Zum eskalierten Polizeieinsatz gegen Stuttgart-21-Gegner im Schlossgarten soll am Dienstag ein neuer Untersuchungsausschuss im Landtag auf den Weg gebracht werden. Ein notwendiges Unterfangen, meint der StZ-Redakteur Andreas Müller.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Muss das sein? Muss der Polizeieinsatz vom 30. September 2010 im Stuttgarter Schlossgarten wirklich noch einmal vom Landtag aufgearbeitet werden? Kann man nicht allmählich Gras über die Dinge wachsen lassen und den Blick nach vorne richten? Jetzt, da der schwarze Donnerstag durch die Mails von Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus wieder ins Blickfeld gerät, hört man solche Fragen öfter – aus verständlichen, aber ganz unterschiedlichen Motiven.

 

Die alten Regierungsparteien, CDU und FDP, würden gerne einen Schlussstrich unter die ruhmlose Amtszeit von Mappus ziehen. Je länger die Erinnerung an den Kurzzeit-Ministerpräsidenten wach gehalten wird, umso mehr fürchten sie um ihre Chancen bei kommenden Wahlen. Aber auch die heute Regierenden, Grüne und SPD, zeigten bis vor kurzem wenig Neigung, dem Polizeieinsatz noch einmal vertieft nachzugehen. Sie fürchteten den Vorwurf, mit dem Ausleuchten der Vergangenheit von ihren nicht durchweg überzeugenden Leistungen in der Gegenwart abzulenken.

Indes, es muss sein. Niemand müsste das besser wissen als Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Seinen Wahlsieg verdankt er zu einem guten Teil der Person Mappus, dessen brachialer Regierungsstil den Grünen Stimmen auch aus dem konservativen Lager bescherte. Daraus erwächst aber auch die Verpflichtung, die ungeklärten Dinge aus der Zeit des Vorgängers gründlich aufzuarbeiten. „Schwamm drüber“ kann da nicht die Devise sein. Es geht nicht darum, auf einen bereits am Boden Liegenden einzutreten. Auch die Parole, Mappus sei mit dem Machtverlust schon gestraft genug, greift zu kurz.

Aufklärung blieb in den Anfängen stecken

Zu singulär in der Landesgeschichte sind die beiden einschneidenden Ereignisse aus dem Spätjahr 2010: der Polizeieinsatz im September und der EnBW-Deal im Dezember. Bei dem Milliardengeschäft war Kretschmann der Erste, der noch zu Oppositionszeiten den Anstoß für einen Sonderausschuss gab. Was dieser inzwischen zu Tage gefördert hat, übertraf im negativen Sinn alle Erwartungen; die Aufklärung ist hier noch nicht zu Ende.

Beim schwarzen Donnerstag blieb sie indes in den Anfängen stecken. Der Untersuchungsausschuss geriet zum Exempel dafür, wie eine gut präparierte Regierung die Opposition ins Leere laufen lassen kann. So sehr sich SPD und Grüne auch mühten, die auf der Hand liegende Verantwortung der Politik herauszuarbeiten, die entscheidenden Beweise fanden sie nicht. Konnten sie diese nicht finden, weil sie vorher beiseite geschafft worden waren?

Keinen Abgeordneten kann der Verdacht kalt lassen

Dieser Verdacht wird durch nun aufgetauchte Dokumente genährt, die der Ausschuss nie zu sehen bekam. Hätte er sie gekannt, wäre seine Bewertung wohl anders ausgefallen. Es ist, so er sich erhärtet, ein ungeheuerlicher Verdacht: Nicht nur die Regierenden, auch wichtige Teile des Regierungsapparates hätten das Parlament um seine Kontrollrechte gebracht. Das wäre fast noch schlimmer als die Ausschaltung des Parlaments beim EnBW-Deal, was laut Staatsgerichtshof verfassungswidrig war.

Entsprechend schnell haben Grüne und SPD einen neuen Ausschuss angekündigt; CDU und FDP wären gut beraten, sich dem anzuschließen. Keinen Abgeordneten, egal welcher Couleur, kann der Verdacht kaltlassen. Klären lässt er sich nur anhand der Mails, die bei der Justiz unter Verschluss liegen. Einblick erhält der Landtag nur mit einem neuen Ausschuss. An Fragen für das Gremium wird es nicht mangeln: zur Rolle der Regierenden, bei denen die damalige Umweltministerin Tanja Gönner (CDU) womöglich noch wichtiger war als bisher sichtbar; zur Rolle der beteiligten Beamten, wo manche Zeugenaussage hinterfragt werden dürfte; zur Rolle der Justiz. Wenn diesmal wirkliche Aufklärung gelingt, dann dürfte am Ende ein Ergebnis stehen, bei dem niemand mehr fragt: Musste das sein?