Mit der neuen Fußballsaison geht auch die Zeit der riesigen Kopfhörer wieder los. Dahinter stecken die Rap-Ikone Dr. Dre, der Basketballstar LeBron James – und cleveres Marketing.

Stuttgart - Was seinen Musikgeschmack angeht, ist Cacau eher konservativ. Er selbst zupft ja am liebsten auf seiner Cavaquinho, einer kleinen brasilianischen Gitarre – und hört vor allem Samba-Rhythmen und christliche Musik. Deshalb dachte sich der Stürmer des VfB Stuttgart auch bei Kopfhörern bis vor nicht allzu langer Zeit: „Eigentlich muss ja alles kleiner werden.“ Aber dann probierte er die „Beats by Dr. Dre“ aus – jene überdimensionierten, wie aus einem Stück gegossenen Kopfhörer in U-Form mit kolossalen Hörkapseln, die aussehen wie Saugglocken, und auf denen ein kleines „b“ prangt. „Wenn man damit mal Musik gehört hat, will man nichts anderes mehr“, sagt Cacau. Der 32-Jährige lobt deren Soundqualität, aber vor allem schätzt er an ihnen, dass man sich vollkommen abgeschirmt fühle. „Von außen dringt nichts an mich heran.“

 

Mit seiner Vorliebe für die monströsen Kopfhörer ist Cacau nur einer unter vielen Fußballprofis. Besonders die großen Stars tragen sie: Bastian Schweinsteiger, Mario Götze, Marco Reus, Mesut Özil, Lukas Podolski, Arjen Robben, Jérôme Boateng oder auch Real Madrids Cristiano Ronaldo und Barcelonas Gerard Piqué. Beim VfB sind es neben Cacau unter anderem Arthur Boka, Moritz Leitner und Daniel Didavi. Der Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff charakterisiert daher den neuen Fußballertypus so: „Es ist die Generation, die nach dem Spiel riesengroße Kopfhörer aufsetzt. Ich bin jetzt in meiner Welt, soll das signalisieren.“

Wenn an diesem Wochenende mit dem DFB-Pokal wieder die Fußballhochzeit beginnt, geht auch die Zeit der „Beats“ wieder los. Für viele Spieler gehören sie mittlerweile genauso zu ihren Fußballutensilien wie die bunten Schuhe. Nur dass sie die Kopfhörer nicht während der Partie nutzen. Dafür aber, wenn sie vom Mannschaftsbus zur Kabine gehen, wenn sie sich den Platz im Stadion anschauen, und dann wieder nach der Partie: in der Interviewzone und auf dem Weg zum Bus.

Das teuerste „Beats“-Modell kostet 400 Euro

Wie beliebt die „Beats by Dr. Dre“ bei den Topathleten sind, überrascht sogar den legendären Rapper aus den USA, der ihnen seinen Namen geliehen hat. „Wir wollten eigentlich nur einen besseren Sound kreieren und ändern, wie die Leute die Musik hören“, sagte er dem „ESPN-Magazin“. Andererseits will der 48-Jährige natürlich auch Geld verdienen – und er hat mit seinen großen Edelbeschallern einen boomenden Markt besetzt. Vergleichbare Daten gibt es nur von dem amerikanischen Marktforschungsinstitut NPD. Sie zeigen jedoch eindrucksvoll, welches Wachstumspotenzial die Branche besitzt. 2009 wurden in den USA mit Kopfhörern, die mehr als 75 Euro kosten, 45 Millionen Euro umgesetzt. Im vergangenen Jahr waren es bereits 645 Millionen Euro.

Davon profitiert vor allem „Beats“. 64 Prozent aller verkauften Luxuskopfhörer kommen von ihnen. Auf 265 Millionen Euro belief sich vor zwei Jahren der Umsatz der kalifornischen Firma, die Dr. Dre 2006 mit dem Musikmogul Jimmy Iovine gründete und erst vor fünf Jahren das erste Produkt herausbrachte. Außerdem kooperiert sie mittlerweile mit dem Autoriesen Chrysler, dem Computerhersteller HP und dem Smartphone-Unternehmen HTC. Sechs Kopfhörermodelle mit dem kleinen „b“ gibt es. Das günstigste kostet 200 Euro, das teuerste saftige 400 Euro.

Der Höhenflug von „Beats“ begann 2008 – und er hängt direkt mit einem der bekanntesten Sportler der Welt zusammen: LeBron James. Der amerikanische Basketballprofi war der erste Athlet, der einen „Beats“-Kopfhörer trug. Er kennt Dr. Dre und Iovine und bekam 2008 während der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele einen Prototyp. James orderte weitere für seine Teamkollegen, und als die Superstars in Peking damit zu sehen waren, setzte der Hype ein.

Dortmunds Marco Reus besitzt ein besonderes Unikat

Vom Football-Quarterback Tom Brady bis zur Tennis-Weltranglistenersten Serena Williams schwören seitdem zahlreiche Topsportler auf die „Beats“. Sie schätzen die verstärkten Bass-Level, die ein Gefühl kompletter Abschottung vermitteln. Aber besonders auch das Design. „Sie hören viel Musik und finden die Kopfhörer cool“, sagt Kai Birras. Er ist Marketingleiter der Firma Sportstotal, die unter anderem Mario Götze und Marco Reus berät. „Beide bekommen von ,Beats‘ auch Sondermodelle.“ Der Dortmunder Reus ließ sich vor dem Champions-League-Finale ein besonderes Unikat anfertigen. Dessen befreundeter Graffitikünstler René Turrek, der einen Vertrag mit „Beats“ hat, gestaltete ihm einen personalisierten Kopfhörer, inklusive seines Kürzels „MR11“. Seitdem kann sich der 35-Jährige nicht mehr vor Aufträgen von anderen Fußballprofis retten. Der Preis von 1200 Euro schreckt sie nicht ab. „Sie wollen das Exklusive“, sagt Turrek. Derzeit arbeitet er an Modellen für Lukas Podolski, drei Barça-Stars – und LeBron James.

Der 28-jährige Basketballer besitzt sogar Anteile an „Beats“ und ist zugleich deren stärkstes Marketinginstrument. Er verkauft die Idee, dass man sich mit den richtigen Kopfhörern besser konzentrieren und bessere Leistungen zeigen kann. Immerhin hat er als wertvollster Spieler (MVP) die Miami Heat zu zwei Meistertiteln in der NBA geführt, seit er die „Beats“ trägt. Doch so sehr die Firma die Werbemaschinerie befeuert – helfen die Kopfhörer wirklich?

„Beats“ als Modeaccessoire

„Musik auf dem Kopfhörer zu hören ist kein Allheilmittel für eine stärker fokussierte Leistung“, sagt der Sportpsychologe Stefan Straub. „Wer sich nur von Lieblingsliedern vor dem Spiel berieseln lässt, erhält eine Wirkung wie bei einem Breitband-Antibiotikum. Das ist zu ungesteuert, es kann helfen, muss aber nicht.“ Der 52-Jährige aus Wernau, der auch Athleten in Stuttgart betreut, empfiehlt gezielt vorbereitete Musik (langsam zum Entspannen/schnell zum Aufputschen) oder gesprochene Texte mit Musikunterlegung zur Motivation und Emotionsregulation.

In puncto Informationsverarbeitung kann man die Menschen grob in zwei Typen aufteilen: in Sensitizer, die viele Eindrücke brauchen – als Sportler also auch viel Kontakt mit dem Publikum. Und in Represser, die keine Informationsflut wollen. Für Fußballer, die am liebsten all das Drumherum zurückdrängen, um sich voll konzentrieren zu können, ist es laut Straub eher sinnvoll, zum Kopfhörer zu greifen.

Alle anderen Profis nutzen die „Beats“ also vor allem als Modeaccessoire – Dr. Dre und LeBron James wird es egal sein.