Die Wahl in NRW zeigt: Politik muss sich als vernünftig präsentieren, nicht als kalt. Ein Kommentar von StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Düsseldorf - Noch vor einer Woche, nach der Landtagswahl in Schleswig-Holstein, war die große Beliebigkeit ausgerufen worden. Jeder muss mit jedem koalieren können, so lautete die Botschaft. Diverse Ampelbündnisse wurden durchgespielt, (gar nicht mehr so) Große Koalitionen erwogen. Am Ende regiert in Kiel wohl ein Bündnis, das es nirgendwo sonst in Deutschland geben kann: Rot-Grün nebst SSW, der die dänische Minderheit vertritt.

 

Ganz anders in Nordrhein-Westfalen. Das Ergebnis ist von großem bundespolitischem Belang, nicht nur wegen der Wucht der 13 Millionen Wahlberechtigten des bevölkerungsreichsten Bundeslands. Erste Erkenntnis: die traditionellen Machtoptionen von Rot-Grün bis Schwarz-Gelb sind wieder leidlich intakt. Aufgrund des Triumphs der alten und neuen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft glauben nun auch wieder die Genossen in Berlin an einen Machtwechsel bei den Bundestagswahlen im nächsten Jahr, zumal die Grünen gezeigt haben, dass sie trotz des Aufwärtstrends der Piraten in der Lage sind, zweistellige Ergebnisse zu erzielen.

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums hat zwar die CDU ein nicht für möglich gehaltenes Debakel erlebt. Andererseits hat aber die FDP – der trotz des Dauerstreits in Berlin bevorzugte Koalitionspartner der Union – ein zweites Lebenszeichen von sich gegeben und den Verbleib im Landtag geschafft. Ohne diesen Kraftakt von Christian Lindner, der angesichts des desolaten Zustands, in dem sich die Partei noch vor wenigen Wochen befand, einer Wunderheilung gleicht, wären die Liberalen in der Bedeutungslosigkeit verschwunden.

Norbert Röttgen hat die Union unpersönlich vertreten

Erkenntnis zwei: mit Hannelore Kraft setzt sich auch die Botschaft durch, dass die Mehrheit der Wähler des Konsolidierungskurses müde ist. Trotz steigender Steuereinnahmen hat die rot-grüne Minderheitsregierung das Haushaltsdefizit noch weiter erhöht. Die Bürger zwischen Rhein und Weser störten sich daran nicht – im Gegenteil. Mit einem beherzten Wahlkampf und ihrer Losung der „vorsorgenden Sozialpolitik“ streichelte sie, ganz Landesmutter, die Seele ihrer Wähler. Ähnliche Signale hat Angela Merkel im Kanzleramt ja auch bereits nach den Wahlen in Griechenland und Frankreich vernommen. Sie wird sich künftig noch stärker darum bemühen müssen, dass ihre Politik als vernünftig und nicht als kalt wahrgenommen wird.

Genau das ist dem CDU-Spitzenkandidaten Norbert Röttgen nicht gelungen. Während sich – Erkenntnis drei – mit Hannelore Kraft und Christian Lindner zwei politische Persönlichkeiten sehr nachdrücklich auch für höhere Ämter empfohlen haben, hat sich der einstige Hoffnungsträger der Union aus diesem Kreis verabschiedet. Er hat die Union unpersönlich, blutleer und ohne die letzte Hingabe repräsentiert. Herausgekommen ist ein Absturz, wie ihn die Union lange nicht erlebt hat. Ironie der Geschichte: der Bundesumweltminister wollte sich nie festlegen, ob er auch im Falle einer Niederlage in den Düsseldorfer Landtag einzieht. Zu hart schien ihm offensichtlich die Oppositionsbank in der Provinz, seinem politischen Talent und Anspruch nicht angemessen. Nun wirft er den Landesvorsitz hin und flüchtet vom Rhein zurück an die Spree. Mit größeren Blessuren ist wohl noch kein Bundesminister aus einem Landtagswahlkampf zurück auf seinen Ministerposten gehumpelt. Dieses Scheitern beschädigt ihn auch im Bund.

Im Jahr 2005 hat der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder nach dem Verlust der NRW-Wahl vorgezogene Neuwahlen im Bund ausgerufen. Bundeskanzlerin Merkel wird nichts dergleichen tun. Doch ob Betreuungsgeld, Steuersenkungspläne oder Fiskalpakt: ihr steht nun eine Opposition mit Rückenwind gegenüber.