Und welche Früchte trägt dieser Vorteil?
Dieses Paket führt zu Entwicklungen wie beispielsweise MEMS. Die Abkürzung steht für mikro-elektromechanische Systeme. Diese Beschleunigungs-, Druck- oder geomagnetischen Sensoren kennen Endnutzer eher nicht, benutzen sie aber täglich: In Smartphones sorgen sie beispielsweise dafür, dass die Anzeige kippt wenn man das Handy dreht. Wir sind der einzige Automobilzulieferer, der in diesem Geschäft aktiv ist. Für uns ist das extrem interessant: Im vergangenen Jahr haben wir 650 Millionen MEMS gefertigt. Zwei Drittel davon stecken heute in Smartphones und Tablets. Eine interessante Entwicklung – schließlich haben wir die Sensoren 2007 noch fast ausschließlich im Kraftfahrzeugbereich verkauft. Das heutige Massengeschäft verschafft uns Vorteile auf der Kostenseite, aber auch bei der permanenten Weiterentwicklung dieser Produkte.

Welche Bedeutung haben Sensoren im Kraftfahrzeugbereich?
Sensoren werden sogar immer wichtiger wegen des Internets der Dinge und der Dienste. Denn künftig werden Gebrauchsgegenstände miteinander kommunizieren: Die Sensoren an Bord eines Autos erfassen das Umfeld des Fahrzeugs, also wo und in welcher Fahrsituation es sich gerade befindet. Sie wissen, warum ein Auto steht, wenn es steht. All diese Daten kann ich zur Verkehrsführung nutzen, beispielsweise um nachfolgende Fahrer auf Gefahren hinzuweisen. Das erhöht die Sicherheit auf den Straßen.

Dabei gibt es doch schon so viel Fahrerunterstützung.
Nehmen wir den Spurhalte-Assistent und den Totwinkel-Assistent als Beispiel: Diese unterstützen heute den Fahrer, indem sie ihn durch einen Piepton warnen. Wenn jeder Warnton der unterschiedlichen Assistenzsysteme ähnlich klingt, fällt die Zuordnung bei einer wachsenden Zahl dieser Helfer schwer. Ganz anders verhält es sich, wenn ein System nicht mehr warnt, sondern automatisch selbst korrigiert. Von einer Unterstützung müssen wir also zu einer Automatisierung kommen.

Das bringt doch rechtliche Probleme mit sich. Die Wiener Konvention der Vereinten Nationen sagt eindeutig, dass der Fahrer verantwortlich ist.
Die Wiener Konvention ist 1968 von Menschen gemacht worden, sie ist sicher anpassbar. Genug Zeit bleibt: Bis ein Serienauto voll automatisch durch die Stadt fährt, vergehen wohl noch zwei Dekaden. Die Entwicklung wird in mehreren Stufen erfolgen. Die erste davon wird teilautomatisiertes Fahren auf Autobahnen vor allem bei Stausituationen sein. Dort ist die Hürde am niedrigsten, weil es weder Quer- noch Gegenverkehr gibt, noch Fußgänger unterwegs sind. Dennoch ist das technisch eine Herausforderung, denn Autos müssen ihre Umgebung zuverlässig erkennen können. Das erfordert deutlich mehr Sensorik und Auswertesoftware als heute. Im zweiten Schritt müssen Autos miteinander kommunizieren können und Informationen austauschen. Ein Beispiel macht das am besten klar: Straßenschilder oder Leitplanken sind da, es ändert sich nichts. Diese Daten können auf riesigen Datenbanken hinterlegt sein und so nicht jedes Mal neu erfasst werden. Die Daten, die von den Auto-Sensoren kommen, müssen dann nur noch abgeglichen werden, ob das erwartete Verkehrszeichen dort noch unverändert ist.

Wie viele Mitarbeiter arbeiten bei Bosch an dem Thema automatisiertes Fahren?
In der Forschung und Entwicklung beschäftigen sich allein 5000 Ingenieure mit Sicherheits- und Assistenzfunktionen im Auto.

Dennoch können Sie nicht alles alleine machen. Wer an Datenmengen denkt, muss auf Internetkonzerne wie Google kommen.
Ja, Google kennt sich mit Datenbanken hervorragend aus.

Wäre das nicht ein idealer Partner?
Automatisiertes Fahren wird nur über Kooperationen möglich sein. Es bedarf Kompetenzen und Fähigkeiten, die über das klassische Autogeschäft deutlich hinausgehen. Denn die Technik muss große Datenmengen verarbeiten und intelligent analysieren können. Gefahren auf der Straße müssen exakt erfasst werden. Nicht jedes Mal, wenn ein Auto schleudert, ist schließlich Glatteis schuld – sondern vielleicht auch eine etwas sportlichere Fahrweise.

Von der Zukunft zurück in die Gegenwart: Welche Produkte sehen sie aktuell als wichtig an?
Ein Wachstumstreiber für Bosch ist derzeit beispielsweise die Benzindirekteinspritzung. Das ist ein Produkt mit dem wir uns vom Wettbewerb differenzieren können, weil es technisch so komplex ist. Der Umsatz in diesem Geschäft liegt mittlerweile deutlich über einer Milliarde Euro. Bisher stiegen die Stückzahlen pro Jahr um 50 Prozent. In den Premiumfahrzeugen ist es in den vergangenen vier, fünf Jahren Standard geworden. In Europa werden bis 2016 zwischen 70 und 80 Prozent der Fahrzeuge damit ausgestattet sein.

Haben Sie noch weitere Wachstumstreiber?
Ja, die Start-Stopp-Technik. Bisher schalten die Systeme den Motor aus, wenn das Auto steht. In Zukunft werden wir Produkte anbieten, die weiter gehen: Bei Autos, die bergab rollen, wird der Motor künftig abgestellt und springt erst beim Beschleunigen wieder an. Dem Fahrer spart das Kraftstoff. Wir nennen das die Segel-Funktion. Die ersten Seriensysteme werden 2014 in den Markt kommen.

Vermutlich in der Oberklasse.
Das ist mittlerweile nicht mehr so. Immer mehr Innovationen kommen in Mittelklassemodellen auf den Markt. Beispielsweise die elektrische Servolenkung, die im VW-Golf debütierte. Die Masse macht’s. Eine Neuerung in einem Volumenmodell wird deutlich schneller in großen Stückzahlen produziert und kann damit dem Kunden günstiger angeboten werden.

Das kann nichts Gutes für die imageträchtigen Oberklassen bedeuten.
Das ist ein falscher Schluss. Die Funktionen und Systeme im Premiumsegement werden ständig erweitert. Zukünftig wird es möglicherweise chic sein, ein Elektroauto zu fahren. Auch Plug-In-Hybride werden deutlich an Beliebtheit gewinnen – allen voran in größeren Fahrzeugen und im SUV- Segment. Die Oberklasse ist und bleibt ein wichtiges Geschäftsfeld.