Der Gewerkschaftsbund wirbt für einen Politikwechsel bei der Bundestagswahl, meidet jedoch eine zu große Nähe zur SPD.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat es zumindest versucht. Er hat sich bemüht, eine Wählerklientel zu mobilisieren, ohne die der Sozialdemokrat ohnehin keine Chance hätte: die Gewerkschafter. Er hat den linksorientierten Vorsitzenden der IG Bau, Klaus Wiesehügel, in sein Wahlkampfteam geholt und ihm den Posten des Arbeitsministers versprochen. Anfang nächster Woche gibt Wiesehügel seinen Vorsitz beim Gewerkschaftstag in Berlin ab. Steinbrück spricht am Montag ein Grußwort, Parteichef Sigmar Gabriel hat am Dienstag seinen Auftritt. Auch Jürgen Trittin (Grüne) und Gregor Gysi (Linke) betreiben zwar Wahlkampf, doch vor allem die Genossen werben mit aller Kraft um ihre Stammwählerschar, die ihnen zum Teil in den vergangenen Jahren verloren gegangen ist.

 

Auf beiden Seiten ist die alte Liebe noch nicht erkaltet. Die SPD sei wieder die Partei der kleinen Leute, lobt der DGB-Vorsitzende Michael Sommer. Mit der jetzigen Tonlage könne sie wieder bei ihrer Kernklientel punkten. Doch ist der Funke, wie er hofft, tatsächlich übergesprungen? Von etlichen gestandenen Betriebsratschefs großer Aktiengesellschaften erhält der Kanzlerkandidat klaren Rückhalt. Ihre Forderungen seien „nur mit einer starken Sozialdemokratie“ umsetzbar, verkündeten sie in einem Wahlaufruf, zu dessen Erstunterzeichnern Uwe Hück (Porsche) und Erich Klemm (Daimler) gehören: „Darum unterstützen wir am 22. September Peer Steinbrück und die SPD.“

Statt Wahlempfehlung ein Appell: wählen gehen

Der DGB als Gesamtorganisation hingegen bleibt formal lieber auf Distanz – lange vorbei sind die Zeiten, als man sich an die SPD klammerte. Denn damit würden die Gewerkschaftsführer alle jene Arbeitnehmer in ihren Reihen verprellen, die der Linkspartei oder der Union nahe stehen, und das eigene Lager spalten. Somit stellt der DGB, wo immer er sich zum 22. September äußert, den Appell in den Vordergrund, zur Wahl zu gehen – wissend, dass der Frust über die Politik viele Mitglieder vom Urnengang abhalten könnte. Keine andere Großorganisation, von den Parteien abgesehen, stemmt sich derart engagiert gegen eine niedrige Wahlbeteiligung.

Der von Sommer monierten „Entpolitisierung des Wahlkampfs“ stellt der Gewerkschaftsbund seine inhaltlichen Forderungen entgegen. „Die Bundestagswahl ist eine Chance, um für einen Politikwechsel zu sorgen“, heißt es in dem DGB-Aufruf. Das Land brauche eine gerechtere Politik anstelle einer einseitigen Sparpolitik, die Beschäftigte, Rentner und Arbeitslose bezahlen müssten. Diese sei „dafür verantwortlich, dass die Armut in unserem reichen Land trotz sinkender Arbeitslosigkeit immer größer wird“. Es ist offensichtlich, dass dies gegen Schwarz-Gelb geht. Von Neutralität kann somit keine Rede sein. Auch den Stellungnahmen der Gewerkschaftsführer ist der Wunsch zu entnehmen, dass die neue Regierung ohne die FDP gebildet werden soll – was die Liberalen sehr empört.

Distanz zum Kanzlerkandidaten

Und wenn schon Rot-Grün keine Mehrheit bekomme, so möge es wenigstens eine große Koalition werden, hoffen nicht wenige Arbeitnehmervertreter. Damit haben sie in der Krise gute Erfahrungen gemacht. Eine rot-rot-grüne Allianz hingegen wird allenfalls von denjenigen Funktionären offen favorisiert, die in der Linken aktiv sind. Diese Einseitigkeit ärgert wiederum den Linkspartei-Chef und ehemaligen Verdi-Geschäftsführer Bernd Riexinger, der Michael Sommer & Co. vorwirft, den DGB zur „fünften Kolonne“ der SPD zu machen und damit den Gewerkschaften zu schaden.

Die Distanz zum Kanzlerkandidaten selbst, der die Agenda 2010 tapfer verteidigt, hat das Gros der Arbeitnehmervertreter freilich nie ganz aufgegeben. Eine sichere Bank sind die Gewerkschafter also nicht für Steinbrück. Und als er im TV-Duell andeutete, man könne ja auch die Pensionen kürzen, da hagelte es nicht nur Kritik vom Beamtenbund, sondern auch vom DGB.