An der Ostsee hat die AfD mehr Zulauf als die CDU. Das ist ein bitteres Ergebnis für Angela Merkel, das zudem die politische Stabilität in Deutschland erschüttert, meint Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Wahlen sind eigentlich Feiertage für Demokraten. Nach diesem Wahlsonntag haben aber zumindest Christdemokraten nicht den geringsten Grund zum Feiern. Jubeln können vor allem jene, die immer so reden, als sei der demokratische Betrieb ein Schmierentheater – und sich selbst entsprechend benehmen, sobald sie mitspielen dürfen. In Mecklenburg-Vorpommern wählte jeder Vierte rechts. Die AfD ist stärker als die Partei der Kanzlerin. Die nicht mehr ganz so große Koalition muss froh sein, weiter regieren zu dürfen. Wer an Stabilität und einer verantwortlichen Regierung interessiert war, hat auf die SPD und den populären Ministerpräsidenten Sellering gesetzt.

 

Nun ist Mecklenburg-Vorpommern nicht der Nabel der Republik, ungeachtet der Tatsache, dass dort Angela Merkels Wahlkreis liegt. An der Ostsee leben weniger Menschen als es Grünen-Wähler in Baden-Württemberg gibt. Die Resultate dieses 4. Septembers lassen sich gleichwohl nicht als Notizen aus der Provinz abhaken. Gewiss, der Regierungschef bleibt der alte, die Koalition wohl auch. Merkels Partei wird jedoch zur drittklassigen politischen Kraft degradiert. Für sie ist das Protestvotum ein Albtraum, eine Schmach ohnegleichen. Die Maßgabe von Franz Josef Strauß, wonach es keine demokratische Partei rechts der Union geben dürfe, ist jetzt auf den Kopf gestellt. Mit der AfD hat sich eine rechtspopulistische Partei eingenistet, die hier schon die CDU in den Schatten stellt.

Serienweise AfD-Triumphe im laufenden Jahr erschüttern die politische Stabilität, für die Deutschland in Europa jahrzehntelang ein Vorbild war. Der Landtag in Schwerin ist schon das zehnte Parlament, in dem diese Parlamentsverächter nunmehr Platz nehmen dürfen. In zwei Wochen, wenn Berlin wählt, werden sie mit ziemlicher Gewissheit auch ins Abgeordnetenhaus der Hauptstadt einziehen. Millionen Bundesbürgern glauben mittlerweile offenkundig, islamfeindliche Phrasen, Vorbehalte gegen Fremde, ein Extremismus des Spießbürgertums seien politische Alternativen für Deutschland.

Die AfD ist eine Anti-Merkel-Partei

Mit Merkel soll das alles nichts zu tun haben, so wenig wie die AfD-Erfolge in Baden-Württemberg und anderswo vor sechs Monaten? Klar, die AfD hat Zulauf von vielen Seiten – ist aber vor allem eine Anti-Merkel-Partei. Sie begann als Auffangbecken für bürgerliche Skepsis gegen Merkels Kurs bei der Rettung des Euro. Nun richtet sich ihr Furor gegen ein zur Nationalhymne erhobenes „Wir schaffen das!“. Merkels Flüchtlingspolitik verunsichert so viele, dass sie wie Kunstdünger das Wachstum der AfD befördert. Die versteht sich als stramm konservative Alternative zu einer weich gespülten CDU. „Merkel muss weg“, lautet ihr Wahlkampfziel. Es verfängt. Das ist ein Menetekel für die Union. Es wird die Debatte über die Sinnhaftigkeit einer vierten Amtszeit der Dauerkanzlerin befeuern.

Die fulminanten AfD-Erfolge im März und jetzt erinnern fatal an das Jahr 1930, als die Nazis sich anschickten, die deutschen Parlamente zu erobern. Damit kein Missverständnis aufkommt: Die AfD ist keine faschistische Partei, obwohl manche aus ihren Reihen mit Neonazis paktieren wollen. Am rechten Rand sind die Unterschiede nicht immer klar auseinanderzuhalten. Jedenfalls hat die AfD das Frustpublikum der NPD zu großen Teilen absorbiert. Ihr Talent, die demokratische Kultur zu vergiften, ist keineswegs geringer.

Die Weimarer Republik ging nicht daran zugrunde, dass die Nazis eine Mehrheit errungen hätten. Es wurde aber faktisch unmöglich, gegen sie zu regieren. Mit jedem Erfolg der Rechtspopulisten wächst die Sogkraft ihrer Parolen, der sich die etablierten Parteien nur schwer entziehen können. Das jüngste Opfer ist der CDU-Mann Lorenz Caffier. Sein Wahlkampf war näher bei der AfD als bei Merkel. Doch wer sich anpasst, hat schon verloren.