Der Brite Lewis Hamilton ist aufgestiegen in die Riege der Superstars der Formel 1. In der am Sonntag in Melbourne beginnenden Saison (6 Uhr MEZ/RTL) will er die Nummer eins bleiben.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Stuttgart - Der Auftritt von Lewis Hamilton neulich in Fellbach beim Saison-Kick-off des Mercedes-Teams war einmalig. Als sei der britische Rennfahrer für diesen Termin mal kurz herabgestiegen in irdische Gefilde, schlenderte er etwas verspätet auf das Podest, auf dem sich der Sportchef Toto Wolff und der Pilotenkollege Nico Rosberg bereits platziert hatten für die Pressekonferenz. „Seid nicht zu aufgeregt, Leute“, sprach der gefühlte Formel-1-Messias, „ich bin ja da.“

 

Mit diesem Statement war die eindrucksvolle Show des Engländers noch nicht beendet. Er trug eine Brille, obwohl er, wie er meinte, im Vergleich zu „durchschnittlichen“ Menschen über die doppelte Sehschärfe verfüge. Auf diesen mitunter extrem selbstbewussten Auftritt reagierte dann Rosberg und legte seine ihm eigene Schlagfertigkeit an den Tag. „Wirst du alt?“, fragte der Deutsche den Rivalen, woraufhin Hamilton mit Fensterglas vor den Augen fast ein bisserl rotzig konterte: „Ich kann bei dir graue Haare sehen.“

Willkommen in einer weiteren Folge des mit Haken und Ösen geführten Mercedes-Duells. Toto Wolff veranlassten die Sticheleien seiner teuersten Angestellten zu der Aussage, die beiden müssten im Zweifel ja „nicht miteinander schmusen“. Wie man hört, nehmen längst nicht mehr alle der 1300 Mitarbeiter in den Mercedes-Fabriken in Brixworth und Brackley die beiden Piloten allzu ernst. Über die Streitereien auf Teenager-Niveau, heißt es, werde inzwischen hinter vorgehaltenen Händen nur noch gelacht.

Ist Hamilton der Erfolg etwas zu Kopf gestiegen?

Es hat den Anschein, dass Lewis Hamilton die Erfolge etwas zu Kopf gestiegen sind. Auf dem Fellbacher Podest trat er als dreimaliger Weltmeister an. Aufgestiegen in     einen erlauchten Kreis, dem Formel-1-Ikonen wie Ayrton Senna, Niki Lauda und Jackie Stewart angehören, steigt natürlich auch der Wert von Lewis Carl Davidson Hamilton, geboren in Stevenage, gefördert von einem Vater, der mehrerer Jobs ausüben musste, um den Sohnemann in den Rennsport zu bringen. Das hat ja auch wunderbar funktioniert.

Ganz oben angekommen, ist bei dem millionenschweren Superstar Hamilton junior das Gespür für den würdigen Auftritt wohl etwas ins Wanken geraten. Die Professionalität lässt doch sehr zu wünschen übrig, wenn sich der Rennfahrer etwa über einen aus London angereisten britischen Journalisten so lange lustig macht, bis dieser ihn im Ton eines Klassenlehrers maßregelt: „Lewis, beantworte bitte meine Frage!“ Tatsächlich hat Hamilton an diesem Mittag in Fellbach nicht alle an ihn gerichteten Fragen auf Anhieb verstanden. Das lag auch daran, dass er während der Pressekonferenz permanent an seinem Handy herumspielte, als gehe ihn der für Mercedes so wichtige Termin gar nichts an.

Ungehobelt, sagen die einen. Endlich mal wieder ein schillernder Fahrer mit Ecken und Kanten, sagen die anderen. Zweifelsfrei sorgt Hamilton mit seinem extrovertierten Lebensstil in der Formel-1-Welt der braven Buben durchaus für Abwechslung. Die On/Off-Beziehung zur Sängerin Nicole Scherzinger liefert den Klatschblättern jede Menge Stoff, wilde Karibik-Partys mit Rihanna und ein inzwischen beinahe zutätowierter Körper machen den Piloten zur Stilikone – und zu einem der letzten echten Popstars des Brumm-Brumm-Geschäfts. Er macht Musik, tourt von einem Jetset-Termin zum nächsten. Eines der hinreißendsten Bilder, die im Internet kursieren, zeigt Hamilton neben seinen offenbar neuen Kumpels Lionel Richie und Keith Richards.

Nicht immer zeigt der Brite vollen Einsatz

Ist der Weltmeister der Formel 1 entwachsen? Präsentationen wie die in Fellbach geben Anlass zu glauben, dass dem so ist. Die Arbeit in der Fabrik oder an der Teststrecke wird ihm ja auch fast schon zu viel. „Als ich das erste Mal ins Auto gestiegen bin, war es hart für mich, wieder reinzukommen“, sagt Hamilton, er habe gedacht, jetzt werde er alt. Überhaupt befindet sich der Rennfahrer in einer Phase des Nachdenkens. Im Interview mit dem Magazin „GQ“ stöhnt er nicht schlecht für einen Sportler, der im Jahr knapp 30 Millionen Euro verdient. „Die meiste Zeit meines Lebens war ich zu strikt, zu ernst, zu sehr involviert in zu viele Dinge. Alles drehte sich um den Beruf, mein soziales Leben war armselig“, sagt er. Wenn seine Freundin ihn fragte, ob sie beide ausgehen könnten, schickte er sie allein zum Feiern, weil der Pilot selbst am nächsten Tag trainieren musste. „Das nervt und ist nicht gerade gut fürs Privatleben“, ärgert sich Hamilton.

Dennoch: auf der Rennstrecke wird er auch 2016 sein, was er ist – ein hochtalentierter und gnadenlos agierender Instinktfahrer. Der vierte Titel würde ihn auf eine Stufe mit Alain Prost und Sebastian Vettel heben, im Ranking sind dann nur noch Michael Schumacher (7) und Juan Manuel Fangio (5) besser. Grund genug für Lewis Hamilton, zu einem weiteren Höhenflug anzusetzen. Gelandet wird dann im März 2017 wohl wieder in Fellbach. Und wie!