Die CDU hat bereits viele traditionell konservative Positionen geräumt. Die Anerkennung der Homo-Ehe könnte der nächste Kurswechsel sein. Doch er birgt große Risiken, meint der Berliner Büroleiter der StZ, Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Was ist eigentlich konservativ? Ausgerechnet Bertolt Brecht hat dazu eine wunderbare Parabel verfasst. Die Hauptfigur heißt Herr K. – nicht Frau M. Jener Mann traf eines Tages einen Bekannten. Der begrüßte ihn mit den Worten: „Sie haben sich gar nicht verändert.“ Die Antwort enthält Brechts Pointe: „Oh!“, sagte Herr K. und erbleichte.

 

Angela Merkel führt ihre Partei nach dem gleichen Denkmuster. Frau M. hat das Wendemanöver zum Prinzip ihrer Politik an der Spitze der CDU erhoben. Das aktuellste Beispiel erleben wir gerade mit: Nun soll auch die konservative unter den Volksparteien Homosexualität als gleichberechtigtes Lebensmodell akzeptieren. Die CDU schickt sich an, Homo-Paare mit Ehegatten gleichzusetzen. Das ist eine Revolution für eine Partei, die Leute wie Erwin Teufel zu ihren Altvorderen zählt.

Der Altar der Modernisierung

Merkel hat der Union schon einiges zugemutet. Inzwischen akzeptieren auch die Christdemokraten ein Familienbild, das den traditionellen Kosmos von Kinder, Küche und Kirche sprengt. Mit zwei Jahrzehnten Verspätung mussten sie lernen, dass wir eben doch in einem Einwanderungsland leben. Nach einigem Hin und Her hat sich auch die letzte große Atompartei von strahlender Energie verabschiedet. Die Wehrpflicht und zuletzt auch die Hauptschule wurden auf dem Altar der Modernisierung geopfert.

In Sachen Homo-Ehe vollzieht die CDU eine Kurskorrektur mit Ansage. Es hat sich abgezeichnet, dass die bisherige Politik einer ideologisch fundierten Differenzierung zwischen solchen und solchen Familien auf Dauer nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vereinbar sein würde. Da Angela Merkel aber einen offenen Konflikt mit der Mehrheit ihres Parteivolks scheute, ließ sie den CDU-Parteitag vor drei Monaten noch einmal beschließen, was mit der Lebenswirklichkeit in Deutschland und dem Verfassungsverständnis der dafür zuständigen Instanz nicht mehr in Einklang zu bringen ist. Die CDU-Chefin hat sich damit jedoch ein doppeltes Problem aufgehalst: Sie sieht sich nun erneut zu einer Art nachtrabender Modernisierung gezwungen – und handelt so im eindeutigen Widerspruch zum Votum des Parteitags.

Fundamentale konservative Überzeugungen

Merkels Pragmatismus verdient Lob, birgt aber unkalkulierbare Risiken. Was die Frage angeht, ob Homo-Paare wirklich nur zweitklassige Familien sind, so gilt eine alte Indianerweisheit: Wer ein totes Pferd reitet, sollte schleunigst absteigen. Es wäre reichlich borniert, ein konservatives Weltbild an solchen Beispielen festmachen zu wollen. Wenn schwule oder lesbische Paare dauerhaft Verantwortung füreinander übernehmen, so ist das nicht weniger konservativ als wenn sich Männlein und Weiblein zu einer solchen Partnerschaft entschließen. Konservativ zu sein heißt nicht, sich an überlebte Konventionen zu klammern. Konservativem Denken liegen fundamentalere Überzeugungen zugrunde: eine Verantwortungsethik zum Beispiel, wie sie auch in homosexuellen Partnerschaften zum Ausdruck kommt. Beständigkeit, Verbindlichkeit, füreinander einstehen – das sind konservative Tugenden. Doch wer sich lediglich ein Werturteil über Formen des Zusammenlebens anmaßt, ist damit noch lange nicht konservativ.

Die Welt von heute ist keine Puppenstube, in der es so aussieht wie zu Zeiten des Biedermeiers. Seit Adenauer haben sich die Verhältnisse auch im hintersten Schwarzwaldtal verändert. Gleichwohl gibt es Menschen, die sich unter Ehe etwas anderes vorstellen als die Arbeitsgemeinschaft der Lesben und Schwulen in der CDU. Merkels Wendemanöver mögen die politische Konkurrenz überraschen – manche der eigenen Anhänger stoßen sie vor den Kopf. Das konservative Milieu ist massiv geschrumpft. Doch was wird aus diesen Wählern, wenn sie sich von der CDU verraten fühlen?