Das Wort von der Kumpanei zwischen Politik und Autoindustrie ist in der aktuellen Krise schnell gesagt. Doch soll ein Ministerpräsident wie Winfried Kretschmann die Autobranche ignorieren?, fragt sich der StZ-Autor Reiner Ruf.

Stuttgart - Im August geht Winfried Kretschmann wieder auf Tour. „Kretschmann, läuft!“ heißt das Format mit dem erratischen Komma zwischen dem Ministerpräsidenten und dem, was er am liebsten tut, dem Wandern. Schon vor zwei Jahren streifte er für zwei Wochen durchs Land, damals im vorgelagerten Landtagswahlkampf. Jetzt folgt die Reprise, denn die Bundestagswahl steht vor der Tür. Das gibt schöne Bilder, die Kretschmann mit beglückten Wandergenossen und friedlichen Schafen vor anmutigen Landschaften zeigen. Keine ärgerlichen Aufnahmen, auf denen der Regierungschef ratlos auf Motorblöcke blickt, die einst ein ganzes Autoland mit Stolz erfüllten – und nun in Selbstzweifel stürzen.

 

Kretschmann war 2011 mit der Aussage ins Amt gestartet, weniger Autos seien besser als mehr, was ihm sogleich als Verstoß gegen den ungeschriebenen allerersten Artikel der Landesverfassung ausgelegt wurde. Der lautet: „Ehret das Auto, auf dass es euch nähret.“ Kretschmann besann sich und fügte sich fortan in die hergebrachte Rolle des stets um das Wohl der Autoindustrie besorgten Landesvaters, böser formuliert: des obersten Autolobbyisten. Winfried Hermann, der Verkehrsminister, ging gelegentlich von der Leine, wurde aber nach verärgerten Anrufen respektive Briefen aus den Konzernzentralen regelmäßig zur Räson gebracht.

Sein Schmusekurs macht Kretschmann verdächtig

Bei den Grünen jenseits der Landesgrenze machte sich der Regierungschef mit seinem Schmusekurs verdächtig: Kretschmann, der Kollaborateur der Großkapitalisten. Diesseits der Landesgrenze konnten sich die Grünen mit Kretschmanns automobiler Industriepolitik durchaus anfreunden – solange man nur glaubhaft machen konnte, dass die Motoren immer sauberer würden. Denn die Automobilkonzerne mit all ihren Zulieferfirmen, die ihre Produkte wiederum mit schwäbischen Werkzeugmaschinen herstellen: Dieses industrielle Fasernetz ermöglicht erst die Wertschöpfung, die es braucht, auf dass in progressiv-bürgerlichen Nullenergiehäusern ökologisch hochwertiger Biokäse zum Abendbrot gereicht werden kann.

Und jetzt? Die Krise der Autoindustrie im Zeichen des Schummeldiesels, des Kartellverdachts und der Digitalisierung der Mobilität bedeutet für die Grünen im Südwesten einen Realitätsschock. Denn es ist das eine, von vernetzter Mobilität, Elektroautos und Fahrradautobahnen zu reden. Es ist aber etwas anderes, eine Leitindustrie bei einem technologischen Transformationsprozess solchen Ausmaßes zu begleiten. Die Politik ist da schnell überfordert.

Es wäre töricht, die Verbindungen zu kappen

Und sie sollte auch nicht nur von den Autokonzernen verlangen, sich ehrlich zu machen, sondern bei sich selbst anfangen. So wird derzeit mit großer Emphase die Nachrüstung für die Dieselmotoren propagiert. Dies in Form eines „Upgrades“ der Software. Klingt positiv, hat aber Folgen für den Kraftstoffverbrauch, womöglich auch für die Leistung und die Lebensdauer des Motors. Doch von diesen Risiken für die Dieselbesitzer ist wenig zu hören – Hauptsache, man kann vor der Bundestagswahl eine (Pseudo-)Lösung vorweisen.

Gleichwohl wäre es töricht, wollte Kretschmann seine Verbindungen zur Autoindustrie nun kappen. Der Vorwurf der Kumpanei ist schnell erhoben, doch gibt es genügend Themen, bei denen Politik und Industrie zusammenarbeiten müssen: etwa bei Ladeinfrastruktur für Elektroautos oder bei synthetischen Kraftstoffen, die dem Verbrennungsmotor eine zweite Chance geben könnten. Und noch etwas: Legitimität erlangt ein demokratisch gewählter Politiker damit, dass er sich um die Probleme derer kümmert, auf deren Wohlergehen er seinen Amtseid abgelegt hat. Eine gewisse Haltungsänderung gegenüber den Autokonzernen hat Kretschmann indes vorgenommen. Neuerdings zitiert er Lenin, wenn er über sie spricht: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“