Zwei Jahre nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima kämpfen 5000 Menschen auf dem Kraftwerksgelände gegen die weitere Verstrahlung von Luft und Meer. Die Gesundheit der Bevölkerung, vor allem die Kinder, wird überwacht.

Stuttgart - Vor zwei Jahren, am Abend des 11. März 2011 um 20.50 Uhr Ortszeit, mussten die Menschen in einem Umkreis von zwei Kilometern um die sechs Reaktoren des Kernkraftwerks Fukushima-Daiichi ihre Häuser verlassen. Es war deutlich geworden, dass aus dem durch Erdbeben und Tsunami zerstörten Kraftwerk große Mengen radioaktiver Strahlung austraten. Bis zum Abend des folgenden Tages wurde die Evakuierungszone auf zwanzig Kilometer ausgeweitet, später zeitweise noch weiter. Einige Tage lang wehte der Wind aus Westen und trieb die strahlenden Partikel aufs Meer hinaus. Doch dann schlug der Wind auf Südost um, vor allem am 15. und 16. März. Die radioaktive Fahne trieb weit ins Land Richtung Nordwest. Bis Ende August 2011 verließen 146 520 Menschen ihr Zuhause. Viele von ihnen können bis heute nicht zurück, und sie werden es auf lange Zeit nicht können. Im April 2012 hat die japanische Regierung allerdings erste Einschränkungen aufgehoben. Manche Zonen dürfen wieder betreten werden, wenn auch nur für kurze Zeit. Die Region um das zerstörte Kraftwerk herum und ein breiter Streifen Richtung Nordwesten ist in Zonen und Flecken unterschiedlicher Verstrahlung aufgeteilt. Die Zonen eins und zwei dürfen wieder betreten werden. Zu übernachten ist aber verboten. Die beiden Zonen unterscheiden sich durch die Strahlenbelastung. Die liegt in Zone eins unter 20 Millisievert pro Jahr, in Zone zwei darüber (siehe Infos am Artikelende). In die letzte Zone, die Zone drei, könne „die Bevölkerung für längere Zeit nicht zurückkehren“, heißt es in einem Bericht, in dem die GRS den Stand der Dinge resümiert. Dort wird die Jahresdosis voraussichtlich in den nächsten fünf Jahren nicht unter 20 Millisievert sinken. Im Juni 2012 bezifferte der Kraftwerksbetreiber Tepco die Gebiete mit einer Belastung von mehr als 20 Millisievert in der Präfektur Fukushima auf 525 Quadratkilometer, die mit mehr als fünf Millisievert auf 1800 Quadratkilometer. In betroffenen Gebieten werden derzeit verstrahlte Böden abgetragen.

 

Kinder sollen regelmäßig untersucht werden

Über akute Strahlenschäden in der Bevölkerung oder bei Arbeitern gibt es bisher keine Berichte. Allerdings ist bekannt, dass kurz nach den Explosionen im Kraftwerk sechs Arbeiter mit mehr als 250 Millisievert und zwei weitere mit 2000 bis 3000 Millisievert belastet worden sind. Im Krankenhaus und bei einer Nachuntersuchung zwei Wochen später seien keine Gesundheitsschäden gefunden worden, berichtet das nationale Strahlenforschungsinstitut.

5000 Menschen arbeiten nach Informationen der GRS derzeit (Stand November 2012) auf dem Kraftwerksgelände. Arbeitskräfte und Teile der Bevölkerung werden langfristig auf Strahlenfolgen untersucht. Ein Überwachungsprogramm sieht vor, bei 360 000 Kindern aus der Präfektur Fukushima, die zum Zeitpunkt der Katastrophe noch keine 18 Jahre alt waren, lebenslang die Schilddrüse zu überwachen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft die Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung aber so gering ein, dass zum Beispiel die Zahl der zusätzlichen Fälle von Schilddrüsenkrebs innerhalb der normalen Schwankungen bleiben werde.

Betonbarrieren im Meer

In den Ruinen der vier zerstörten Kraftwerksblöcke wird unterdessen intensiv gearbeitet. Keines der Kraftwerke kann bisher betreten werden, doch gibt es Computersimulationen und vereinzelte Messungen. Nach denen sind die Reaktordruckbehälter der Blöcke eins bis drei, die zum Zeitpunkt der Katastrophe in Betrieb waren, undicht. Weil die Kühlung lange ausgefallen ist, dürften die Brennstäbe in allen drei Anlagen teilweise geschmolzen sein. In Block eins haben sie sich vermutlich rund 70 Zentimeter tief in den meterdicken Betonboden hineingeschmolzen. Die Temperatur im Inneren des Reaktors liegt immer noch bei gut 40 Grad. Täglich werden Hunderte Kubikmeter Wasser zur Kühlung in die Reaktoren eingespeist. Es fließt durch Lecks ab und wird – radioaktiv kontaminiert – in Tanks aufgefangen, deren Kapazität ständig erweitert werden muss; derzeit sind es 275 000 Kubikmeter. Das Wasser wird von dort aus zur Kühlung wiederverwendet, doch die Menge nimmt zu, weil Grundwasser in die Anlagen drückt. Gebaut wird an einem „Bypass“, der das Grundwasser um die gesamte Kraftwerksanlage herumleiten soll. Zum Meer hin wird zudem an einer mehrere Meter tief im Boden verankerten Betonbarriere gebaut. 70 000 Quadratmeter des Hafenbeckens vor den Reaktoren sind mit einer Betonplatte versiegelt worden, um das Aufquellen verseuchten Meeresgrunds und das Eindringen weiterer Strahlung in den Meeresgrund zu verhindern.

Der zerstörte Block eins hat inzwischen ein Gehäuse bekommen, das verhindern soll, dass weiter Strahlung in die Umgebung abgegeben wird. In Block zwei gab es durch einen Zufall keine Explosion, vermutet Tepco. Bei der Explosion von Block eins habe sich an Block zwei eine Druckausgleichsplatte gelöst, durch die das gefährliche Wasserstoffgas entweichen konnte. Block drei wurde durch eine Explosion schwer beschädigt und soll eine komplette „Einhausung“ bekommen. Eine solche ist um Block vier im Bau. Der bei der Katastrophe ausgeschaltete Block wurde, so vermutet Tepco, ein Opfer von Block drei. Durch einen gemeinsamen, ungenügend gesicherten Abluftkanal sei Wasserstoffgas von Block drei nach Block vier geströmt – und dort explodiert.

Strahlenwerte

Einheit
Die Belastung des Menschen durch radioaktive Strahlung wird in der Einheit Sievert gemessen. Da ein Sievert ein sehr hoher Wert ist, nutzt man in der Praxis ein Tausendstel davon, das Millisievert. In Deutschland liegt nach Angaben der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) die durchschnittliche natürliche Belastung durch Radioaktivität etwa im Gestein bei rund 2,1 Millisievert pro Jahr. Durch medizinische Untersuchungen kommen weitere durchschnittliche Belastungen hinzu, zum Beispiel durch Röntgenuntersuchungen (1,7 Millisievert pro Jahr) und nuklearmedizinische Untersuchungen (0,1 Millisievert pro Jahr).

Grenzwerte
Eine radioaktive Belastung von etwa einem Millisievert pro Jahr über die natürliche hinaus gilt in Deutschland als unbedenklich, da die natürliche Belastung stark schwankt. Wer beruflich mit radioaktiver Strahlung zu tun hat, darf im Jahr höchstens mit 20 Millisievert belastet werden.

Schäden
Wer sehr hoher Strahlung ausgesetzt ist (ein Sievert und mehr), kann zuerst Hautrötungen bekommen und dann strahlenkrank werden, was mit Übelkeit beginnt und mit dem Tode enden kann. Bei Werten darunter können Krebserkrankungen auftreten. Liegt die Belastung aber unter 100 Millisievert, ist nach Angaben der GRS eine erhöhte Krebsrate in einer betroffenen Bevölkerungsgruppe heute meistens statistisch nicht nachweisbar.