Kaum eine Stadt scheint sich so über ihre Vorwahl zu definieren wie Stuttgart. In der Landeshauptstadt gibt es eine Flut von Firmen mit 0711 im Titel. Was sagt das über die Stadt aus? Eine Spurensuche.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Mittlerweile ist es 15 Jahre her, dass der Hersteller eines Kräuterbonbons aus der Schweiz eine Werbefigur erfand, die sich ins kollektiv fernsehgeschädigte Gedächtnis eingebrannt hat. Die Kunstfigur ist eine Mischung aus HB-Männchen und Marlboro-Cowboy und vollführt einen Rachefeldzug durch die halbe Welt – immer auf der Suche nach Spitzbuben, die behaupten, sie und nicht die Schweizer hätten das Kräuterbonbon erfunden. Der ziemlich penetrante Schweizer schreckt dabei nicht einmal davor zurück, unschuldige Finnen beim gemütlichen Saunieren zu stören.

 

Johannes Graf Strachwitz, genannt Strachi, hat sehr wenig von einem tobenden Eidgenossen. Der smarte Geschäftsmann hat Stuttgart in den 90ern popkulturell salonfähig gemacht, indem er den Boden bereitete für den Ruf der Stadt als Hip-Hop-Hochburg. Seit einiger Zeit ärgert sich der Gesellschafter zahlreicher Firmen, die mit der 0711 spielen, über den Umstand, dass es mittlerweile mehr als 30 Firmen oder Produkte gibt, die Stuttgarts Vorwahl im Titel tragen. Wer sich für eine aparte Wohnung interessiert, wird bei 0711 Suits fündig. Wer einen Wein trinken möchte, der etwas Brombeere im Abgang hat, der probiert das Rotwein-Cuvée 0711 vom Weingut Frank J. Haller. Die passenden Stuttgart-Devotionalien bekommt man im 0711 Shop im Westen. Und Stuttgarts erste Adresse für Hip-Hop-Partys ist das 0711 Büro, das Teil eines beachtlichen Firmengeflechts ist, bestehend aus den Unternehmen 0711 Livecom, 0711 Entertainment und 0711 Media – bei letzteren hat überall Strachwitz seine Finger mit im Spiel.

Kaum eine andere deutsche Stadt scheint sich so über ihre Vorwahl zu definieren wie Stuttgart. Woher kommt das? Wer hat damit angefangen?

Keimzelle liegt am Pragsattel

Die chronologisch erste 0711-Firmen-Titulierung beansprucht Strachwitz für sich. „Jean-Christoph ,Schowi‘ Ritter und ich haben 1996 einen Clubabend im Club Prag am Pragsattel übernommen. Es musste ein eigener Name her. Wir hätten einen englischen Modenamen wie ,Boogie Down Club‘ wählen können, haben uns aber entschieden, etwas lokal Verwurzeltes zu nehmen. Da haben wir uns eben bei der Telefonnummer bedient“, sagt Strachwitz. „Die Vorwahl steht eben für Stuttgart. Also hieß erst der Club so und dann unser Büro.“

Ende der 1990er Jahre war Stuttgart die wichtigste Hip-Hop-Stadt in Deutschland. Besucher aus Berlin, München oder Hamburg pilgerten auf den Pragsattel, um dort die besten DJs aus Deutschland und den USA zu erleben. Als Afrob, Massive Töne und Freundeskreis mit ihren Veröffentlichungen die Charts dominierten, machten sie die Stuttgarter Vorwahl in ihren Texten weiter bekannt. „Das ist für die Heads / die Raps aus 0711 lieben“, textete etwa Max Herre im Jahr 1999 im Freundeskreis-Charterfolg „Esperanto“.

Neu-Stuttgarter kokettieren mit der Vorwahl

Wie nachhaltig solche Textzeilen sein können, zeigt schließlich folgende Anekdote. Als die Schauspielerin Minna Wündrich unter Hasko Weber ans Ensemble des hiesigen Schauspiels kam, rief sie als Erstes von ihrer Stuttgarter Wohngemeinschaft aus bei einer Freundin in Bremen an. „Ich wollte ihr unter die Nase reiben, dass ich jetzt Teil der Vorwahl bin, für die wir im Club immer geschwärmt haben“, erinnert sich Wündrich.

Mittlerweile steht die einst popkulturell aufgeladene Vorwahl für Firmen unterschiedlichster Couleur. „Außer uns hat das früher niemand benutzt. Wir haben die Marke deutschlandweit zu einem Begriff gemacht“, sagt Strachwitz und wirft den Nachahmern mangelnde Kreativität vor.

Marke 0711: Von Wein über T-Shirts bis Architektur

Michael Feigl betreibt gemeinsam mit Marion Winghofer den 0711 Store im Stuttgarter Westen. 2006 haben sie damit angefangen, T-Shirts und andere Produkte mit Stuttgart-Bezug zu gestalten. „Damals war Stuttgart in Sachen Marketing unterrepräsentiert“, sagt Feigl, der seinen Laden „0711 Schdore“ ausspricht. „0711 passt einfach gut zu unseren Produkten, das ist ein einprägsames Logo, das auch international als ,oh-seven-eleven‘ gut funktioniert.“ Dass es mittlerweile zig andere Firmen gibt, die Stuttgarts Vorwahl auch originell finden, stört Feigl dabei aber nicht. „Ob man auf den Zug aufspringt, ist doch egal, es belebt einfach insgesamt die Szene.“

Frank J. Haller, der Schöpfer des 0711-Weins, sieht die Sache ähnlich schwäbisch-entspannt. Haller kam beim Abendessen auf die Idee, seinen Wein 0711 zu nennen. „Der Wein ist ein Bekenntnis zur Stadt, er ist auf Stuttgarter Gemarkung entstanden. Hinter dem Namen stand keine große Überlegung, den haben wir aus dem Bauch heraus gewählt.“ Zu den anderen 0711-Firmen habe er ein gutes Verhältnis. „Die 0711 Architekten haben unseren Wein sogar schon für eine Veranstaltung angefragt.“

Marketingexperte schwärmt von dem Phänomen

Professor Gert Gutjahr, renommierter Marktpsychologe vom Institut für Marktforschung in Mannheim, schwärmt für das Stuttgart-spezifische Phänomen. „Das ist eine einmalige Sache, die ich so von keiner anderen deutschen Stadt kenne.“ Gutjahr hält das 0711 im Titel für originell. „Stuttgart mit seinem Tüftler-Image ist ohnehin schon eine Marke. Durch die Vielzahl an 0711-Firmen profitiert die Stadt zusätzlich.“ Gutjahr rät davon ab, gegen Nachahmer vorzugehen. „Ich würde es eher als Bestätigung für eine gute Idee sehen.“

Bleibt für Johannes Graf Strachwitz wohl nur eine Lösung: Die vermeintlichen Nachahmer von anderen Firmennamen zu überzeugen. Der Schlüssel zu allen anderen 0711-Unternehmen? Der 0711 Schlüsseldienst. Dem Vernehmen nach haben die noch jede Tür geöffnet.