Die Entscheidung für eine Jamaika-Koalition soll trotz aller Gegensätze in dieser Woche fallen. Die dafür notwendigen Kompromisse sind nicht abwegig, kommentiert unser Berliner Korrespondent Christopher Ziedler.

Berlin - Vom Zauber, der Hermann Hesse zufolge jedem Anfang innewohnt, ist in diesen Sondierungsgesprächen wenig zu spüren. Schwarze, Gelbe und Grüne, so wurde es dem Nachwahlpublikum verkauft, könnten gesellschaftliche Großkonflikte entschärfen – allein dadurch, dass die so Grundverschiedenen in einer Koalition zusammenfänden. Die Chance besteht weiter. Doch hat der Dauerstreit zuletzt arg am Image der möglichen neuen Bundesregierung gekratzt, wie ihre sinkenden Umfragewerte zeigen. Aus dem politischen Sehnsuchtsort Jamaika wird etwas, das nüchterner mit „Schwarzer Ampel“ oder lautmalerisch unattraktiver als „Schwampel“ bezeichnet werden könnte.

 

Die Ernüchterung fußt auf der schlichten Tatsache, dass die Unterhändler von CDU, CSU, FDP und Grünen nur millimeterweise vorankommen: In drei Sondierungswochen wurden allein in Bereichen Ergebnisse erzielt, in denen schon die Wahlprogramme der Parteien viel Übereinstimmendes boten, etwa bei der Digitalisierung oder in der Forschungspolitik. Bei den großen Knackpunkten wie dem Klimaschutz, der Zuwanderungs-, Europa- oder Steuerpolitik wurden dagegen bisher allenfalls erste Maximalpositionen geräumt, und dies vor allem aufseiten von Grünen und Liberalen. Die in Bayern prozentual schwer angeschlagene CSU hat sich öffentlich wahrnehmbar noch gar nicht bewegt. Jedem Anfang wohnt ein Zaudern inne.

Nacht der langen Messer am Donnerstag

Diese Woche soll nun die Entscheidung bringen. Für Donnerstag hat Kanzlerin Merkel zur Nacht der langen Messer eingeladen, die angesichts der viel zu langen Liste noch offener Punkte nahtlos ins Wochenende übergehen könnte. Bis dahin müssen die Koalitionäre in spe versuchen, den Berg ungelöster Probleme abzutragen, weil die Runde der Parteivorsitzenden sich nicht um alle kümmern kann. Die Sondierer haben mit Wochenbeginn daher ihre Arbeitsmethode verändert: Statt großer Runden, die zum Kennenlernen sinnvoll gewesen sein mögen, nicht aber für die Produktion von Ergebnissen, verhandeln die „Chefs“ jetzt nur noch mit den jeweiligen Experten. Sie machen ernst mit Jamaika.

Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Bündnis zustande kommt, ist damit trotz aller verbliebenen Gegensätze gestiegen. Das Restrisiko eines Scheiterns bleibt gering, was nicht nur am Willen zur Macht liegt. Das Argument, dass der „Stabilitätsanker“ Deutschland Europa noch viele Monate keinen Halt böte, wiegt schwer. Hinzu kommt, dass die CDU keine Lust hat, sich in die Hände der SPD zu begeben – sei es, dass die bereits auf die Oppositionsrolle festgelegten Sozialdemokraten Bedingungen für eine große Koalition diktieren könnten oder Bundespräsident Steinmeier Herr des Geschehens über Neuwahlen würde.

In vielen Bereichen sind Kompromisse denkbar

Die nötigen Kompromisse, um dieses Szenario zu vermeiden, sind nicht abwegig. Keine Partei bestreitet, dass für den Klimaschutz die Kohleverstromung enden muss, strittig ist der Zeitraum – hier ist ein Konsens denkbar. In der Bildungspolitik gilt das Kooperationsverbot den Ländern als heilige Kuh. Auf mehr Geld vom Bund für gute Schulen in der ganzen Republik – im Gegenzug für mehr Berliner Mitsprache – sollten sich die Partner aber verständigen können. Aus dem von der FDP geforderten Aus für den Soli könnte ein Einstieg in den Ausstieg werden, damit noch Geld für Zukunftsinvestitionen und die steuerliche Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen bleibt. Ein Einwanderungsgesetz, das die überfällige Trennung von humanitär und wirtschaftlich motivierter Zuwanderung vornimmt, sollte Spielraum schaffen, dass zumindest ein Kontingent von Flüchtlingen ihre Familien nachholen kann.

Zauberhaft wäre das vielleicht nicht, muss es aber auch nicht sein. Die Bundesrepublik braucht keine karibische Erzählung, sondern eine anständig arbeitende Regierung – nicht mehr, nicht weniger.