Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) spricht erstmals über die Erkenntnisse aus dem Gutachten zum Fernsehturm. Der OB sieht sich durch die Brandschutzexperten bestätigt: Im Ernstfall wäre der Turm zur Falle geworden.

Stuttgart – Es war nicht seine erste Amtshandlung als neuer Stuttgarter Oberbürgermeister, aber gewiss seine öffentlichkeitswirksamste: Am 27. März verfügte Fritz Kuhn (Grüne) wegen fehlender Fluchtwege die Schließung des Fernsehturms. Eine umstrittene Entscheidung, schließlich ist das Wahrzeichen seit 1956 in Betrieb. Nun sieht der OB aber die Chance, dass der Südwestrundfunk das Wahrzeichen zeitnah wieder eröffnen kann.
Herr Kuhn, es liegt Ihnen nun seit einer Woche das Sachverständigengutachten des vom SWR beauftragten Büros Halfkann und Kirchner vor. Zu welchen Erkenntnissen sind Ihre Mitarbeiter und Sie in dieser Zeit gelangt?
Wir sind noch in der Auswertung. Wir prüfen, ob das Gutachten, das vom Verfasser übrigens als Machbarkeitsstudie bezeichnet wird, ausreichend Antwort auf die Frage gibt, wie ein sicherer Rettungsweg hergestellt werden kann. Ich will zum jetzigen Zeitpunkt aber Folgendes sagen: Das Gutachten bestätigt, dass die Schließung des Fernsehturms mit Sofortwirkung richtig war. Rauchversuche des Gutachters im Turmschaft haben ergeben, dass der Rauch dort nicht abzieht und der Schaft deshalb wie eine Falle bei einem Brandereignis gewirkt hätte. Das ist ein Ergebnis von Bedeutung.

Bekanntlich war nach der Schließung Ende März vom Turmeigentümer SWR das Argument vorgebracht worden, der vorbeugende Brandschutz sei durch unzählige und aufwendige Maßnahmen, vor allem im Turmkorb, bereits auf höchstem Niveau. Das kann dann wohl jetzt nicht mehr so stehen bleiben?
Im Turmschaft sind Brandlasten, etwa die Kabel, aber auch andere Zündquellen. Wir haben auch deshalb den Turm geschlossen, weil die Betrachtung sich vom Turmkorb zum Turmschaft erweitert hatte. Uns hat die Frage beschäftigt, ob die Besucher und Mitarbeiter wieder runter kommen, wenn es einmal brennen sollte. Der Gutachter schlägt dem Eigentümer nun vor, im Schaft verschiedene Maßnahmen vorzunehmen, etwa die dort laufenden Kabelstränge einzuschachten, damit sie nicht länger frei liegen und so ein neuer Schutz entsteht. Kurz gesagt: Es soll nichts Brennbares mehr im Schaft offenliegen. Was wir jetzt machen, ist zu schauen, ob die vier Vorschläge des Gutachters plus mögliche zusätzliche Vorgaben der Stadt dazu führen können, dass die Treppe doch zu einem sicheren Fluchtweg wird. Dabei könnte es auch um den Einstieg oben in die Treppe gehen und um den ungehinderten Ausgang ins Freie am Fuße der Treppe.

Das Einkapseln und eine bessere Rauchableitung optimieren also nicht nur den vorbeugenden Brandschutz, sondern bieten die Möglichkeit, den in der Landesbauordnung geforderten Fluchtweg darzustellen?
Richtig. Ich möchte noch einmal daran erinnern, dass die sofortige Schließung erfolgte, weil der Fernsehturm nicht nur nicht zwei, und auch nicht einen, sondern gar keinen sicheren Fluchtweg hatte. Deshalb mussten wir ihn auf Basis dieser Erkenntnis schließen. Ich sehe aber trotzdem Licht am Ende des Tunnels, weil sich die Chance eröffnet, dass wir die Treppe dann mit den neuen Maßnahmen doch als sicheren Fluchtweg akzeptieren können.

Einen zweiten Fluchtweg, wie ihn die Landesbauordnung für normale Gebäude vorschreibt, wird es aber weiterhin nicht geben?
Nein, den kann es nicht geben, weil Aufzüge im Brandfall immer ausfallen können. Auf den zweiten Rettungsweg zu verzichten, ist dann möglich, wenn wir einen sicheren Treppenraum haben, in den Feuer und Rauch nicht eindringen können. Das ist unser Ziel. Das heißt aber nicht, dass nicht im Einzelfall zunächst die Aufzüge zur Evakuierung genutzt werden. Aber sie stellen keinen sicheren Rettungsweg im vorgeschriebenen Sinne dar. Dazu brauchen wir den sicheren Treppenabgang.

Welcher Gefahr wären die Besucher vor dem Hintergrund der gutachterlichen Erkenntnisse vor der verfügten Schließung ausgesetzt gewesen, wenn es im Turm tatsächlich gebrannt hätte?
Ich will das nicht zu dramatisch schildern, aber das bisherige Rettungskonzept sah ja vor, die Leute im Freien auf die Aussichtsplattform treten zu lassen und so lange abzuwarten, bis sie wieder runterkommen können. Die Gefahr wäre gewesen, dass der Aufzug ausfällt und der Turmschaft samt Treppe vollständig verraucht ist. Im Brandfall wären die Besucher oben gestanden und nicht mehr herunter gekommen. Das wäre wie eine Falle gewesen. Und auch die Feuerwehr hätte, wie der Gutachter schreibt, bei einem solchen Brandereignis nicht ausreichend eingreifen können. Deshalb brauchen wir am Ende der Diskussion, wenn wir den Turm wieder öffnen wollen, einen sicheren Fluchtweg. Nach Lage des Gutachtens und ersten internen Bewertungen kann das die Treppe sein.

Die Sommerferien stehen bekanntlich vor der Tür – und damit auch viele Besucher. Wann wird der Stuttgarter Fernsehturm genau wieder geöffnet?
Ich kann leider noch keine zeitliche Perspektive nennen. Die Bewertung der Stadt ist noch nicht abgeschlossen, das dauert noch. Dann folgt ein Gespräch mit dem SWR. Der Gutachter sagt zudem selbst, dass er noch viele Detailfragen tiefer betrachten und bewerten muss. Meine Botschaft zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist aber die, dass ich die realistische Chance sehe, den Fernsehturm wieder öffnen zu können. Wir arbeiten mit Hochdruck daran.

Es war bereits die Rede von einer halben Million Euro für die Optimierung.
Es ist noch zu früh für eine Aussage. Im Raum steht die Zahl 500 000 Euro, aber das ist noch nicht valide. Wenn von der Stadt weitere Forderungen hinzukommen, kann es auch teurer werden. Das werden wir mit dem SWR als Turmeigentümer in aller Ruhe und Freundschaft besprechen.

Steht ein städtischer Beitrag zur Debatte?
Der Turm gehört dem SWR. Mit dem werden wir die Sachlage erörtern. Jetzt sind wir bei der Frage, wie wir Sicherheit bekommen. Frage zwei lautet, was es kostet.

Ist es denkbar, dass die Sicherheit durch Anordnungen, wie etwa eine Limitierung der Besucherzahl, erhöht werden könnte?
Auch darüber wird diskutiert. Es geht ja um die Frage, in welchem Zeitraum kommen die Besucher im Korb oder auf der Aussichtsplattform über die Treppe nach unten. Das müssen jetzt die Fachleute ermitteln und überlegen, ob es eine Limitierung geben muss. Da kann ich mich noch nicht festlegen.

Je weniger Besucher der Fernsehturm hat, desto unwirtschaftlicher wird sein Betrieb, so dass er womöglich irgendwann zwar sicher wäre, aber der SWR ihn aus finanziellen Erwägungen geschlossen lassen könnte.
Wirtschaftlichkeit ist wichtig, aber Sicherheit geht vor Wirtschaftlichkeit.

Sie hatten sich nach der Entscheidung, den Turm zu schließen, viel Kritik gefallen lassen müssen. Immerhin war das Wahrzeichen jahrzehntelang ein Besuchermagnet, ohne dass sich Behörden, Politiker und Besucher an einem fehlenden Fluchtweg gestört hätten. Sehen Sie sich im Nachhinein bestätigt?
Ich will mich nicht über die Vergangenheit auslassen. Aber noch einmal: Auf Basis der Informationen, die ich vor Ostern bekommen habe, war es zwingend notwendig, den Turm mit Sofortwirkung zu schließen. Das Gutachten macht deutlich, dass meine Entscheidung richtig war.

Die Chefs von CDU und FDP, Alexander Kotz und Bernd Klingler, haben Ihre Entscheidung kritisiert und angemerkt, Sie hätten sich mit einer Entscheidung einige Monate Zeit lassen können, um mit Fachleuten über Notwendigkeiten zur Erhöhung des Brandschutzes zu diskutieren und dann abzuwägen. Sie hätten auch das nötige Fingerspitzengefühlt vermissen lassen. Wie bewerten Sie jetzt diese Vorwürfe?
Wenn der Turmschaft auf 60 Meter Höhe verraucht ist, wie es die Gutachter darstellen, weil der Rauch nicht abziehen kann, dann ist das für die Leute auf dem Turm gefährlich. Durch Diskussionen zieht der Rauch jedenfalls nicht ab.