Das Gremium, das die Freiburger Doping-Vergangenheit aufarbeiten soll, scheint sich in Auflösung zu befinden. Zwei Mitglieder treten aus Protest gegen die Vorsitzende Letizia Paoli zurück. Vier verbleibende Mitglieder stärken der Kriminologin indes den Rücken.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Freiburg - Der Frieden nach dem „Friedensgipfel“ währte nicht lange. An guten Vorsätzen hatte es nicht gefehlt, als sich die Freiburger „Dopingkommission“ im Februar mit dem Unirektor Hans-Jochen Schiewer und Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) aussprach. Dank Bauers viel gelobter Vermittlung sollte alles besser werden: Konstruktiv wolle man fortan zusammenarbeiten, hieß es, Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit vermeiden und die Aufarbeitung der Freiburger Doping-Vergangenheit bis Jahresende geordnet zum Abschluss bringen. Man sei „auf der Zielgeraden“, formulierte die Ministerin hoffnungsfroh.

 

Zwei Monate später erscheint es fraglicher denn je, ob das Gremium unter Leitung der Kriminologin Letizia Paoli überhaupt noch ins Ziel kommt. Statt Frieden herrscht inzwischen offener Krieg unter den Mitgliedern, die Kommission scheint sich zusehends in Auflösung zu befinden. Wenige Tage nach dem Rauswurf des Mainzer Dopingexperten Andreas Singler, der gleichzeitig von sich aus seinen Ausstieg verkündete, gab es zu Wochenbeginn einen weiteren Abgang. Per Pressemitteilung verkündete der Münchner Strafrechtsexperte Heinz Schöch seinen Rücktritt – wie schon bei Singler verbunden mit schweren Vorwürfen gegen Paoli.

Kritik an der Vorsitzenden Letizia Paoli

„Beharrlichkeit und Durchsetzungswille“ der Vorsitzenden seien nicht zu bestreiten, schrieb Schöch, auch die „mediale Selbstvermarktung“ beherrsche sie eindrucksvoll. Die Leitung einer solchen Kommission aber gehöre „nicht zu ihren Stärken“. Niemals habe er „eine derartig unstrukturierte Planung und Sitzungsgestaltung erlebt“, schimpfte der emeritierte Professor. Zur „Verschleppung der Kommissionsarbeit“ könne er nicht länger schweigen, in der „festgefahrenen Lage“ bleibe für ihn nur der Rückzug.

Zugleich warb der Rechtsexperte um Verständnis für seinen Kollegen Singler, der die neuen Turbulenzen im März ausgelöst hatte. Eigenmächtig und unabgestimmt war er da mit Erkenntnissen aus den Akten zum Freiburger Sportmediziner Armin Klümper an die Öffentlichkeit gegangen. Seine Hauptbotschaft: die Unterlagen zu den Betrugsverfahren gegen Klümper, die sich die Kommission mühsam von der Justiz erkämpft hatte, belegten systematisches Doping auch im Fußball – namentlich beim VfB Stuttgart und beim SC Freiburg. In der Öffentlichkeit fanden die Enthüllungen ein beachtliches Echo, die beiden Fußballclubs gerieten prompt unter Druck. Intern aber wuchs der Unmut über Singlers Alleingang – und führte am vorigen Donnerstag zum Beschluss über seinen Ausschluss, mit sechs zu zwei Stimmen.

Eine der Gegenstimmen soll von Schöch gekommen sein, der das Vorgehen seines Kollegen nun prompt verteidigte. Für ihn sei es „durchaus nachvollziehbar“, Singler habe „seine Gewissensentscheidung überzeugend begründet“. Tatsächlich wäre die Kommission „von niemandem mehr ernst genommen worden“, wenn die Erkenntnisse aus den Klümper-Akten nicht von ihr, sondern von einem Journalisten öffentlich gemacht worden wären. Genau das, argumentiert Schöch, habe aber gedroht: Animiert von Paolis Andeutungen über „dopinghistorisch einzigartige“ Unterlagen habe ein SWR-Reporter bei der Freiburger Außenstelle des Landesarchivs Einblick beantragt und bewilligt bekommen. Das Vorpreschen Singlers sei daher „gerechtfertigt“ gewesen, um Schaden von der Kommission abzuwenden.

Singlers Rückschlüsse werden hinterfragt

Ein Jurist entschuldigt eine bewusste Regelabweichung – das verwundert auch deshalb, weil Singlers Schlüsse aus den Akten inzwischen kritisch hinterfragt werden. Womöglich habe er diese „überinterpretiert“, heißt es, zumindest mit Blick auf den SC Freiburg; nötig sei eine gründliche Prüfung. Die Kommission habe sich „für Form und Inhalt“ des Vorgehens von Singler entschuldigt, berichtete der VfB-Präsident Bernd Wahler vorige Woche nach einem Treffen in Freiburg. Am gleichen Tag erklärte Singler seinen Rücktritt und schoss scharf gegen die Kommissionsvorsitzende Paoli: Sie dominiere zwar die öffentliche Wahrnehmung des Gremiums, sei aber „kaum mit inhaltlicher Arbeit in Erscheinung getreten“.

Am Montag bekam Paoli prompt Rückendeckung von vier verbleibenden Mitstreitern. Die international renommierte Kriminologin sei „ein Glücksfall für die deutsche Doping-Aufklärung“, unterstrichen sie. Dank ihres Engagements seien die brisanten Akten erst zu Tage gefördert worden. Bei ihren Auftraggebern von der Uni habe sich die Vorsitzende mit ihrer Beharrlichkeit wohl „nicht beliebt gemacht“. Per offenem Brief appellierten die Unterzeichner an Ministerin Bauer, sie und der Unirektor Schiewer sollten sich ebenfalls „öffentlich und nachhaltig“ hinter Paoli stellen. Schiewer bedauerte am frühen Abend Schöchs Rücktritt und zeigte sich besorgt über den Fortgang der Arbeiten. Sein Appell: die „hartnäckige Aufklärungsarbeit“ der Vorsitzenden müsse „Früchte tragen“.