Feinstaub und Stickoxide bedrohen die Gesundheit der Menschen auch in Stuttgart erheblich. Auf einer Tagung im Haus der Architekten haben Umweltschützer mit OB Kuhn und einem EU-Vertreter diskutiert.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Bei einer Konferenz im Haus der Architekten in Stuttgart haben der BUND, OB Fritz Kuhn, ein EU-Abgesandter und Vertreter verschiedener europäischer Städte am Dienstag darüber diskutiert, wie man dem gefährlichen Feinstaub in Stuttgart Herr werden könnte. Das Fazit, das vielleicht alle unterschreiben würden, könnte so lauten: Stuttgart kommt voran im Kampf gegen Feinstaub und Stickoxide – aber noch immer sind die Werte alarmierend.

 

Die BUND-Landesvorsitzende Brigitte Dahlbender führte nochmals vor Augen, welche dramatischen Folgen die hohen Schadstoffkonzentrationen in der Luft für die Menschen haben: Laut EU würden jedes Jahr 70 000 Menschen in Deutschland allein durch den Feinstaub vorzeitig sterben. Die bisher vorgesehenen zwei Dutzend Maßnahmen von Stadt und Land Baden-Württemberg reichten deshalb nicht aus, so Dahlbender. Eine blaue Plakette für schadstoffarme Autos und an bestimmten Tagen ein Fahrverbot für Autos, in denen weniger als zwei Personen säßen, seien „unverzichtbar“. Vor allem müsse schneller gehandelt werden – dass Stuttgart bis 2018 auf Freiwilligkeit und auf Appelle setze, sei nicht hinnehmbar.

Stickoxide sind laut Kuhn jetzt das größere Problem

Stuttgarts OB Fritz Kuhn stellte fast alle laufenden und geplanten Maßnahmen in seinem Beitrag vor – vom Jobticket im Konzern Stadt über neue Radwege und Tempo 40 bis hin zum Parkraummanagement in der Innenstadt. Er liste alles auf, so Kuhn, weil ganz klar sei: „Es reicht nicht mehr aus, sich ein paar Maßnahmen auszusuchen, die niemandem weh tun. Um etwas zu erreichen, müssen wir 23 von 25 Maßnahmen strikt umsetzen.“ Beim Feinstaub stellten sich allmählich positive Ergebnisse ein; bei den Stickoxiden würden die Grenzwerte aber noch an vielen Messstationen überschritten, und zwar teils um das Doppelte: „Die Stickoxide sind das größere Problem“, so Kuhn.

Wie die bisherigen Maßnahmen zu bewerten sind, darüber waren sich die Teilnehmer der Konferenz – diese wurde von den Umweltbündnissen „Clean Air“ und „Russfrei fürs Klima“ veranstaltet – unterschiedlich bewertet. Gerhard Pfeifer vom BUND Stuttgart sagte, dass sich die Erfolge der vergangenen Jahre nun 2015 nicht fortsetzen würden: Beim Feinstaub gebe es im Jahresmittel eine Stagnation, bei den Stickoxiden sogar eine Erhöhung. Im internationalen Vergleich konnte Stuttgart zumindest in den zurückliegenden Jahren punkten. Der BUND-Bundesverband und die Brüsseler Umweltorganisation European Environmental Bureau beobachten seit 2012 insgesamt 23 europäische Großstädte. Auf dem ersten Platz liegt jetzt Zürich, das 89 Prozent aller denkbaren Maßnahmen gegen die Schadstoffe bereits ergriffen habe. Berlin liegt auf Platz fünf, Stuttgart gemeinsam mit Helsinki, London und Paris auf Platz sechs mit 71 Prozent. Vor allem die Einrichtung der Umweltzone wird Stuttgart positiv angerechnet.

Zuerst werden im Winter die Radwege geräumt

Thomas Henrichs von der Europäischen Kommission betonte, die EU mahne in Deutschland und gerade in Stuttgart die Einhaltung der Grenzwerte an, weil die Schadstoffe massiv die Gesundheit der Menschen bedrohten. Die EU-Grenzwerte seien ja noch moderat; würde man die Richtlinie der WHO anlegen, dann seien 92 Prozent der urbanen Bevölkerung in Europa erhöhten Konzentrationen der kleinen Feinstaub-Teilchen (PM2,5) ausgesetzt. Wie streng die EU in Stuttgart durchgreifen wolle, darüber hielt sich Henrichs bedeckt: „Wir fordern nicht bestimmte Maßnahmen und bewerten diese auch nicht – wir schauen uns vielmehr die Ergebnisse an.“ Die müssten am Ende stimmen, der Weg sei weniger entscheidend.

Arne Fellermann vom BUND-Bundesverband berichtete in der Tagung von guten Ansätzen in anderen Städten. So habe Stockholm durch eine City-Maut den Verkehr in der Innenstadt um 18 Prozent senken können – Kuhns Ziel sind 20 Prozent. Kopenhagen habe die Parkgebühren um 50 Prozent erhöht. In Wien sei eine ÖPNV-Jahreskarte für 365 Euro eingeführt worden; der Zuwachs an Fahrgästen gleiche den Ausfall an Einnahmen aus. Und selbst kleine Maßnahmen könnten etwas bewirken: In Kopenhagen fange der Schneeräumdienst bei den Radwegen an – damit jeder weiß, was Priorität hat.