Der Metallindustrie droht eine harte Tarifrunde: Die IG Metall will 6,5 Prozent mehr Lohn und will den Krisenabschluss von 2010 damit korrigieren. Ein Kommentar.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Sie sind fast in Vergessenheit geraten, doch bald wehen sie wieder: die roten Fahnen der IG Metall. Die Gewerkschaft kehrt offenbar zu einer Konfliktstrategie zurück, wonach nur eine (dosierte) Mobilisierung der Kampftruppen ein ansehnliches Ergebnis verspricht. Deutliche Lohnsteigerungen oberhalb der Inflation sind das Ziel, das den Rekordrenditen vieler Unternehmen angemessen ist. Doch es ist weniger das Gefeilsche um die Prozente, das der anstehenden Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie Bedeutung verleiht. Es sind vor allem die Forderungen nach einer Begrenzung der Leiharbeit und der unbefristeten Übernahme der Auszubildenden, die diese Auseinandersetzung zu einer Sache aller Arbeitnehmer machen.

 

6,5 Prozent mehr Lohn stehen auf dem Wunschzettel. Das mag im Hinblick auf die Schuldenkrise und die wachsenden konjunkturellen Risiken hoch erscheinen, ist aber nicht mehr als ein Signal der Stärke nach innen und außen. Forderung und Abschluss sind bekanntlich zwei Paar Schuhe.

Warnstreiks sind wahrscheinlich

Brisant ist hingegen der Paradigmenwechsel der IG Metall in der Begründung ihrer Forderung. Anders als früher versucht sie nun ganz offen, ein früheres Tarifergebnis zu korrigieren: den Krisenabschluss von Anfang 2010, der ihr aus heutiger Sicht zu lang und damit zu niedrig geraten ist. Keine Frage: je mehr die global agierende Industrie von Hochs und Tiefs geschüttelt wird, desto verlässlicher muss die Tarifpolitik darauf agieren. Wer aber jetzt einen Nachschlag verlangt, müsste nach einem überhöhten Lohnabschluss beim nächsten Mal auch einen Abschlag akzeptieren. Will die IG Metall das?

Wichtiger als alle Zahlenspielerei im Vorfeld ist ohnehin die konkrete Marschroute. In den vergangenen Jahren haben die IG-Metall-Führer auch ohne tarifstrategische Verrenkungen Weitsicht bei der Lohnfindung bewiesen. Dabei wird es wohl bleiben. Es erscheint ausgeschlossen, dass der Vorsitzende Berthold Huber noch einen Arbeitskampf anzettelt, um am Ende eine Vier vor dem Komma zu erhalten.

Der Stellvertreterkampf der IG Metall

Warnstreiks hingegen sind wahrscheinlich. Diese dürften sich aber eher gegen die Weigerung der Arbeitgeber richten, die prekäre Beschäftigung einzudämmen. Die IG Metall führt an dieser Stelle einen Stellvertreterkampf. Längst geht es nicht mehr nur um Auftragsschwankungen, die es mit Hilfe von Leiharbeitern zu bewältigen gilt. Mit immer weniger Scham nutzt die Wirtschaft ihre Möglichkeiten, reguläre Arbeit konsequent durch hochflexible und günstigere Beschäftigung zu ersetzen. Zugleich verbaut sie immer mehr jungen Menschen die Zukunft, die unbefristete Stellen nur vom Hörensagen kennen. In der Metall- und Elektroindustrie will die Gewerkschaft dagegen ein Bollwerk errichten.

Werkverträge entwickeln sich zu Seuche

Viele verantwortliche Metallarbeitgeber mögen sich dabei zu Unrecht angegriffen fühlen. Doch sind der Fantasie auch in ihren Branchen keine Grenzen gesetzt, so viel Intransparenz wie möglich zu schaffen, um vom Betriebsrat ungestört Stammbelegschaften abzubauen. Vor allem Werkverträge entwickeln sich zu einer Seuche, die dem Einzelnen alle Risiken überlässt. All die tariflichen und gesetzlichen Flexibilisierungsinstrumente sind den Arbeitgebern nicht genug – sie wollen immer mehr.

Viele weitere Schwergewichte wie der öffentliche Dienst, die Chemieindustrie und der Einzelhandel treten 2012 zu Tarifrunden an. Die Metallindustrie bleibt deren Lokomotive – nicht nur beim Lohn. Gelingt es selbst der mächtigen IG Metall nicht, dem Verfall der Arbeitswelt einen Riegel vorzuschieben, dürfte diese – vom Beginn des Jahrtausends aus betrachtet – bald nicht mehr wiederzuerkennen sein. Hoch qualifizierte Arbeit wird weiterhin umworben sein, doch die (industriellen) Dienstleistungen zum Beispiel würden zu einer Art Ramschware verkommen. Dies wäre Gift für die gesamte Gesellschaft.