Ein Polizeieinsatz läuft schief. Die unübersichtliche Lage eskaliert zur wilden Schießerei, am Ende ist ein Beamter tot, mehrere sind schwer verletzt. In der Verfilmung des Bestsellers von Jussi Adler-Olsen löst der Ermittler Carl Mørck einen Entführungsfall.

Stuttgart - Ein Polizeieinsatz läuft schief. Die unübersichtliche Lage eskaliert zur wilden Schießerei, am Ende ist ein Beamter tot, mehrere sind schwer verletzt. Carl Mørck (Nikolaj Lie Kaas), leitender Ermittler bei der Mordkommission, ist verantwortlich für das Desaster. Nicht nur die eigene Verletzung setzt ihm zu, sondern vor allem auch die Tatsache, dass sein Kollege und Freund gelähmt bleiben wird.

 

Kaum aus der Reha zurück, wird Mørck ins Sonderdezernat Q strafversetzt, hockt nun in einem Kellerraum, in dem die Ermittlungsakten nicht abgeschlossener Fälle vor sich hingammeln. Widerwillig beginnt er, diese Fälle zu katalogisieren, stößt aber mit seinem Assistenten Assad (Fares Fares aus „Jalla Jalla“) auf den brisanten Fall der verschwundenen Politikerin Merete Lynggaard (Sonja Richter). Mørck beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln.

Mit „Erbarmen“ hat der Regisseur Mikkel Nørgaard den ersten Teil von Jussi Adler-Olsens Bestsellerreihe um Carl Mørck und das Sonderdezernat Q verfilmt. Kein leichtes Unterfangen, denn die Konkurrenz ist heftig. Nicht nur in den Buchhandlungen haben Krimis aus Skandinavien Hochkonjunktur, auch Filmadaptionen sind dem deutschen Publikum bestens vertraut. In den vergangenen Jahren buhlten gleich mehrere Fassungen der „Millennium“-Trilogie von Stieg Larsson und der Wallander-Bücher von Henning Mankell um Kinogänger und Fernsehzuschauer. Zum schieren Überangebot kommt aber auch noch das Problem, dass viele potenzielle Zuschauer die Bücher gelesen haben, den Ausgang der Fälle also kennen. Wenn der Reiz des „Wer war’s?“ schon verflogen ist, hängt die Messlatte hoch – auch für Nørgaards Version des Mørck-Abenteuers.

Keine Krimiserie wie „CSI New York“

Die Voraussetzungen der literarischen Vorlage sind auf den ersten Blick interessant. Nørgaard zeigt einen Polizisten, der in der autoritären Behördenstruktur mürbe geworden ist und auch privat keine Perspektive hat. Damit wendet sich die Erzählung skandinavientypisch von den Mustern populär schneidiger Krimiserien wie „CSI New York“ ab, in denen gewiefte Ermittler Gewalttaten mit Hilfe neuester Technologien aufklären und den Eindruck vermitteln, das Böse ließe sich durch einen gut geölten Polizeiapparat beherrschen.

Das Bild polizeilicher Ermittlungsarbeit sieht in „Erbarmen“ nämlich anders aus. Fehlende finanzielle Mittel, starre Ermittlungsvorgaben und ein bärbeißiger Chef erschweren Mørck die Arbeit. Statt aber diesen kritischen Ansatz weiter zu verfolgen, reproduziert die Handlung nun altbewährte Erzählstrategien. Dem grimmigen und desillusionierten Beamten wird ein unkonventioneller, neugieriger Assistent zur Seite gestellt, der die Hoffnung auf Erlösung vom Übel repräsentieren soll. Diese zwei Prototypen nehmen sodann einen Fall auf, der an reale Verbrechen der jüngsten Vergangenheit erinnert: Merete Lyngaard ist seit fünf Jahren vermisst. Die Behörden gehen von Selbstmord aus, in Wahrheit aber ist das Opfer entführt worden. Parallel zu Mørcks Aufklärungsarbeit wird Meretes jahrelange Gefangenschaft in einer Druckkammer gezeigt.

Film inszeniert eigene sadistische Fantasie

Es wäre ein Leichtes, mit solchen Szenen an tatsächliche Entführungen anzuknüpfen. Aber ganz so, als seien Fälle wie die Versklavung von Natascha Kampusch oder die vierundzwanzig Jahre dauernde Gefangenschaft der Tochter von Josef Fritzl nicht schon entsetzlich genug, inszeniert der Film eine eigene sadistische Fantasie und scheint damit alles bisher Dagewesene übertrumpfen zu wollen: Meretes Entführer verändert immer wieder den Luftdruck in der Kammer und bewirkt so schwere Verletzungen bei seinem Opfer. Dass die Trommelfelle in Meretes Ohren platzen, ist noch ihr geringstes Problem. Das brutale Vorgehen des Peinigers könnte dem Regisseur immerhin Stoff bieten, einen Blick in psychische Abgründe zu wagen. Stattdessen kehrt er aber zur erzählerischen Routine zurück.

Für Mørck und Assad läuft die Arbeit an Meretes Fall wie am Schnürchen. Erstaunlich schnell ergeben die gesammelten Hinweise die Lösung. Das Schnittmuster ist klar: Die Ordnung muss wiederhergestellt, der Verbrecher gefasst werden. Und siehe da: das erwartete Monstrum ist keins. Der Täter ist eine arme Seele, dessen harte Vergangenheit in einer kitschig überfrachteten, schnellen Rückblende erzählt wird, in der auch Merete und ihr geistig zurückgebliebener Bruder eine Rolle spielen. Immerhin überwindet Mørck sein Trauma und gewinnt den Glauben an die eigenen Fähigkeiten zurück. Das muss er auch. Der nächste Fall wartet ja schon.