Wegen systematischer Schlamperei bei der Abfertigung gehen der EU Steuereinnahmen verloren. Nicht nur der EU-Haushalt und der ­Fiskus in den vier Mitgliedsländern wurden geschädigt.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Die Enthüllung der EU-Antikorruptionsbehörde Olaf kommt zur passenden Zeit: Wenige Tage bevor London formell den Austrittsantrag in Brüssel einreichen wird, werden systematische Schlampereien beim britischen Zoll bekannt, die der EU einen milliardenschweren Schaden eingebrockt haben. Deutschland und drei anderen Ländern entgehen dadurch zusätzlich noch Steuereinnahmen in Milliardenhöhe.

 

Wissen muss man zunächst: Alle Zölle, die die EU-Mitgliedstaaten einnehmen, stehen laut den Verträgen der EU zu. Sie sind die Eigenmittel der EU und tragen mit einem Anteil von etwa 15 Prozent neben den Zuweisungen aus den Hauptstädten zum Etat der EU bei. Die EU-Mitgliedsländer müssen die Zölle erheben und bis auf einen überschaubaren Anteil von Verwaltungskosten, der ihnen zusteht, nach Brüssel weiterleiten.

Waren zu niedrig bewertet

Nun zu dem aktuellen Fall in England: Olaf ist aufgefallen, dass die britischen Zollbehörden über vier Jahre lang systematisch Textilien und Schuhe aus China zu niedrig bewertet haben. Dadurch wurden die Zölle zu niedrig angesetzt. In den Jahren 2013, 2014, 2015 und 2016 soll der britische Zoll nach vorsichtigen Schätzungen von Olaf so insgesamt rund zwei Milliarden Euro zu wenig Einfuhrzoll für die Ware kassiert haben. Den Ermittlern war aufgefallen, dass der britische Zoll bei Damenhosen aus China im Schnitt mit 0,91 Euro je Kilogramm einen noch geringeren Wert angesetzt hatte als der Weltmarktpreis in Höhe von 1,44 Euro je Kilogramm bei unverarbeiteter Baumwolle betrug. Im Rest der EU lag der deklarierte Wert dieser Ware dagegen im Schnitt bei gut 26 Euro je Kilogramm.

Strukturen der organisierten Kriminalität

Das ist aber noch nicht alles. Es gibt Hinweise, dass das kein Zufall war, sondern dass dahinter Strukturen der organisierten Kriminalität stecken. Denn in einem weiteren Schritt betrieben die Drahtzieher Mehrwertsteuerbetrug. Die Ermittler gehen davon aus, dass Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien so zusätzlich um Einnahmen bei der Mehrwertsteuer von insgesamt 3,5 Milliarden Euro geprellt wurden. Die Textilien sind überwiegend in diesen EU-Ländern auf den Markt gekommen. Das Steuerrecht erlaubt, dass dann auch dort die Mehrwertsteuer bezahlt wird. Nicht erlaubt sind allerdings die Karussellgeschäfte mit der Mehrwertsteuer, durch die der Fiskus um den genannten Betrag betrogen wurde. Offensichtlich wussten die Hintermänner sehr genau, wo sie eine Schwachstelle im Zoll der EU finden. Die Ware wurde nämlich zunächst per Containerschiff aus Fernost nach Hamburg oder Rotterdam transportiert. Dort wurde sie dann in verplombte Lastwagen umgeladen und nach Dover gefahren. Der Weitertransport in ein anderes EU-Land, wo die Ware dann offiziell importiert und verzollt wird, ist ein gängiges und völlig legales Verfahren.

Nicht nur der EU-Haushalt und der Fiskus in den vier Mitgliedsländern wurden geschädigt. Auch andere Importeure von Textilien in die EU sowie Händler im Binnenmarkt waren gegenüber den Importeuren chinesischer Textilien im Nachteil. Die Antikorruptionsbehörde der EU empfiehlt der EU-Kommission, die entgangenen Zolleinnahmen in London zurückzufordern.