Exklusiv Seit dem 1. Juli 2012 steht Volkmar Denner an der Spitze von Bosch. Er will neue Geschäfte wagen; dies werde aber auch dazu führen, dass mal etwas schiefgeht. In diesem Jahr hat der Konzern mit Gegenwind zu kämpfen.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Stuttgart – - Seit dem 1. Juli 2012 steht Volkmar Denner an der Spitze des Stuttgarter Autozulieferers Bosch. Er steht für Tradition und beruft sich gerne auf den Gründer Robert Bosch. Gleichzeitig stößt er Entwicklungen an. Er will neue Geschäfte wagen; dies werde dazu führen, dass auch mal etwas schiefgeht.

 
Herr Denner, Sie sind seit 14 Monaten Bosch-Chef. Wie fällt nun Ihre Zwischenbilanz aus?
Das wirtschaftliche Umfeld war bei meinem Start schwierig. Ich meine damit die Abschwungphase im zweiten Halbjahr 2012. Dieses Jahr läuft wesentlich besser. Ich bin zuversichtlich, dass wir ein Umsatzwachstum zwischen zwei und vier Prozent schaffen werden. Und wir werden – bereinigt um die Belastungen durch die Fotovoltaik – das Ergebnis verbessern. Aber die Solarsparte wird uns in diesem Jahr noch mal viel Geld kosten. Die Kraftfahrzeugtechnik, unser umsatzstärkster Bereich, wird 2013 voraussichtlich um rund fünf Prozent wachsen, damit schneller als der Markt, und ein Ergebnis vor Zinsen und Steuern von etwa sechs Prozent erreichen. Das ist ein deutlicher Schritt hin zu unserer Zielrendite.
Entspricht der Geschäftsverlauf Ihren Erwartungen?
Wir hatten einen ambitionierten Plan. Doch Wechselkurseffekte und die Schwäche im Maschinenbau sowie die Rezession in Europa haben die Entwicklung unseres Umsatzes gebremst.
Ihr Ziel ist die Doppel-Acht – also acht Prozent Wachstum und acht Prozent Umsatzrendite. Wann werden Sie das schaffen?
Das streben wir mittelfristig an, sagen wir innerhalb von fünf Jahren.
Sie werden aber an der Doppel-Acht gemessen. Wenn der Abstand zwischen Ist und Soll zu groß ist, herrscht Unruhe.
Mit reinen Umsatz- und Renditezielen kann man keine Mitarbeiter motivieren. Wir führen unser Unternehmen anders. Ich komme gerade aus Lateinamerika, wo ich mit Führungskräften in Brasilien und Mexiko über die Bosch-Welt und unsere Ziele gesprochen habe. Solche Gespräche beginne ich mit der Erinnerung an unseren Gründer Robert Bosch, der uns mitgegeben hat, unser Unternehmen langfristig zu sichern, kraftvoll weiterzuentwickeln und seine finanzielle Unabhängigkeit zu bewahren. Unser Leitmotiv „Technik fürs Leben“ fasst dabei perfekt zusammen, worum es uns im Kern geht. Ich frage daher meine Mitarbeiter, welchen Beitrag wir mit unserer Arbeit für die Menschen und für die Gesellschaft leisten können. Welche bleibenden Spuren können wir hinterlassen? Diese Perspektive motiviert Mitarbeiter. Erst danach kommt die Frage nach Wachstum und Ergebnis.
Haben Sie ein Beispiel?
Ein Meilenstein in der Geschichte des Zweirads ist für mich die Stabilitätskontrolle für Motorräder. Was können wir tun, um die Zahl der tödlichen Unfälle mit Motorrädern zu reduzieren – so lautete die Aufgabe. Dass wir damit Geld verdienen wollen, ist doch selbstverständlich. Aber die Reihenfolge ist wichtig. Ich möchte als Bosch-Chef nicht auf Acht plus Acht reduziert werden. Aber klar ist auch: die beiden Umsatz- und Renditeziele, die übrigens auch schon vor meinem Antritt gültig waren, machen Sinn, dahinter stecken plausible Herleitungen. Wir haben sie in den letzten Jahren nicht erreicht, aber wir müssen sie erreichen, um den Unternehmenserfolg langfristig zu sichern. Aber die Reihenfolge ist wichtig: Zunächst kommt die Frage nach dem Beitrag, den wir mit unserer Arbeit für die Menschen und für die Gesellschaft leisten können.
Wie vermitteln Sie das den Mitarbeitern?
Das ist ein Spagat, kommunikativ wie auch in der operativen Umsetzung. Einerseits fordern wir den Beitrag für die Gesellschaft, andererseits die Ziele acht Prozent Umsatzwachstum und acht Prozent Rendite. Jede Führungskraft muss in ihrer Rolle als Unternehmer täglich justieren, denn wir dürfen trotz aller Beiträge für die Gesellschaft die Zukunft des Unternehmens nicht gefährden. Deshalb benötigen wir Wachstum und Rendite.

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Bosch in Europa und der Welt

Die Märkte in Europa kommen Ihnen dabei nicht entgegen. Der Markt gilt als gesättigt. Was bedeutet das für Bosch?
Die Wachstumsmärkte verschieben sich seit Jahren. Aber zwei Drittel unserer Mitarbeiter beschäftigen wir in Europa. Bei wirtschaftlicher Stagnation, die wir sehr früh auf uns zukommen sahen, und mit von unseren Kunden geforderten Produktivitätsfortschritten laufen wir – wenn wir nichts unternehmen – in einen strukturellen Überhang hinein, der von Jahr zu Jahr zunehmen würde. Dann müssten wir die Strukturen anpassen. Besser ist es, sich frühzeitig auf risikoreiche konjunkturelle Situationen einzustellen. Um die Situation deutlich zu machen: Wir haben in Europa noch immer nicht den Umsatz von 2007, also von vor der Finanz- und Wirtschaftskrise, erreicht. Mit einer Eigenkapitalquote von 48 Prozent sind wir jedoch grundsolide finanziert. Dennoch gibt es wie in jedem großen Unternehmen auch bei Bosch immer mal wieder Baustellen, die man angehen muss, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Zuversicht verbreitet das trotzdem nicht.
Wir haben vier Stellhebel, um Arbeitsplätze in Europa zu halten. Wir können erstens unseren Marktanteil ausweiten. Wir können zweitens die Chancen in den Schwellenländern wahrnehmen, was auch Beschäftigung in Europa sichert. Wir können drittens an der Wettbewerbsfähigkeit jedes einzelnen Standorts arbeiten. Und wir können viertens neue, begeisternde Produkte auch auf einen reifen und reichen Markt bringen.
Mit welchen Produkten wollen Sie Menschen in Industrieländern bezirzen?
Da gibt es einige. Ein Beispiel ist der Roboterrasenmäher Indego. Mit dieser einfachsten Anwendung der Robotik sind wir aus dem Stand Marktführer in Europa geworden. Zweites Beispiel ist das E-Bike, mit dem wir in diesem Jahr einen dreistelligen Millionenbetrag umsetzen. Das entwickelt sich hervorragend. Ein E-Bike kostet in der Regel 3000 Euro, sie können auch ein Fahrrad für 300 Euro kaufen. Doch die Leute geben so viel Geld aus, weil sie einen Vorteil sehen und dann bereit sind, dafür zu zahlen. Wir brauchen mehr solcher Produkte. In Europa darf nicht geschehen, was den Japanern passiert ist: dort sind die Menschen wohlhabend, aber sie geben ihr Geld nicht aus.
Was haben Sie noch in petto? Das E-Bike ist ja nicht mehr ganz taufrisch.
Wir haben gerade eine neue intuitive Bedieneinheit für E-Bikes vorgestellt: Die ist Steuerung, Navigation und Entertainmentcenter in einem. Wir haben noch viele andere solcher Produkte in der Pipeline. Lassen Sie sich überraschen. Auch Dienstleistungen und neue Geschäftsmodelle sind für reife Märkte gefragt. Denken Sie an unsere Energieeffizienzdienstleistungen oder beispielsweise unsere Software-Plattform für Smart Homes, die wir gemeinsam mit Partnern zur Verfügung stellen werden.
Ihre Aufzählung spiegelt nicht nur neue Produkte, sie spiegelt quasi auch eine neue Gründerkultur wider.
Ja, die gehört mit dazu. Wir stecken viel Energie in neue Ideen, und die Mitarbeiter ziehen mit. Wir schaffen dabei in mehr und mehr Bereichen Bedingungen wie bei Start-ups, verbunden mit der langfristigen Orientierung eines Unternehmens, das nicht von der Börse getrieben wird.
Aber die Zukunft eines Konzerns wie Bosch kann ja nicht nur in Start-ups liegen.
Richtig. Aber wir müssen Bosch auf eine Welt der unterschiedlichen Geschwindigkeiten vorbereiten – es gibt nach wie vor eine Welt, die recht gut vorhersagbar ist. Nehmen wir das Beispiel CO2-Gesetzgebung. Unklar ist noch, wie die Gesetze 2020 genau aussehen, aber im Prinzip wissen wir, was der Gesetzgeber will. Es geht für uns nun darum, die technisch beste Lösung zu finden. Parallel dazu gibt es eben neue, deutlich volatilere und weniger vorhersagbare Themen, die durch Internettechnologien getrieben sind. Beide Geschwindigkeiten müssen in unserem Unternehmen abgebildet und gelebt werden.

„Personalanpassungen sind nicht immer vermeidbar.“

Wird dies reichen, um die Beschäftigung in Europa zu sichern?
Ich habe bereits gesagt, was unsere Hebel sind. Personalanpassungen sind nicht immer vermeidbar. Diese kommen aber erst infrage, wenn an den anderen Stellhebeln intensiv gearbeitet wurde. Es wird immer wieder Situationen geben, wo wir Anpassungen im Portfolio durchführen müssen. Wir müssen aber lernen, in Geschäfte reinzugehen, und wenn sie nicht laufen, wieder rausz gehen. Das wird dazu führen, dass auch mal etwas schiefgeht. Wir können nicht immer nur Erfolgsgeschichten liefern. Ich möchte, dass wir möglichst viele Projekte beginnen.
Das heißt Fehlschläge.
In der Mitarbeiterkommunikation besetzen wir in diesem Monat gerade den Schwerpunkt Fehlerkultur. Scheitern gehört zur Innovationskultur dazu. Wir brauchen eine offene Fehlerkultur – man muss offen sagen, wenn etwas schiefläuft. Und dann müssen wir angemessen damit umgehen. Doch dieser Prozess dauert lange. Es passiert schon viel Ermutigendes, aber es gibt auch Rückschläge – etwa dass eine Führungskraft zu hart reagiert. Einen Fehler muss man korrigieren, ohne Mitarbeiter zu verunsichern.
Wie ist die Reaktion?
Anfang des Jahres hatte ich ein prägendes Erlebnis. Im Vorfeld einer Reise nach Japan hat ein japanischer Mitarbeiter mir in einer Mail geschildert, wie aufwendig die Vorbereitungen seien. Das war aus meiner Sicht mutig. Genau diese Rückmeldungen möchte ich haben. Ich habe auch gleich reagiert. Ich beobachte, dass sich gerade ausländische Standorte bei der Fehlerkultur erfreulich entwickeln. Die trauen sich was. Vielleicht liegt das daran, dass sie weiter weg sind.
Ihre Mitarbeiter am Solarstandort Arnstadt, dem das Aus droht, warten aber auf eine andere Nachricht.
Ich kann Ihnen zum Ergebnis heute noch nichts sagen. Aber wir sind kurz vor einer Entscheidung. Unser Ziel war immer, möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten. Das dauert. Wir haben rund 250 mögliche Investoren untersucht, die Hälfte davon aus der Fotovoltaik, und haben parallel Bosch-Erzeugnisse gesucht, die man dort fertigen kann. Wie angekündigt, wird die Produktion in Arnstadt Ende des Jahres eingestellt. Die Situation ist schwierig, Sie können sich vorstellen, dass uns der Standort Arnstadt nicht aus der Hand gerissen wird. Aber wir arbeiten nach wie vor mit Hochdruck an einer Mischung aus verschiedenen Lösungen für alle Standorte des Solarbereiches.
Auf der Autoausstellung IAA im September in Frankfurt hat das Roboterauto einen Hype ausgelöst. Conti hat sich mächtig ins Zeug gelegt. Man hat den Eindruck, dass Conti mit mehr Gas unterwegs ist.
Da bin ich gelassen. Wir sind beim automatisierten Fahren gut positioniert. Bis das „Roboterauto“ kommt, wird es dauern. Nach dem Hype auf der IAA wird erst mal wieder Ernüchterung einziehen, so wie bei der Elektromobilität. Wir werden in Schritten auf das Ziel zugehen. Als Nächstes kommt das vollautomatische Einparken. Kurz vor dem Serienstart steht ein Assistenzsystem, das das Fahrzeug auf der Autobahn in der Spur hält und damit den Fahrer im Stau wesentlich entlastet. Das sind Fahrsituationen, wo wir die Geschwindigkeit eingrenzen können und es keinen Gegen- oder Querverkehr gibt.

Zur Person Volkmar Denner

Karriere
Volkmar Denner (56) ist der sechste Chef in der mehr als 125-jährigen Bosch-Geschichte. Am 1. Juli 2012 hat der promovierte Physiker sein Amt angetreten. Der gebürtige Uhinger, der bei Bosch unverändert für Forschung verantwortlich ist, startete 1986 seine Karriere im Bereich Entwicklung Leistungshalbleiter bei dem Zulieferer. Nach mehreren Stationen im Unternehmen wurde der begeisterte Fahrrad- und Motorradfahrer 2006 in die Geschäftsführung der Bosch GmbH berufen.

Engagements
Denner engagiert sich auch außerhalb von Bosch. Er ist Vorstandsmitglied im Automobilbranchenverband VDA, zudem steht er im Beirat der Rohstoffallianz.