Geschenke hier, Vergünstigungen da – Pharmaunternehmen halten gerne Kontakt zu Ärzten und Forschern. Nur einige wenige Mediziner prüfen, wie sie beeinflusst werden, und suchen nun nach Wegen, sich und ihre Patienten zu schützen.

Hannover - Bei den Kugelschreibern fängt es an. In seiner Studienzeit, berichtet der emeritierte Medizinethiker Bernard Lo aus San Francisco, hätten im Krankenhaus und an der Uni immer genügend Kugelschreiber herumgelegen – mit den Schriftzügen der Pharmaunternehmen und ihrer Produkte. Das gebe es in den USA heute nicht mehr. „Aber ich glaube nicht, dass ich mich von einem Kugelschreiber beeinflussen lasse“, sagt Lo und fügt schnell hinzu: „Das glaube ich zumindest.“

 

Lo hat 2009 einen Bericht zu Interessenkonflikten in der Medizin herausgegeben. Deshalb hat ihn die Volkswagen-Stiftung zu einer Tagung nach Hannover eingeladen. Sie will diskutieren, wie sich Nachteile für Patienten verhindern lassen, wenn ihre Ärzte oder forschende Mediziner noch anderes im Blick haben als deren Wohl. So ist zum Beispiel möglich, dass Forscher ein Medikament besser bewerten, wenn sie ein Patent daran halten oder den Hersteller beraten. Ebenso könnten Ärzte mit solchen Interessenkonflikten das Medikament auch dann verschreiben, wenn es nicht die optimale Therapie ist.

Dass Mediziner zu oft in dieser Weise beeinflusst werden, sagen alle 60 Teilnehmer der Tagung. Doch wenn, dann sehen Ärzte die Beeinflussung viel eher bei ihren Kollegen als bei sich selber, wie eine Umfrage von Klaus Lieb zeigt. „Ein trügerisches Gefühl“, sagt der Mediziner. Lieb hat die Ärztekampagne „Mein Essen zahl’ ich selbst“ (MEZIS) mitgegründet und die Tagung in Hannover mitorganisiert.

In Deutschland sind 15.000 Pharmavertreter unterwegs

Der Soziologe Eric Campbell von der Harvard-Universität stützt Liebs Verdacht mit einer neuen Studie. Er hat Ärzte gefragt, wie sie reagieren, wenn ein Patient ein Markenmedikament verlangt, obwohl es ein billigeres Generikum mit gleichem Wirkstoff gibt. Campbell fand einen statistisch relevanten Zusammenhang mit einer anderen Frage: ob die Ärzte von Pharmavertretern kostenlose Arzneimittelmuster annehmen. Von denen, die das tun, erfüllen 40 Prozent den Wunsch des Patienten und verschreiben das Markenprodukt; von denen, die sich weigern, etwas von Pharmavertretern anzunehmen, machen das nur 31 Prozent. Ein kleiner Effekt, aber sicher nicht der einzige. Die Pharmaindustrie hat 2011 nach eigenen Angaben in  den USA 15,7 Milliarden US-Dollar für Praxisbesuche ausgegeben. Und MEZIS schätzt, dass in Deutschland 15.000 Pharmavertreter unterwegs sind.

Campbell gehört zu denen, die schon Kugelschreiber zu den Geschenken zählen, von denen sich Mediziner – auch ohne es zu merken – beeinflussen lassen. In einer Umfrage hat seine Mitarbeiterin Kirsten Austad ermittelt, dass ein Drittel der amerikanischen Medizinstudenten schon in ihrem ersten Studienjahr Geschenke von Pharmavertretern bekommen, obwohl viele Hochschulen dies untersagen.

Auch die Ehrenvorsitzende des Verbands Frauenselbsthilfe nach Krebs, Hilde Schulte, kennt das Problem. Zehn Jahre ist es her, dass der Verband begann, sich selber skeptisch zu betrachten. Unternehmen seien an einzelne der rund 400 Gruppen herangetreten, erzählt Schulte, hätten Informationsmaterial und eine Förderung von 300 oder 500 Euro angeboten – „für unsere Verhältnisse viel Geld“. Auf den Jahrestagungen seien Firmen mit Infoständen präsent gewesen und hätten im Verbandsmagazin Anzeigen schalten dürfen. „Wir geben aber keine medizinischen Ratschläge“, sagt Schulte. „Wofür müssen wir dann die neuesten Medikamente kennen?“

Inzwischen gebe es das alles bei der Frauenselbsthilfe nicht mehr, sagt Schulte, denn man wolle keinen Vertrauensverlust riskieren. Aber sie verstehe, was damals geschehen sei: Die Mitglieder hätten sich durch das Interesse der Pharmavertreter geschmeichelt gefühlt – und sie hätten bei Ärzten beobachtet, dass es dort nicht anders läuft. „Es ist interessant zu sehen“, sagt Schulte, „dass sich diese menschliche Schwäche, die es letztlich ist, durch das ganze System zieht.“

Transparenz hat nicht immer den gewünschten Effekt

Für die deutschen Universitätskliniken wünscht sich Klaus Lieb ebenfalls Regeln zum Umgang mit der Pharmaindustrie, es gibt aber bis jetzt keine. Als weiteres Problem gelten die Fortbildungen, die Ärzte regelmäßig absolvieren müssen. Auf der Tagung in Hannover war sich das Publikum bei einer Abstimmung uneins darüber, ob solche Seminare pharmafrei sein müssten oder ob man das Sponsoring akzeptieren könne, wenn die Firmen in einen Fonds einzahlen, der Fortbildungen unterstützt. Auf die Frage, wer dafür sei, dass alles beim Alten bleibe, gab es aber nur Gelächter. Am Ende der Tagung sagte Lieb, dass er zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwanke.

Lieber wäre es den Medizinern, wenn sie genauer belegen könnten, auf welchen Wegen sich Vergünstigungen auswirken. Eric Campbell schlägt vor, erst einmal alle zu verpflichten, ihre Interessenkonflikte offenzulegen, und diese Informationen dann auszuwerten, bevor man konkretere Regeln beschließt. Es wird aber auch davor gewarnt, Regelungen mit dem Argument aufzuschieben, man müsse erst einmal die Einflussmechanismen genauer untersuchen.

Offen ist nicht zuletzt, wie man damit umgehen sollte, wenn Mediziner ihre Interessenkonflikte offenlegen. Wie würde beispielsweise ein Patient reagieren, wenn er erfährt, dass sein Arzt hohe Honorare von einem Pharmakonzern erhält? Aus Sicht der Tagungsteilnehmer könnte der Schuss nach hinten losgehen. Denn es sei zu befürchten, dass der Patient denkt, er habe es mit einem gefragten und daher hochkarätigen Mediziner zu tun.

Auch Pharmafirmen haben Interessenkonflikte

Ende Februar hat Roche angekündigt, alle Studienprotokolle zur Verfügung zu stellen, die nicht über die Zulassungsbehörden bezogen werden können. Tom Jefferson hat sogleich an das Pharmaunternehmen geschrieben: Würden nun, nach drei Jahren, endlich die vollen Daten zum Grippemittel Tamiflu veröffentlicht? Der Mediziner leitet ein Team des Cochrane-Netzwerks, das medizinische Studien zusammenfasst und auswertet. Er hat Zweifel daran, dass Tamiflu so wirksam ist wie behauptet und die hohen Investitionen der Länder in das Mittel rechtfertigt. Um das zu klären, möchte er alle Daten auswerten (die StZ berichtete). In seinem Brief fragt er provozierend, ob Roche die vollständigen Protokolle überhaupt besitze.

Es sei ein zermürbender Kampf, sagt Fiona Godlee, die Chefredakteurin der Fachzeitschrift „British Medical Journal“, die Jefferson unterstützt. Roche habe sich in eine Sackgasse manövriert und es bleibe nichts übrig, als immer wieder nachzuhaken. Für Godlee ist auch das ein Interessenkonflikt: Firmen wollen mit neuen Therapien den Patienten und der Gesellschaft helfen, sind aber in erster Linie ihren Aktionären verantwortlich.

Sind Studiendaten Privateigentum oder Gemeingut?

Das Unternehmen Pfizer hat vor einigen Jahren eine Ausnahme gemacht und dem Kölner Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen neun unveröffentlichte Studien zu Reboxetin übermittelt, einer Arznei, die bei Depressionen eingesetzt wird. Diese Studien hatten eins gemeinsam: Sie ergaben, anders als die acht publizierten Studien, keine Wirkung für Reboxetin. Auch in der Summe aller Studien war die Wirkung so gering, dass die gesetzlichen Krankenkassen das Mittel aus ihrem Leistungskatalog strichen.

Vielleicht wird die EU helfen. Hans-Georg Eichler von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) vertritt die Position, dass klinische Studien kein Privateigentum seien und nicht geheim gehalten werden dürften. Gerd Antes, der in Freiburg das deutsche Cochrane-Zentrum leitet, sieht darin ein hoffnungsvolles Zeichen. Er baut zudem mit Kollegen ein deutsches Register aller klinischen Studien auf. Mit dessen Hilfe soll man künftig leichter erkennen, wo Ergebnisse nicht veröffentlicht werden. Das neue Register kooperiert mit den Ethikkommissionen, die alle klinischen Studien genehmigen müssen. Doch auf der Tagung der Volkswagen-Stiftung in Hannover wurde ein Riss deutlich: Während Antes noch viel Arbeit vor sich sieht, hält Joerg Hasford vom Arbeitskreis der Ethikkommissionen das Problem zumindest bei den Arzneimitteln weitgehend für gelöst.

Wie gut funktionieren die neuen Transparenzregeln?

Hasford, der Vorsitzende des Arbeitskreises, verweist auf einen neuen Paragrafen im Arzneimittelgesetz: Er schreibt vor, dass alle Studien – egal, wie sie ausgehen – an das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information gesandt werden müssen, das wiederum die Berichte in eine offene Datenbank stellt. Antes spricht hingegen von Schlupflöchern: Bis kurz vor der Bundestagsentscheidung hätte der Gesetzentwurf vorgesehen, dass die Firmen die Studien veröffentlichen.

Die EMA betreibt bereits eine Datenbank aller klinischen Studien, die eine offizielle EU-Nummer erhalten haben. „Das Unmögliche ist nur, dass die Behörden oft mauern“, sagt Hasford. Und der EMA fehle zuweilen das Geld, um die Datenbank zu pflegen. Dennoch findet er, dass große Fortschritte gemacht worden seien. „Bei den Arzneimitteln braucht man daher nicht unbedingt ein zusätzliches deutsches Register in Freiburg.“ Antes sieht in der EMA-Datenbank hingegen keine ernst zu nehmende Alternative. Er beklagt zudem, dass nur 8 der 53 deutschen Ethikkommissionen ihren Antragstellern empfehlen, die jeweilige Studie beim deutschen Register in Freiburg zu anzumelden.

Einig sind sich Hasford und Antes darin, dass über das Arzneimittelrecht nur die Hälfte der medizinischen Studien erfasst wird. Vor allem für die Medizinprodukte wie etwa Hüftprothesen gebe es keine vergleichbaren Regeln zur Veröffentlichung der Studien, kritisieren beide.