Nach dem Tod des schwarzen Teenagers Michael Brown ist in den USA die Diskussion über Rassendiskriminierung wieder voll entbrannt. Präsident Obamas Politik der Versöhnung ist gescheitert, kommentiert der StZ-Korrespondent Sebastian Moll.

New York - Es hat nach dem Tod des schwarzen Teenagers Michael Brown durch sechs Polizeikugeln knapp zehn Tage gedauert, bis sich Präsident Barack Obama zu Wort meldete. Am Montag war es endlich so weit. Angesichts des wachsenden Zorns auf den Straßen des Landes über die grassierende Polizeigewalt gegen Minderheiten trat Obama in seinem Urlaubsdomizil in Massachusetts vor die Mikrofone und versuchte, die erhitzten Gemüter ein wenig zu beschwichtigen.

 

Obama schlug den gleichen Tonfall an, den er schon seit Langem in solchen Dingen bemüht. Er zeigte für alle Seiten Verständnis und rief dazu auf, einen kühlen Kopf zu bewahren. „Es gibt in zu vielen Gemeinden des Landes ein zu großes Misstrauen zwischen der Ordnungsmacht und der Bevölkerung“, sagte er. In zu vielen Gemeinden des Landes würden farbige Männer, die von der Gesellschaft zurückgelassen wurden, lediglich als Objekte der Angst angesehen.

Obamas Utopie wird von der Realität eingeholt

Für die wachsende Zahl derjenigen, die Obama eine zu große Zaghaftigkeit beim Kampf gegen Rassismus vorwerfen, war diese Ansprache wieder einmal zu vage und zu spät. So beklagte sich der schwarze Kommentator des Nachrichtenkanals CNN, Marc Lamont Hill, dass Obama sich davor gedrückt habe, die wahren Probleme zu thematisieren: „Obama muss die Rassenungerechtigkeit direkt ansprechen. Das verlangt die Nation von ihm.“

Obama hat bereits vor seinem Amtsantritt versucht, sich nicht als erster schwarzer Präsident, sondern als erster Präsident des postrassischen Amerika zu positionieren. So bezeichnete er sich als „Teil der großen Geschichte von Amerika“, die in seinen Töchtern weiterleben werde. Es sei die Geschichte großer Ideale, zu deren endgültiger Verwirklichung er beitragen wolle.

Diese schöne Utopie des postrassischen Amerika, in der das ganze Land rund um Obamas Inauguration schwelgte, wurde rasch von den Realitäten eingeholt. 2009 wurde der prominente schwarze Harvard-Professor Henry Louis Gates in seinem eigenen Haus verhaftet, weil man ihn für einen Einbrecher hielt. Obama nahm die Haltung ein, die ihm bis heute am angenehmsten ist. Er lud den Polizisten und den Professor zu einem gemeinsamen Bier ein und versuchte die Gemüter zu kühlen.

Das schwarze Amerika fühlt sich schutzlos

In den Jahren danach bemühte sich der US-Präsident, das Thema Rassismus in den USA so gut es ging zu umschiffen. Doch als der farbige Jugendliche Trayvon Martin 2012 in Florida von dem Mitglied einer privaten Bürgerwehr, George Zimmerman, erschossen wurde, kam Obama nicht mehr umhin, Farbe zu bekennen. Der Präsident gestand zu, dass Trayvon Martin sein Sohn hätte sein können. Und er bekannte, dass er die Erfahrung von Afroamerikanern, die oft im banalsten Alltag unverhohlenen Vorurteilen und Ängsten begegneten, kenne und verstehe. „Es ist eine Geschichte, die sich einfach weigert zu verschwinden“, sagte der Präsident.

Mit der Krise in der Kleinstadt Ferguson droht nun dieses Problem der fortgesetzten Rassendiskriminierung in den USA zu eskalieren. Die Demonstranten sehen den Tod von Michael Brown als Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Es ist der vierte Tod eines Afroamerikaners durch exzessive Polizeigewalt innerhalb von 14 Tagen. Das schwarze Amerika fühlt sich hilf- und schutzlos systematischer institutioneller Gewalt ausgesetzt. Das spiegelt sich nicht nur in den Todesfällen wider, sondern auch in den extremen Inhaftierungsraten unter Afroamerikanern und in der genau dokumentierten Praxis der systematischen täglichen Polizeischikane in amerikanischen Städten.

„Afroamerikaner sind zornig“, schreibt deshalb Lamar Hill auf CNN.com. Für Hill und für immer mehr schwarze Amerikaner ist die Zeit der postrassischen Schönfärberei mit dem Tod von Michael Brown in Ferguson endgültig vorbei.