Ein verrückter Indianer, ein unerfahrener Ostküstenbubi – in Gore Verbinskis Großbudgetfilm wird der Wilde Westen von zwei seltsamen Typen aufgemischt. Das funktioniert aber nur sehr bedingt.

Stuttgart - Im Jahre 1933 streift ein Junge mit schwarzer Maske und weißem Hut durch einen Jahrmarkt in San Francisco, betritt ein Wildwestzelt, schaut sich ein Büffelbild und einen präparierten Grizzly an, macht dann vor einer Art Terrarium halt. „Der stolze Wilde in seiner natürlichen Umgebung“, so verheißt ein Schild, und hinterm Glas und neben einem Wigwam steht ein ausgestopfter Runzel-Indianer, der . . . Moment mal, hat dieser hagere Kerl, auf dessen Kopf ein toter Rabe hockt, nicht gerade die Augen bewegt? Jetzt spricht er auch noch! „Nimm nie deine Maske ab“, empfiehlt er dem Jungen, der sich als Lone Ranger verkleidet hat, als jener Held also, der durch den Westen ritt, um für Ordnung, Frieden und Gerechtigkeit zu sorgen. Dieser uralte Indianer, der nun von dessen Taten erzählt, das ist natürlich des Helden treuer Freund Tonto.

 

Probleme mit dem Jungentraum

Der Regisseur Gore Verbinski zimmert sich also gleich einen Rahmen für die Rückkehr seiner Titelfigur, die im Jahr 1933 tatsächlich ihren ersten Auftritt in einer Radio-Show hatte, dem noch viele weitere in Büchern, Comics, Filmen und TV-Serien folgen sollten. Und der Junge, der nun begierig Tontos in Rückblenden ausgebreiteter Erzählung lauscht, sie aber auch durch Fragen unterbricht, wirkt dabei auf den ersten Blick wie ein Stellvertreter des Zielpublikums.

An diesen Lone Ranger mit seiner gusseisernen Moral, der weder raucht noch trinkt, immer grammatikalisch korrekt spricht und nur im äußersten Notfall mit Kugeln schießt, an diesen naiv-reinen Helden aus längst vergangenen (Kino-)Zeiten können ja wohl nur noch die Kleinen glauben?! Aber dieses ungeheuer aufwendige Revival einer alten US-Ikone kann es sich schon wegen der Produktionskosten gar nicht leisten, an den Großen vorbeizufilmen. Und damit fangen die Probleme an.

Gestopft voll mit Zitaten

Gib mir alles – und zwar sofort!

„The Lone Ranger“ will für alle etwas bieten und deshalb vieles auf einmal sein. Dieser zweieinhalb Stunden lange Film ist in Wort und Bild voll gestopft mit Zitaten und Tonfällen. Er führt sich zum Beispiel auf als Kompendium des Western, holt sich seine Alter-Mann-erinnert-sich-an-wilde-Zeiten-Idee aus Arthur Penns „Little Big Man“, inszeniert an einem Bretterbahnhof eine Sergio-Leone-Nummer, schaut auch in John Fords Monument Valley vorbei oder lässt in Szenen mit einem strengen Sheriff und einem angeketteten Sträfling Sam Peckinpahs Spätwerk „Pat Garrett jagt Billy the Kid“ anklingen.

Wobei hier noch ein zweiter Gefangener dabei ist, und der spielt in seinem ganz eigenen Film: Johnny Depp gibt sich als Tonto einerseits so exzentrisch wie sein Pirat Jack Sparrow in der ebenfalls von Gore Verbinski inszenierten „Fluch der Karibik“-Serie, vor allem aber zeigt sich der Mime nun als Nachfahre von Buster Keaton, eines schweigsamen Stoikers mit beredten Augen – und dies nicht nur in den vielen Slapstickeinlagen.

Der Freund wird zum falschen Bruder

Tonto war früher nur der Begleiter des Helden, jetzt steht er im Mittelpunkt. Der Lone Ranger selber (Armie Hammer) zeigt sich nämlich zunächst als ein in jedem Sinn blauäugiger Jurist aus dem Osten, der erst noch hineinwachsen muss in die eigentlich seinem tatkräftigen Texas-Ranger-Bruder zugedachte Rolle. „Kemosabe“, so wird das große Greenhorn von Tonto genannt. In den alten Lone-Ranger-Erzählungen bedeutete das „Freund“, hier aber, verrät der Indianer, bedeutet es „falscher Bruder“.

So    wird diese Geburt-eines-Helden-Geschichte gleich zur Parodie und gibt sich auch danach über weite Strecken als Komödie, oft als Schelmenstück, manchmal auch als Farce. Aber eben nicht immer: wenn der Held auf der Suche nach dem Bösewicht in einen Canyon einreitet, folgt ein überraschend brutales Gemetzel, so „ernst“ inszeniert, dass der Wechsel zurück zur Komödie wie ein radikaler Bruch wirkt.

Verzettelt in Parallelaktionen

In seinem Animationsfilm „Rango“ ist dem Regisseur eine stringente Hommage an den Western gelungen, in „The Lone Ranger“ lädt er sich zu viel und zu Disparates auf, schafft es auch kaum, sein großes Arsenal an Figuren sinnvoll einzusetzen, verzettelt sich viel zu oft in Parallelaktionen. Dennoch verfehlen die schlechten Kritiken, mit denen der Film in den USA geradezu wütend beschossen wurde, manchmal ihr Ziel. Auch wenn das große Ganze nicht funktioniert: die einzelnen Teile können durchaus Spaß machen.

Zum Beispiel die Actionszenen in und auf fahrenden Zügen. Auch dieser Schimmel namens Silver, der manchmal sehr seltsame Dinge tut. Oder der sarkastische Streifzug durch die US-Historie, bei dem mancher Westernmythos umgestülpt wird, die Kavallerie etwa für die falsche Seite einreitet. Kann schon sein, dass dieser „Lone Ranger“ für ein patriotisches US-Publikum geradezu unamerikanische Umtriebe veranstaltet.

Indianer sein gilt als Verbrechen

Der Star hat heftig gedrängt

Dass dieser Film überhaupt gedreht wurde, ist wohl dem Drängen seines Stars Johnny Depp zuzuschreiben. Der interagiert hier zwar nicht allzu sehr mit seinem Partner Armie Hammer, dafür aber mit seinem Raben, dem er immer wieder Körner hinhält, so dass man schließlich nicht mehr sicher weiß, ob dieser Vogel wirklich tot ist. Und ein paar schön lakonische Worte fügt Johnny Depp alias Tonto diesem Film auch noch zu. „Was ist dein Verbrechen?“, wird er mal gefragt. „Indianer“, antwortet er.

Zum Finale dann noch eine Ouvertüre: der rasante Schlussteil von Rossinis Wilhelm-Tell-Eröffnung! Das war auch schon die Erkennungsmelodie des alten Lone Ranger, von dem sich der neue allerdings ziemlich weit entfernt hat.