In China ist ein Wechsel sicher, in den USA ist sie möglich. Bei allen Unterschieden sind die beiden Länder auf das Engste miteinander verwoben. Es ist bitter nötig, dass sie mit aller Ernsthaftigkeit aufeinander zugehen, meint der StZ-Redakteur Christian Gottschalk.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Welch ein himmelweiter Unterschied! Die Supermacht des Westens wählt ihren neuen Präsidenten, und seit den ersten Tagen des Vorwahlkampfes begleiten Heerscharen von Journalisten die Kontrahenten, legen jeden ihrer Halbsätze auf die Goldwaage, prüfen private Steuererklärungen der Bewerber und analysieren deren Entscheidungen aus der Vergangenheit, um so die Zukunft zu deuten. Forscher versuchen zu ergründen, wem weiße Sozialhilfeempfänger ihre Stimme anvertrauen, und wen schwarze Banker bevorzugen. Sehr viel transparenter kann solch eine Entscheidungsschlacht kaum sein.

 

Fast zur gleichen Zeit bestimmt die Supermacht im Fernen Osten ihren neuen Führer. Zwei Tage, nachdem in den USA die Wahllokale schließen, treffen sich in Peking rund 2200 Delegierte der Partei, die sich kommunistisch nennt. Eine kleine Gruppe von Eingeweihten hat da bereits festgelegt, wer die Geschicke des Landes lenken wird. Seit Jahren ist im Verborgenen an den Strippen für den Führungswechsel gezogen worden. Und es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass der nur alle fünf Jahre stattfindende Parteitag bewusst in den Windschatten der US-Wahlen gelegt wurde. Die internationalen Medien, die schon viel zu tief in das von Skandalen aufgewühlte Innere der Partei blicken konnten, sind dann wenigstens ein wenig abgelenkt. Kaum etwas ist den Herrschenden in China unangenehmer als Transparenz.

Amerika füllt den chinesischen Wohlstandsbauch

So groß die Unterschiede auch sind zwischen West und Ost, Washington und Peking sind aufs Engste miteinander verwoben. China besitzt mehr als eine Billion Dollar an US-Staatsanleihen und ist der größte Gläubiger Washingtons. Gleichzeitig füllen die Bauern in Iowa die chinesischen Wohlstandsbäuche. Im mittleren Westen Amerikas wird inzwischen mehr Soja angebaut, als in der gesamten Volksrepublik. China importiert mehr als 70 Prozent seines gewaltigen Bedarfes an Sojabohnen, den Großteil davon aus den USA. Währenddessen kauft kein Land auf der Welt mehr chinesische Waren als die Vereinigten Staaten – ohne diesen Handel könnten tausende von chinesischen Firmen ihre Tore für immer schließen.

Das alles wären beste Voraussetzungen für eine friedliche Koexistenz, doch danach sieht es immer weniger aus. Nicht nur bei Solarzellen und Windkrafträdern tobt ein Handelskrieg zwischen den beiden Supermächten. Auch außerhalb der Wirtschaft kommt man sich unangenehm nahe. Praktisch alle wichtigen Nachbarn Chinas suchen in ihrer Verteidigungspolitik die USA als Bündnispartner auf ihrer Seite zu haben. Japan ebenso wie Taiwan, die Philippinen und selbst der alte Kriegsgegner Vietnam. Das verursacht immer stärkere Spannungen. „Das Verhältnis zwischen den USA und China wird das 21. Jahrhundert formen“, hatte US-Präsident Barack Obama kurz nach seinem Amtsantritt gesagt. Diese Worte gelten weiter, auch wenn sich das Verhältnis seitdem kontinuierlich verschlechtert hat. Es ist egal, wer künftig das Steuer in Washington und Peking in der Hand hält – es ist bitter nötig, mit großer Ernsthaftigkeit aufeinander zuzugehen.

Die Kluft zwischen Reich und Arm nimmt zu

So wie es notwendig ist, einer Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken. So groß die Unterschiede auch sind, beide Länder kämpfen im Inneren gegen die gleiche Gefahr. Seit Anfang der 80er Jahre sei das Einkommen von US-Arbeitern nicht gestiegen, während sich das Einkommen der reichsten 0,1 Prozent der Bevölkerung verdreifacht habe, schreibt der Nobelpreisträger Joseph Stieglitz in seinem neuesten Buch. Dieser Trend gilt auch für China, wo ein Prozent der Bevölkerung 45 Prozent des Vermögens besitzt. Im transparenten Amerika können die Menschen diese Daten lesen, in China können sie die Auswirkungen davon fühlen. Chinesen und Amerikaner sind sich näher, als sie selbst glauben.