Unterlagen zeugen vom Misstrauen der Rathaus-FDP gegenüber ihrem Ex-Chef Bernd Klingler: So soll er unter anderem deutlich überhöhte Rechnungen bezahlt haben.

Stuttgart - Der ehemalige FDP-Fraktionsvorsitzende Bernd Klingler darf als neuer Co-Chef der rechtspopulistischen AfD wohl sein Büro im Rathaus behalten. Ansonsten ist für den Weilimdorfer Werbefachmann aber nichts mehr, wie es einmal war. Klingler, der die FDP als Reaktion auf die von seinen Ex-Stadtratskollegen Sibel Yüksel, Matthias Oechsner und Heinz Lübbe erhobenen Vorwürfe wegen fehlender Rechnungen und laxer Kassenführung verließ, hat die Liberalen von einer Fraktion zur Gruppe degradiert und in die politische Bedeutungslosigkeit gedrängt.

 

Lange hatte die FDP die Vorwürfe klein zu halten versucht. Die wenigen Details kamen vor allem durch Klingler selbst ans Licht, der hinter der Affäre eine Intrige seiner früheren Parteifreunde vermutet. Nun scheint die Schonfrist für den Abtrünnigen vorbei, Einzelheiten der Auseinandersetzung sickern durch. Interne Dokumente und Protokolle, die der StZ vorliegen, deuten darauf hin, dass es nicht nur um reine Formalien geht. Vielmehr wird bei der FDP vermutet, Klingler habe sich für private Zwecke Geld aus der Fraktionskasse geliehen, außerdem überhöhte Rechnungen für womöglich gar nicht erbrachte Leistungen bezahlt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt deshalb wegen des Verdachts der Untreue, Ex-Kollegen vermuten sogar Betrug.

Klingler hatte bekanntlich 12 500 Euro in bar vom Fraktionsgirokonto abgehoben und über mehrere Monate hinweg im Tresor seiner Werbeagentur verwahrt. In einem Schreiben an das städtische Rechtsreferat stellten die FDP-Stadträte am 15. Dezember 2014 fest, weder die alte noch die neue Fraktion sei über die Barabhebung informiert gewesen. Man wisse auch nicht, warum Klingler dies getan und wo er das Geld deponiert habe. Eine schlüssige Begründung habe er nicht liefern können.

Klingler bestreitet, Steuerschulden gehabt zu haben

Stattdessen haben nun nach StZ-Informationen zwei Fraktionsmitarbeiter gegenüber den Stadträten, einer auch bei der Polizei, ausgesagt, Klingler habe angegeben, er benötige den Betrag kurzfristig, weil das Zollamt bei ihm Steuern eintreiben wolle. Klingler bestreitet, von einer Vollstreckung bedroht gewesen zu sein: „Das kann man ja leicht nachprüfen.“ Er habe in seiner hemdsärmeligen Art „einen Witz“ machen wollen, was er inzwischen bedauere.

Der Vorwurf der Entnahme für private Zwecke sei nicht haltbar. Bernd Klingler verweist auf die Barkassen-Datei, die für den 2. Juni 2014 eine Einzahlung von 12 500 Euro registriert. Daraus sei auch ersichtlich, dass er das Geld in einer zweiten Kasse aufbewahrt habe. Das sei nicht verboten. Ein Motiv für die Abhebung sei gewesen, den Girokontostand „zum Wohle der Fraktion gering zu halten“. Im Rathaus wird das so interpretiert, dass Klingler eine Rückzahlung vermeiden wollte. Diese hätte sich aus der Verkleinerung der Fraktion durch die Kommunalwahl ergeben. Einen Eintrag im „offiziellen Kassenbuch“ mit Kopie des Bankbelegs vermisse man bis heute, heißt es bei der FDP. Klingler betreibe „Haarspalterei“.

Vergabe von Druck- und Verteilaufträgen in der Kritik

Als noch gravierender haben die FDP-Stadträte gegenüber der Stadt das Gebaren Klinglers bei der Vergabe von Druck- und Verteilaufträgen bewertet. Moniert wird ein besonders drastischer Fall der Bestellung von Flyern aus dem Jahr 2013: Auf dem Faltblatt sollte sich die Fraktion präsentieren. Neu-Stadträtin Sibel Yüksel hatte das Fehlen einer Rechnung in Höhe von 23 500 Euro festgestellt. Der Beschuldigte hat daraufhin behauptet, die Rechnung sei von seinem Schreibtisch verschwunden.

Gegenüber der Stadt erklärten Klinglers Ex-Parteifreunde, dass es für eine so teure Kampagne nicht nur keinen Beschluss gegeben habe; es lägen zudem weder Rechnungen noch Belegexemplare oder Verteillisten vor. Das Trio wurde überdeutlich: Weil keine Person in ihrem Umfeld eines dieser „angeblich gedruckten und verteilten“ Flugblätter zu Gesicht bekommen habe, sei davon auszugehen, dass die Agentur die Leistung nicht erbracht habe.

Flyer sind deutlich günstiger zu haben als das FDP-Flugblatt

Mittlerweile hat Klingler nicht eine, sondern vier Rechnungen vorgelegt. Fragen zur Auftragsvergabe bleiben offen, denn die seit 2012 von der FDP mit Aufträgen bedachte Geschäftsführerin der Werbeagentur ist für Nachfragen auch seitens der Polizei nicht zu sprechen. Die Firma sei aufgelöst, die Frau habe ihren Lebensmittelpunkt wohl zurück nach Italien verlagert, weiß Klingler. Die Beziehung zur Agenturbesitzerin sei rein beruflich gewesen. Die liberale Resttruppe vermutet dagegen private Verflechtungen, denn unter der Adresse ist der Bruder von Maria-Lina Kotelmann registriert – also jener ehemaligen italienischstämmigen SÖS-Stadträtin, der ein enges Vertrauensverhältnis zu Klingler nachgesagt wurde. Die Geschäftsadresse war zudem vor einigen Jahren im Zusammenhang mit einem Strafbefehl wegen Passfälschung gegen Kotelmann schon einmal aktenkundig. Klingler bestreitet entschieden, dass Maria-Lina Kotelmann etwas mit der Auftragsvergabe zu tun habe.

Jede der vier Rechnungen bezieht sich auf Druck und Verteilung von je 20 000 der ominösen Flyer. Von 200 000 Exemplaren, wie im Brief an die Stadt erwähnt, habe er nie gesprochen, so der Stadtrat. Die „Fabelzahl“ stamme von den Ex-Kollegen, die bei ihrer Meinung bleiben. Doch auch 80 000 Flyer werfen Fragen auf. Warum wurde der Auftrag in vier Tranchen gesplittet? Das habe die Stadt festgelegt, „wegen der Verhältnismäßigkeit für Versandaktionen“, so Klingler. Dies wird im Rathaus bestritten. Schließlich gilt: je höher die Auflage, desto geringer der Stückpreis.

In Weilimdorf wird Klingler mit Reinhold Maier verglichen

Für Klingler scheinen die Kosten eher nebensächlich gewesen zu sein: Allein für den Druck wurden 15 000 Euro netto in Rechnung gestellt. Vergleichsangebote, auch für andere Aufträge, die die StZ eingeholt hat, belegen: Gleiche Qualität gibt es für ein Drittel des Preises. Merkwürdig erscheinen der FDP auch die Verteilkosten: Geht man davon aus, dass sie von Hilfskräften in die Briefkästen geworfen wurden, seien 75 Euro pro 1000 Stück doppelt so viel wie üblich. Wäre dagegen der auf der Rechnung vermerkte „Posteinwurf“ vorgenommen worden, läge man 60 Prozent unter dem üblichen Preis. Das nähre den Verdacht, die Rechnungen seien fiktiv. Klingler weist das zurück: Die von seinen Vorgängern im Amt bevorzugte Agentur sei teurer gewesen. Er bewerte die Vergabe als „preiswert und verhältnismäßig“.

Klingler bleibt dabei: an seinem Übertritt zur AfD seien die Ex-Kollegen schuld. Dass er mit dem Wechsel politische Reputation einbüßt, glaubt er nicht und verweist auf seinen Bezirk Weilimdorf. Dort sind inzwischen mehrere Mitglieder aus Solidarität mit dem einstigen FDP-Sympathieträger aus der Partei ausgetreten. Sie sprechen von einer „Demontage unseres erfolgreichen Fraktionsvorsitzenden“, der ein „bürgernaher Graswurzeldemokrat“ in der Tradition des ersten und bislang einzigen FDP-Ministerpräsidenten Reinhold Maier sei.