Im Land hat sich bei den Gebäuden von Hochschulen und Universitäten ein massiver Sanierungsstau aufgebaut. Allein an der Uni Stuttgart wird der Finanzbedarf auf 640 Millionen Euro geschätzt.

Stuttgart - Die Eingangshalle des Gebäudes 55 ist mit roten Steinen ausgelegt, doch am Boden fallen hier und da graue Flecken auf. Hier haben sich die Steine gehoben, es gab Risse, und am Ende wurde das Loch zugespachtelt. Nicht schön, aber zweckdienlich. Das Gebäude auf dem Vaihinger Campus der Universität Stuttgart ist schon 40 Jahre alt. Es ist eines der zwei weithin sichtbaren Hochhäuser dort und beherbergt vor allem die Chemie. Im zehnten Stock dröhnen die Klimaanlagen, die Labordämpfe absaugen. Hier wird für jedermann deutlich, wie marode das Haus inzwischen ist: An den Fenstern ist der Lack abgeblättert, Wasser ist in die Holzrahmen eingedrungen. Es modert, in manchen Zimmern pfeift der Wind durch die rissigen Fugen, und wenn der Regen auf die Fenster prasselt, dann läuft auch Wasser hinein.

 

Die Univerwaltung präsentiert die Fenster als augenfälligen Beleg dafür, dass bald gehandelt werden muss. Das Chemie-Hochhaus soll das nächste große Sanierungsprojekt werden. Nicht nur die Fenster sind marode, auch Wasserleitungen und Haustechnik müssen erneuert werden. Im Grunde sei nur noch die Grundsubstanz in gutem Zustand, sagt der Baudezernent Kai Bäuerlein, also der Beton. „Das Gebäude ist technisch ans Ende seiner Lebensdauer gekommen.“ In den kommenden 10 bis 15 Jahren will er es grundsanieren. Dann ist das große Nachbargebäude an der Reihe.

Zuständig ist letztlich das Finanzministerium

Für den Start peilt Bäuerlein den Doppelhaushalt 2015/2016 des Landes an. Zuständig für die Sanierung ist dann nicht er und auch nicht das Wissenschaftsministerium, sondern das Universitätsbauamt, das dem Finanzministerium unterstellt ist. „Wir haben im Grunde die Rechte eines Mieters“, beschreibt Bäuerlein die Lage. Man darf also nichts ohne Zustimmung verändern, trägt aber die Kosten für Heizung und Wartung. Aus Bäuerleins Sicht ist die Situation kritisch: Wenn jetzt ein Fassadenteil herabfalle, könne man womöglich das Gebäude nur noch schließen. „Zum Glück mussten wir das noch nicht tun.“

Der Bau der Hochschulen ist chronisch unterfinanziert. Schon 2003 beklagte der Wissenschaftsrat, ein Beratungsgremium für die Politik, dass jedes Jahr bundesweit eine Milliarde Euro für den Hochschulbau fehle. Für die Universität Stuttgart berechnete der der Landesrechnungshof damals einen Sanierungsstau von 430 Millionen Euro. Inzwischen schätzt das Land den Bedarf der Hochschule auf 640 Millionen Euro. Zwei Prozent des Neubauwerts müsse man typischerweise jährlich investieren, um ein Gebäude in Schuss zu halten, sagt Bäuerlein, im Fall der Universität Stuttgart also rund 40 Millionen Euro im Jahr. Es würden im Mittel aber nur 30 Millionen Euro investiert.

Unis fordern Finanzierungskonzept

Die Kanzler der deutschen Universitäten, also die Leiter der Verwaltungen, haben im vergangenen Jahr eine Erklärung verabschiedet: Sie fordern „ein von allen beteiligten staatlichen Ebenen gemeinsam getragenes Finanzierungskonzept“ – gemeint sind damit vor allem zusätzliche Mittel des Bundes, der sich vor einigen Jahren weitgehend aus dem Hochschulbau zurückgezogen hat (siehe Infokasten). Nicht nur das Chemie-Hochhaus der Universität Stuttgart ist marode. In den 60er und 70er Jahren sind viele Universitäten gegründet worden oder gewachsen, und die damals errichteten Gebäude müssen nun alle saniert oder ersetzt werden – eine Herkulesaufgabe. Die Kanzler sprechen vornehm von der „besonderen hochschulpolitischen Bedeutung“, die alte Infrastruktur zu sichern. Auch Kai Bäuerlein ist skeptisch: „Ich bin gespannt, wie das Land bei allem Sparen diesen Berg schaffen will“, sagt er.

Vor Kurzem haben in Stuttgart Arbeitsgruppen von Hochschule, Stadt und Land den Status quo und den absehbaren Bedarf bis 2030 analysiert. Bis Mitte 2014 wolle man nun einen langfristigen Plan aufstellen, dem alle zustimmen können, sagt Bäuerlein. Planungssicherheit ist für die Universität aber nur ein Wunsch, der andere ist mehr Flexibilität. Man stehe im Wettbewerb und müsse daher wandlungsfähig sein, sagt der Unisprecher Hans-Herwig Geyer. So gehe es etwa darum, einen Professor mit einem großen Labor nach Stuttgart zu locken, oder darum, einem Institut, das ein Millionenprojekt an Land gezogen hat, rasch zusätzliche Räume zur Verfügung zu stellen. Mit dieser Dynamik könne der Staat nicht mithalten, sagt Geyer. „Dazu ist er nicht nah genug an der Forschung.“

Die Uni will selbst bauen

Der Rektor Wolfram Ressel will sich daher in seiner zweiten Amtszeit, die bis 2018 läuft, dafür einsetzen, dass die Universität ein Baubudget erhält und selbst bauen darf. An der Universität Köln läuft gerade ein Modellversuch aus, bei dem die Hochschule Bauherr wurde. Der dortige Kanzler hat im Magazin „Forschung & Lehre“ ein positives Fazit gezogen: Die Umstellung sei zwar „nichts für Menschen mit schwachen Nerven“, aber man habe schneller auf die Bedürfnisse der Wissenschaftler reagieren können. Dass der Modellversuch verlängert wird, kann die Universität aber noch nicht bestätigen.

Für Neubauten sieht Kai Bäuerlein derzeit aber nur eine Chance, wenn die Universität einen großen Teil der Kosten selbst übernimmt. 75 Prozent sind es beim knapp elf Millionen Euro teuren Haus der Studierenden, in dem von 2016 an das Studentensekretariat, die Studienberatung und die Prüfungsämter zusammengeführt und Räume für die Verfasste Studierendenschaft bereitgestellt werden. 50 Prozent sind es bei der für 30 Millionen Euro geplanten Forschungsfabrik „Arena 2036“, in der Verfahren für eine flexible Autofabrik entwickelt werden sollen. Die Jahreszahl 2036 wurde gewählt, weil dann das Auto 150 Jahre alt werden wird. Die Fabrik soll 2017 stehen, denn dann muss der Förderantrag des Bundes, der bis zu zwei Millionen Euro im Jahr einbringt, verlängert werden.


Bau von Hochschulen – Zuständigkeit
Bis 2006 war der Bau von Hochschulen eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern. Im Zuge der Föderalismusreform wurde das Hochschulbauförderungsgesetz (HBFG) jedoch gestrichen, und seit 2007 sind die Bundesländer allein verantwortlich. Nur bei überregional bedeutsamen Projekten kann der Bund die Hälfte der Baukosten übernehmen. So wurde das sieben Millionen Euro teure Raumfahrtzentrum Baden-Württemberg an der Uni Stuttgart finanziert.

Übergangszeit
Der Bund hat den Ländern nach Auslaufen des HBFG noch Fördermittel für eine Übergangszeit zugesagt. Sie betragen für Baden-Württemberg 102 Millionen Euro im Jahr und sind bis 2019 für den Hochschulbau zweckgebunden. 2011 machte dieser Zuschuss knapp 20 Prozent der Investitionen im Hochschulbau im Land aus.