Krimis galten über lange Zeit als Schmuddelkinder der Buchbranche. Literatur-Größen warfen Krimifans vor, „Schund“ zu lesen. Beim Finale der Stuttgarter Kriminächte wird samt Preisverleihungen im Renitenz-Theater das Böse mit Niveau gefeiert.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Um die Welt zu verstehen, muss man immer ganz genau hinschauen! Beim Finale der 15. Stuttgarter Kriminächte wird rasch klar, dass nicht immer alles so ist, wie es scheint. Am Eingang des Renitenz-Theaters schenken eine Polizistin und ein Polizist die Getränke ein. Oder suchen die beiden nicht einmal undercover einen Mörder?

 

Nichts von alledem stimmt! Astrid Fünderich, die seit 2009 durchgängig in der ZDF-Krimiserie „Soko Stuttgart“ die Erste Kriminalhauptkommissarin Martina Seiffert spielt, ohne jemals befördert worden zu sein, klärt auf: „Das sind keine Polizisten – sie tragen Uniformen aus unserer Kostümabteilung.“

Zur Feier der Preiswürdigen sagt Bestseller-Autor Wolfgang Schorlau, der einst maßgeblich beteiligt war an der Gründung dieses Krimifestivals, dass man in der Buchbranche ähnlich wie in der Musik nicht mehr zwischen U und E unterscheiden müsse. Krimis, so seine Beobachtung, die sich nicht nur aus ihrem eigenen Schaffen seit 20 Jahren speisen, greifen oft schneller gesellschaftliche Missstände auf als die sonstige Belletristik. Krimis sind für ihn die „Straßenköter“, die genau wissen, was in dunklen Ecken passiert.

Stuttgart als capital of crime

Seit dem 14. März ist Stuttgart the capital of crime, also in der fiktiven Ausprägung, und bittet auch an ungewöhnlichen Orten zu Lesungen. Dem Publikum gefällt es, bei der Überführung der Täter mitzuraten. Die Deutschen wollen gern Puzzleteile zusammensetzen, um herauszufinden, ob der Mörder schon wieder der olle Gärtner war. Ist er meistens aber gar nicht. Mitunter kommt es nicht mal mehr drauf an, wer der Mörder oder die Mörderin war.

Etwa 63 Prozent der Kaufenden von Krimis in Buchhandlungen sind Frauen. Die Geschäftsführung der Kriminächte besteht gar zu 100 Prozent aus Frauen, nämlich aus Bine Schulz, Eva Hooss-Pohl und Eva Hosemann. Die Moderatorin des Finales mit den Preisverleihungen überzeugt auch rein weiblich: Astrid Fünderich hat die SWR-Moderatorin Stefanie Anhalt an ihrer Seite. Dagegen sind die drei Musiker rein männlich – und ausgerechnet da steckt der Wurm drin. Die Technik streikt – die Musik will zum Auftakt nicht erklingen.

Die Jury des Stuttgarter Krimipreises will der Leserschaft helfen, aus der Fülle der Krimi-Neuerscheinungen die Perlen herauszufischen. Der mit 5000 Euro dotierte Hauptpreis, von der Sparda-Bank gestiftet, geht an Andreas Pflüger für sein Buch „Wie sterben geht“ (Suhrkamp-Verlag). In der Begründung heißt: „Nach seinem aufsehenerregenden Aufschlag mit der Trilogie um die blinde LKA-Sonderermittlerin Jenny Aaron wechselt Deutschlands bester Thriller-Autor einfach mal das Geläuf. Er stellt sich in die Tradition der deutsch-deutschen Spionagethriller, wie sie bisher eigentlich nur von Briten wie Len Deighton und John le Carré geschrieben wurden.“

Lob für „perfektes Timing“

Die Geschichte spielt im Berlin des Jahres 1983. Auf der Glienicker Brücke ist alles bereit für den spektakulärsten Agentenaustausch der Geschichte. Ein KGB-Offizier soll gegen den Sohn eines Politbüromitglieds getauscht werden. Mittendrin: Nina Winter, die den KGB-Überläufer als Einzige identifizieren kann. „Der Kinofan und Drehbuchautor Pflüger erzählt mit perfektem Timing, mit absoluter Stilsicherheit und vor allem mit einem spürbaren Spaß daran, seine vertrackte Spionagegeschichte wie einen Hollywood-Blockbuster aussehen zu lassen“, lobt die Jury, dies sei „perfekte Unterhaltung“.

Weitere Preisträgerinnen sind Anne Freytag für das im dtv-Verlag erschienene Buch „Mind Gap“ (sie bekommt den mit 1500 Euro dotierten Wirtschaftskrimipreis) und Yasmin Sibal für „Punked“ (Frankfurter Verlagsanstalt, ausgezeichnet mit dem Debütkrimipreis, der ebenfalls mit 1500 Euro verbunden ist). Über den Politkrimipreis der Heinrich-Böll-Stiftung und dieselbe Summe kann sich schließlich Horst Ecker für „Macht der Wölfe“ (Heyne-Verlag) freuen.