In München endet ein Hungerstreik von Asyl-Suchenden. Nun beginnt erneut eine Flüchtlingsdebatte in Bayern, wo der Staat bisher immer nur das Nötige, nicht das Gute geleistet hat.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

München - Wer von weiter oben auf das Sendlinger Tor und anschließende Straßen in Münchens Innenstadt schaut, sieht, gerade im beginnenden Advent, wie eine Stadt munter überdreht vor Konsumsucht. Sieht Wurstbuden, Glühweinstände; sieht Geschäfte, mit Waren prall gefüllt, und wenn die Waren einmal weniger werden, steht schon der nächste Lkw vor dem Laden. Man sieht das alles sehr gut von den Bäumen aus, die auf dem Sendlinger-Tor-Platz stehen.

 

Am Ende waren es fünf Sympathisanten der ungefähr 30 Flüchtlinge im Hungerstreik, mit denen sich München seit dem letzen Samstagnachmittag konfrontiert sah, die sich in den Astgabelungen der Bäume festhielten, eine lange Nacht über. Sie hatten eine Decke, die sie von Mann zu Mann immer wieder weitergaben. Die insgesamt zurückhaltende Polizei hatte derweil ein Sprungkissen unter ihnen aufgebaut, am Donnerstagmorgen gaben die fünf auf, was alle erleichterte, die in diesen Tagen vor Ort gewesen waren: den Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter, die bayerische Sozialministerin Emilia Müller und den Kreisverwaltungsreferenten Wilfried Blume-Beyerle. Er hatte am Mittwochabend gegen 21 Uhr den Protestierenden mitgeteilt, dass ihr eigentlich bis zum 1. Dezember genehmigtes Camp aufgelöst werde; 500 Polizisten waren angerückt. Ein Drittel der Flüchtlinge war zu diesem Zeitpunkt schon wegen Unterkühlung ins Krankenhaus gebracht worden, und die Ärzte vor Ort warnten vor gesundheitlichen Schäden vor allem für jene Menschen, die am Mittag auch noch das Trinken eingestellt hatten. Mittlerweile wurde den Flüchtlingen ein Treffen mit den zuständigen staatlichen Institutionen für die nächsten Wochen zugesagt. Und am Sendlinger Tor ist jetzt, relativ gesehen, wieder Ruhe.

Es ist hier nicht der erste Hungerstreik von Flüchtlingen

Gleichwohl hat die Demonstration zumindest einige Menschen in München stark getroffen, nicht nur, weil direkt Erinnerungen wach wurden an die prekäre Lage vom vergangenen Sommer, 300 Meter Luftlinie weiter am Rindermarkt. Dort hatten sich Flüchtlinge im Hungerstreik angekettet – und es bedurfte der Einflussnahme des Alt-OB Hans Jochen Vogel, um die Situation zu entschärfen, bevor auch damals das Lager geräumt wurde. Seitdem musste sich der Freistaat, denn in Asylfragen ist das Land Bayern beziehungsweise die Regierung von Oberbayern zuständig, bewusst sein, dass wegen der internationalen Krisen der Zustrom größer werden würde. Bayern indes wartete ab – und zeigte sich, als zuletzt nicht nur die Bayernkaserne in München überlief vor Schutzsuchenden, hilf- und planlos für ein reiches Bundesland, in dem ständig von der „Vorstufe zum Paradies“ die Rede ist. Die Bevölkerung war da in der Regel wesentlich zupackender, wenn es um Hilfe ging, als die Verwaltung.

Der Hungerstreik am Sendlinger Tor war insofern ein Sonderfall, als die Hungernden, aus verschiedenen afrikanischen und asiatischen Ländern stammend, nicht nur aus Bayern, sondern auch aus anderen Bundesländern kamen und allgemein gegen die deutsche Flüchtlingspolitik demonstrieren wollten. Angeführt wurden sie von Adeel Ahmed, der in Nordrhein-Westfalen lebt und beredt für das generelle Bleiberecht und gegen die vor allem in Bayern streng gehandhabte Lagerunterbringung argumentierte. Dass der Streik „diesen Prozess nicht beschleunigt“, wie OB Reiter den Flüchtlingen vor Ort sagte, wollten seine Leute und er so wenig hören wie das Wort „Erpressung“ aus dem Mund von Emilia Müller. Innenminister Joachim Hermann sprach von einem „Spektakel“.

Dem Regierungschef Horst Seehofer war kurz vor Räumungsbeginn zumindest bewusst, dass Bayern, gemessen an seinen Möglichkeiten, bisher einiges versäumt hat. Ohne große Lösungen parat zu haben, erinnerte er in einem Hintergrundgespräch recht nachdenklich an die Worte von Papst Franziskus, der in Straßburg vom „verlorenen Blick der Migranten“ gesprochen hatte. Auf den Papst gibt Seehofer etwas, und das muss ja kein Fehler sein.