Von 2020 an darf Baden-Württemberg keine neuen Schulden mehr machen. Die Unterfinanzierung des Haushaltes muss bis dahin beseitigt sein. Die Frage ist nur: wie soll das gehen?

Stuttgart - Intelligent kürzen und nicht brachial; dabei mit einklagbarer Verbindlichkeit die strukturelle Unterfinanzierung des Landeshaushalt beenden – so könnte es Baden-Württemberg schaffen, bis zum Jahr 2020 das grundgesetzlich verankerte Verschuldungsverbot einzuhalten. Das ist die Quintessenz eines 160 Seiten starken Gutachten der Hertie School of Governance, Berlin. Wirtschafts- und Finanzminister Nils Schmid (SPD) hatte es in Auftrag gegeben. Gestern stellten er und zwei der Gutachter, die Professoren Henrik Enderlein und Jobst Fiedler, es in Stuttgart vor.

 

Es gibt zu dieser Analyse auch eine politische Vorgeschichte. 2007 war in der Landeshaushaltsordnung (LHO) ein Schuldendeckel eingeführt worden. Demnach darf der Schuldenberg des Landes nicht höher werden, als er Ende 2007 war. Unter außerordentlichen Umständen erfolgte Kreditaufnahmen müssten spätestens binnen sieben Jahren zurückgezahlt sein. Solche Umstände kamen mit der Finanzkrise rasch. Der Fiskus nahm 2009 um elf Prozent weniger ein.

Rücklagen sind aufgebraucht

Die Steuereinnahmen wachsen zwar wieder; sie folgen aber einem Pfad, der weit unterhalb der Erwartung liegt, die in der mittelfristigen Finanzplanung in jenem Jahr 2007 festgeschrieben wurde. Die Kosten, etwa für das Personal, seien hingegen nicht eingebrochen, so die Gutachter. Deshalb ist der Etat inzwischen strukturell in der Größenordnung von 2,5 Milliarden Euro unterfinanziert. Durch Auflösung von Rücklagen habe das Loch bis zuletzt noch gestopft werden können. Das Polster ist aufgebraucht, das strukturelle Defizit aber noch da. Darum hat Grün-Rot ja auch schon angekündigt, neue Kredite aufnehmen zu müssen.

Die CDU hat mit Hinweis auf den Schuldendeckel der LHO moniert, Grün-Rot verstoße mit seinem Verschuldungsplan gegen das Gesetz. Die Gutachter stellen nun fest, der Schuldendeckel aus dem Jahr 2007 sei zwar eine „Pionierleistung des Landes“ gewesen. Dadurch sei auch der Weg dafür geebnet worden, dass die Schuldenbremse Eingang ins Grundgesetz gefunden habe. Doch gerade dadurch bestehe Änderungsbedarf an der Regelung des Landes.

Lange Vorlaufzeit nötig

Der LHO-Deckel setze falsche Anreize, sagt Henrik Enderlein. Statt der eigentlich notwendigen strukturellen Eingriffe „wird kurzfristig gespart, wo es am meisten wehtut und am wenigsten nützt“, etwa bei den Investitionen. Der Abbau struktureller Belastungen brauche aber eine lange Vorlaufzeit und müsse deshalb frühzeitig angestoßen werden. Beispiel Personalausgaben: da beim Staat niemand entlassen werde, könne man nur über natürliche Fluktuation Stellen einsparen. Die Betroffenen wechseln vom aktiven in den passiven Modus, fallen zwar aus dem Stellenplan heraus; der Aufwand für sie sinkt aber nur von hundert Prozent Gehalt auf 71 Prozent Pension, also kurzfristig lange nicht so stark.

Enderlein schlägt deshalb vor, für die verbleibenden acht Jahre „einen gleichmäßigen Abbaupfad festzuschreiben“, auf den sich die Regierung verpflichtet. Am besten definiere man Limits, bis zu denen die Ausgaben wachsen dürfen. Deren Wachstum müsse dabei unter dem der Einnahmen liegen. „Die Ressorts müssen mit diesem Rahmen auskommen und können darin politische Schwerpunkte setzen“, ergänzte Schmid. Die Ressorts seien am nächsten an den Themen dran.

Wieder der Vorreiter

Die Gutachter schlagen weiter vor, „den Bindungsgrad zu erhalten“. So soll in die Landesverfassung nicht nur – analog zum Grundgesetz – die Schuldenbremse hineingeschrieben werden. In einer Übergangsvorschrift soll auch der Abbauweg bis 2020 Verfassungsrang erhalten. Es soll auch festgehalten werden, dass die Landesregierung dem Landtag Jahr für Jahr den Defizitabbauplan vorzulegen hat. Hält sie sich nicht daran, kann eine Fraktion das beim Staatsgerichtshof beanstanden. Das Land übernehme dann erneut ein Vorreiterrolle.

Schmid lud die Fraktionen zu Gesprächen ein. Für eine Verfassungsänderung ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig. Er wiederholte, die Dimension des Defizits zeige, „dass wir auch Einnahmeverbesserungen brauchen, nur über Ausgabenkürzungen wird man das nicht schaffen.“

Für die Grünen-Fraktion lobte deren finanzpolitische Sprecherin Muhterem Aras das Gutachten als „hervorragende Vorlage“. SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel lud die Opposition ein, „konstruktiv“ mitzuwirken. CDU-Fraktionschef Peter Hauk stellte fest, das Gutachten „wäre entbehrlich gewesen“, wenn sich die Regierung mit den CDU-Vorschlägen auseinandergesetzt hätte. Für FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke ist es ein „Gefälligkeitsgutachten“. DGB-Landeschef Nikolaus Landgraf hält die Schuldenbremse für gefährlich. Sie in die Verfassung zu schreiben, sei falsch.