Der Ingenieur Metin Sitti ist herumgekommen: Istanbul, Tokio, Berkeley, Pittsburgh – und nun Stuttgart: am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme baut er gerade ein Labor auf und lobt die Chancen für seine Forschung mit kleinen Robotern.

Stuttgart - Noch hat Metin Sitti nicht viel zu zeigen. Er geht in das Nachbarbüro und holt einen Roboter mit Flügeln: „Unser Größter“, sagt er. Die Maschine ist einer Vampirfledermaus nachempfunden und kann flattern. Seine anderen Roboter sind zu klein zum Vorführen – und die meisten sind noch nicht einmal da.

 

Zum Beispiel die Kapsel zum Schlucken, die in der Medizin einmal das Endoskop ersetzen soll. Sie hat nicht nur eine Kamera, um Speiseröhre, Magen und Darm zu filmen, sondern lässt sich durch Magnete von außen hin- und herrollen. Sie kann Gewebeproben nehmen und Medikamente spritzen, ist aber bisher noch in keinem Lebewesen getestet worden. Die Kapseln und die dazugehörigen Laborgeräte sollen im Sommer kommen. Metin Sitti lebt zwar schon seit September in Stuttgart, und auch seine Frau und die beiden Kinder, fünf und sieben Jahre alt, sind da. Aber sein Labor am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme wird erst im Herbst fertig, schätzt er.

Für einen Direktorenposten an einem Max-Planck-Institut bewirbt man sich nicht einfach, man wird vielmehr gefunden. Über mehrere Jahre sind an dem Institut in Stuttgart-Büsnau mehrere Stellen vakant geblieben. Seit sich das Institut neu ausgerichtet hat, von der Metallforschung zu den intelligenten Systemen, werden diese nach und nach besetzt. Es sei nicht leicht, Kandidaten anzuwerben, sagen Sittis Kollegen – schließlich wähle man aus dem kleinen Kreis der Besten aus. Und Sitti sagt, es sei eine schwierige Entscheidung für ihn gewesen, seine Professur in den USA aufzugeben. Er hat dort ein Robotiklabor an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh geleitet.

Medizinische Anwendungen haben Vorrang

Auch wenn die Geräte noch fehlen – rund 20 Mitarbeiter hat Sitti in den vergangenen Monaten eingestellt. Auch Deutsche sind darunter, beispielsweise ein Biologe, der die Bewegungen von Insekten studiert, von denen sich Sitti Anregungen für seine kleinen Roboter erhofft. Damit ist er auch schon bei den Vorzügen seiner neuen Position: Er könne nun ein wirklich fachübergreifend arbeitendes Team aufbauen, sagt er. Für die medizinischen Projekte will er etwa einen Magnetresonanztomografen installieren und Mitarbeiter einstellen, die damit forschen können. „In den USA hätte ich dafür mit einer Uniklinik kooperieren müssen“, sagt er. „Das geht auch, aber es ist effizienter, alles in einem Labor zu haben.“

Außerdem lobt Sitti die Grundfinanzierung seines Instituts, die ihm eine langfristige Perspektive gibt. In den USA sei das Forscherleben stärker auf Wettbewerb ausgerichtet, für alles müsse man kämpfen. „Ich war zwar erfolgreich damit, aber es ist schon aufwendig und ermüdend“, sagt Sitti. Und nicht zuletzt hätten die Geldgeber einen großen Einfluss auf das, was geforscht wird. „Manchmal landet man bei einem Projekt, bloß weil es bezahlt wird und nicht, weil man sein Herz daran hängt.“ In Deutschland werde er sich vor allem um Roboter kümmern, die man in der Medizin anwenden könnte. Dort sehe er ein großes Potenzial für die Gesellschaft, außerdem sei man von militärischen Anwendungen weiter entfernt.

Welche Anwendungen das sein können, müsse er mit seinen Mitarbeitern jetzt festlegen, sagt Sitti. Er rechne seine Arbeit zwar zur Grundlagenforschung, die darauf zielt, Phänomene der Natur zu verstehen und Prinzipien für Roboter zu entwickeln, doch er könne nicht völlig frei von möglichen Anwendungen forschen. Er müsse zumindest wissen, in welcher Umgebung seine Roboter einmal arbeiten sollen.

Wenn sie zum Beispiel dafür gedacht sein sollten, in der Blutbahn eines Menschen zu schwimmen, dürfen sie das Immunsystem nicht zu gefährlichen Reaktionen stimulieren und müssen sich vom Körper abbauen lassen, wenn sie ihre Arbeit getan haben. Um diese Anforderungen kümmern sich dann die Materialforscher in Sittis Team. Ein Roboter, der hingegen in den Kanülen eines Diagnosegeräts arbeitet, muss andere Voraussetzungen erfüllen.

Pragmatische Haltung bei ethischen Fragen

Seit seinem Ingenieurabschluss in Istanbul ist Metin Sitti um die Welt gekommen. Er hat in Tokio gearbeitet, in Kalifornien und in Pittsburgh. Seine Kinder sind in den USA zweisprachig erzogen worden und sprechen Englisch und Türkisch. Nun lernen sie auch Deutsch. Er liebe die Bescheidenheit der Japaner und die Risikobereitschaft der Amerikaner, sagt Sitti. Am liebsten würde er die Vorzüge aller Welten kombinieren: eine kooperative Gruppe mit starken Persönlichkeiten, das wär’s. Für sich pflegt er einen sehr lockeren Stil: ungekämmt, mit Turnschuhen, das pinkfarbene Hemd steckt nicht in der Jeans.

Gehen die Japaner und Amerikaner mit weniger Vorbehalten an die Robotik heran als die Deutschen? Metin Sitti vertritt in ethischen Fragen einen pragmatischen Ansatz – wie auch sein Kollege Vijay Kumar, den er diese Woche zu einem Vortrag nach Stuttgart eingeladen hat: Man müsse zwischen den Vor- und Nachteilen abwägen und bei den Nachteilen, die man in Kauf nimmt, brauchbare Regeln einführen. „Da sind die Europäer von sich aus viel aktiver“, sagt Metin Sitti. Weil er selbst einige Tierversuche mit Mäusen und Schweinen plant, um zu zeigen, dass seine medizinischen Roboter zumindest im Prinzip funktionieren, verfolgt er die Diskussion um die Versuche mit Affen am Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik in Tübingen. „Wir müssen den Leuten zeigen, dass wir keine verrückten Wissenschaftler sind, die Tiere töten wollen, sondern müssen den wissenschaftlichen Nutzen erläutern“, sagt er.

Und was ist mit intelligenten, selbstständig arbeitenden Robotern? Sitti nennt Miniroboter als Beispiel, die aus winzigen Partikeln Maschinen zusammenbauen. Noch sei sein Team nicht so weit sie herzustellen, sagt er, aber eines Tages werde man auf Roboter angewiesen sein, die sich selbst vervielfältigen. Auch hier sieht Sitti kein grundsätzliches Problem: Man nutze in der Chemie und Pharmazie schließlich auch Zellen, die sich vermehren. Man müsse an den entscheidenden Stellen Mechanismen einführen, die es Menschen erlauben, einen außer Kontrolle geratenen Roboter zu stoppen. Seine Kapsel verliere zum Beispiel ihre Funktion, wenn die Steuergeräte außerhalb des Körpers ausgeschaltet werden. Dann wandert sie durch den Darm und wird bei nächster Gelegenheit ausgeschieden.