebildeten hatten. In 19 Fällen war zudem das Grundwasser verschmutzt worden, weil nicht ordnungsgemäß gebohrt worden war.

Problemquote von 0,3 Prozent

Insgesamt aber zeigt die Aufstellung, dass bei einer Problemquote von etwa 0,3 Prozent in aller Regel alles nach Plan verläuft - wobei über eine mögliche Dunkelziffer keine Informationen vorliegen. Gleichwohl zeigen die Fälle in Staufen, Schorndorf und jetzt Leonberg, dass es sehr teuer werden kann, wenn es zu Problemen kommt. Von etwa 50 Millionen Euro Schaden ist in Staufen die Rede, auch in Schorndorf und Leonberg dürfte der Schaden in die Millionen gehen.

Städte und Kreise verschärfen Auflagen

 Daher ist es so wichtig, dass mit Hilfe neuer Richtlinien die Bohrsicherheit verbessert wird. Der für die Qualitätssicherung zuständige Arbeitskreis wollte eigentlich demnächst die Ergebnisse seiner nun etwa zweijährigen Arbeit veröffentlichen. Unter dem Eindruck der Ereignisse von Leonberg wird es wohl noch einige Zeit dauern - schließlich müssen die Erkenntnisse aus diesem jüngsten Schadenfall, der deutliche Parallelen zu Schorndorf aufweist, mit eingearbeitet werden.

In Bayern verboten

Schon jetzt ist aber sicher, dass die Anforderungen an die Qualität der Bohrung - und damit an die Firmen - steigen werden. Nach den Ereignissen in Staufen und Schorndorf haben manche Städte und Landkreise die Auflagen verschärft. So wird beispielsweise gefordert, dass ein Geologe die Bohrung vor Ort überwacht und gegebenenfalls einstellen lässt, wenn es zu Problemen kommt. So war man etwa in Remshalden bei den Erdwärmebohrungen für das neue Rathaus im Ortsteil Geradstetten in einer Tiefe von 25 Metern auf eine Gipsschicht gestoßen. Damit aber war die Gefahr gegeben, dass dort Anhydrit liegt, jener seit Staufen so gefürchtete wasserfreie Gips. Treffen Anhydrit und Wasser zusammen, entstehen Wärme und Gips. Der Gips nimmt durch das aufgenommene Wasser bis zu 60 Prozent mehr Volumen ein. Daher hat das Landratsamt des Rems-Murr-Kreises angeordnet, die Bohrung sofort einzustellen, wenn man auf eine Anhydritschicht trifft. Dies wurde in Geradstetten befolgt, obwohl nicht einmal sicher war, dass in der aufgefundenen Gipsschicht wirklich Anhydrit lagert.

Außerdem dürften die zuständigen Behörden nun noch vorsichtiger mit ihren Genehmigungen werden. In Bayern ist beispielsweise die "stockwerkübergreifende" Wärmenutzung des Untergrunds verboten. Dort darf eine Bohrung nur bis zum ersten Grundwasserhorizont reichen. Hierzulande darf dagegen durch diesen Horizont hindurchgebohrt werden, um ertragreiche tiefere Schichten zu erschließen - jedenfalls bis jetzt noch. Ob die Behörden nach den Erfahrungen in Schorndorf und Leonberg allerdings auch in Zukunft in solchen Fällen das Risiko von Senkungen bei schlampiger Abdichtungsarbeit der Bohrfirma eingehen wollen, ist fraglich.

Vom Bauherrn gesondert bezahlt

Die zusätzlichen Auflagen verteuern jedoch die Bohrarbeiten, was letztlich am Bauherrn hängen bleibt. Nicht umsonst heißt es bei vielen Bohrfirmen, dass der vom Amt geforderte Geologe "bauseits" zu stellen sei, also vom Bauherrn gesondert bezahlt werden muss. Hinzu kommt die finanzielle Unsicherheit für den Bauherrn. Zusätzlich zur möglicherweise zwangsweise eingestellten Bohrung kommt die finanzielle Unsicherheit, wer im Falle eines Schadens zahlen muss.

Als Fazit bleibt die Erkenntnis, dass nach den spektakulären Vorfällen in Staufen, Schorndorf und jetzt Leonberg das Vertrauen in die umweltfreundliche und sichere Nutzung der Erdwärme ziemlich erschüttert ist. Dies kommt auch in der deutlich geringeren Zahl an Erdwärmebohrungen im vergangenen Jahr zum Ausdruck. Sicher ist zudem, dass die Bohrungen durch die Auflagen der Behörden teurer werden und damit die Nutzung der Erdwärme in Zukunft ökonomisch weniger lohnend wird.

Temperatur von mehr als 100 Grad

Erdwärme Unter Geothermie versteht man die unterhalb der Erdoberfläche gespeicherte Wärmeenergie. Sie ist konstant verfügbar, muss aber recht aufwendig und damit teuer erschlossen werden.

Tiefengeothermie Durch mehrere Tausend Meter tiefe Bohrungen lässt sich die in dieser Tiefe herrschende Temperatur von mehr als 100 Grad Celsius erschließen. Mit dem geförderten heißen Wasser lässt sich Strom und Fernwärme erzeugen.

Oberflächengeothermie Durch ein Netz von Rohren direkt unter der Erdoberfläche oder auch durch rund 100 Meter tief in die Erde gebohrte Sonden wird die oberflächennah im Boden gespeicherte Wärme zu einem Wärmetauscher im Haus geführt. Mit Hilfe einer Wärmepumpe lässt sich dann das Gebäude beheizen oder kühlen.