Der Aktionstag gegen den ACTA-Vertrag greift den grundsätzlichen Konflikt im Netz auf: Freiheit der User versus Rechte der Urheber, meint StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Stuttgart - Es ist die Maske von Guy Fawkes, des englischen Revolutionärs, der 1606 hingerichtet wurde, die am Samstag in Berlin, Stuttgart und 50 anderen Städten Deutschlands zu sehen sein soll. Hinter dem weißen Gesicht mit dem charakteristischen Schnurrbart – sonst das Sinnbild der Occupy-Bewegung und des Internet-Kollektivs Anonymous – verbergen sich heute Netzaktivisten, die gegen ein der Öffentlichkeit weitgehend unbekanntes internationales Abkommen protestieren: Acta.

 

Das Anti-Counterfeiting Trade Agreement, also das Handelsabkommen zur Abwehr von Fälschungen, ist in den vergangenen Jahren von insgesamt 37 Staaten verhandelt worden, Ende Januar haben es die EU und 22 ihrer Mitglieder unterzeichnet. Deutschland, und das ist eine echte Überraschung, wird Acta vorläufig nicht unterschreiben und folgt damit dem Beispiel Polens. Das ist ein großer Erfolg für die Netzgemeinde, deren Mitglieder in den vergangenen Wochen eine große Anti-Acta-Kampagne starteten. Sie befürchten, dass Acta nicht nur einseitig die Inhaber von Rechten bevorzuge, sondern auch eine Art Internetzensur ermögliche und Bürgerfreiheiten einschränke.

„Demokratie verwandelt sich in Tyrannei“

In der Wahl ihrer Mittel und Ausdrucksweisen sind die Gegner nicht zimperlich. Wer im Internet surft, findet schnell Videos, in denen eine Autonomentruppe einen Acta-Repräsentanten verprügelt. Woanders singt jemand – darunter machen sie es nicht – von „Demokratie, die sich in Tyrannei verwandelt“. In Polen haben Hacker Regierungswebsites lahmgelegt, die Website des europäischen Parlaments wurde angegriffen. Wenn sich Acta durchsetzt, so ihre Botschaft, wird das Internet in seiner heutigen Form nicht mehr existieren.

Das alles ist in seiner Kritik ein paar Nummern zu groß. Ziel von Acta ist es, weltweit Verstöße gegen das Urheberrecht zu verhindern. Ein Staat, der Acta unterzeichnet, verpflichtet sich, Regeln gegen Raubkopierer und Markenpiraten zu erlassen – nicht nur, aber auch im Internet. Das ist wichtig, gerade auch für Europa. Geistiges Eigentum, Urheberrechte, sind ebenso schützenswert wie materielle Güter. Bloß weil etwas im Internet verfügbar ist, kann ein User nicht davon ausgehen, dass er es kostenlos nutzen darf. Und an der deutschen Gesetzeslage würde sich auch mit Acta wohl nichts ändern.

Grundlage des Konflikts sind unterschiedliche Interessen: Rechteinhaber wie Produzenten von Filmen, Musik und anderem geistigen Eigentum beharren auf einem Schutz auch im Internet und wehren sich etwa gegen Filesharing-Plattformen. Die Netzgemeinde dagegen sieht das Internet als Raum, in dem sich Ideen möglichst frei verbreiten sollen. Acta ist nun der Versuch der Urheber, den Status Quo des Urheberrechts zu bewahren, obwohl geistige Güter im Internet grundsätzlich anders verbreitet werden können.

Rechteinhaber gegen Netzfreiheit

Die Adepten von Guy Fawkes schießen in ihrer Kritik über das Ziel hinaus. Das heißt nicht, dass der Vertrag und sein Zustandekommen nicht kritikwürdig sind. So ist das Vertragswerk weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt worden und ist entsprechend kaum bekannt. Wie schon im vergleichbaren Konflikt um den Stop-Online-Piracy-Act vor wenigen Wochen in den USA ist es zudem nicht gelungen, einen Ausgleich zu finden zwischen den Interessen der Rechteinhaber und der Notwendigkeit, Wissen im Netz als Wert an sich zu verankern.

Die Netzgemeinde übertreibt, wenn sie getreu dem alten Slogan gewissermaßen auch geistiges Eigentum als Diebstahl ansieht. Was sie jedoch erkannt hat, ist, dass das Internet ein politischer Raum ist. Verträge von der Bedeutung von Acta brauchen eine öffentliche Diskussion. Die Bundesregierung hat mit ihrer Aussetzung der Ratifizierung sinnvollerweise die Möglichkeit dazu geschaffen. Nutzen wir sie.