Zum Beginn der Krisengespräche in Minsk haben sich Russlands Präsident Putin und sein ukrainischer Amtskollege Poroschenko die Hand gegeben. Das Treffen wird überschattet von der Festnahme russischer Soldaten.

Kiew - Am Dienstagmittag landeten auf dem sonst eher verschlafenen Flughafen der weißrussischen Hauptstadt Minsk im Halbstundentakt die Jets der Präsidenten und der Vertreter der Europäischen Union (EU). Ziel des Treffens: der Beginn von Friedensverhandlungen zwischen Russlands Präsident Wladimir Putin und seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko.

 

Poroschenko war mit geringen Erwartungen nach Minsk gereist, am Vorabend hatte der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin noch von einem „diplomatischen Krieg“ gesprochen, der die Ukrainer in der Hauptstadt des letzten Diktators in Europa, dem Autokraten Alexander Lukaschenko, erwarte.

Putin vermied es, Blickkontakt zu Poroschenko zu haben

Nach dem Gespräch mit der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton und den EU-Kommissaren Günther Oettinger und Karel De Gucht klang Präsident Poroschenko schon wieder etwas optimistischer. Mit nichts Geringerem als einer Vereinbarung über den Frieden in der Ukraine wolle er Minsk verlassen. „Wenn wir heute mit unseren Kollegen in der Lage sein werden, eine Vereinbarung zu erreichen, die der Ukraine den Frieden bringt, wird dieses Treffen als Meilenstein in unsere Beziehungen eingehen“, zitieren ihn Nachrichtenagenturen.

Der seit über zwei Jahrzehnten über Weißrussland herrschende und wirtschaftlich wie politisch von Moskau abhängige Präsident Alexander Lukaschenko empfing seine Gäste im „Palast der Unabhängigkeit“. Der Protzbau aus Marmor, Edelhölzern und seltenem Sandstein steht im krassen Gegensatz zur Armut der Masse der weißrussischen Bevölkerung.Russlands Präsident Putin ließ sich im Mercedes SEL 600 vom Flughafen zum Friedensgipfel fahren. Beim Gruppenfoto gab er sich so sportlich wie möglich, vermied es aber immer wieder, mit Poroschenko Blickkontakt aufzunehmen oder gar allzu oft zusammen mit ihm fotografiert zu werden. Immerhin: die beiden begrüßten sich mit Handschlag. Später, am Abend, kamen beide dann zu einem bilateralen Gespräch zusammen. Nach etwa zwei Stunden war das Treffen beendet – Poroschenko verließ den Ort der Zusammenkunft, ohne zunächst eine Stellungnahme abzugeben.

Wenig später erläuterte er, Putin habe deutlich gemacht, dass er den Kiewer Friedensplan unterstütze. Putin selbst scheint Russland jedoch nicht in der Verantwortung zu sehen. Ansprechpartner für die Regierung in Kiew beim Thema Waffenruhe seien die Aufständischen, zitierte die russische Agentur Interfax den Kremlchef.

Es war das erste Treffen der beiden Präsidenten seit Juni. Beobachtern zufolge vermieden Poroschenko und Putin gegenseitige Schuldzuweisungen. Moskau sei zu einem weiteren Dialog über die Krise bereit, sagte Putin. Auch beim Streitthema Gaslieferungen wollen die Nachbarn den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen.

Wenn es um die Ukrainer gegangen wäre, hätten sie diesem Treffen nicht zugestimmt, schon gar nicht in Minsk. Der ukrainische Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk sagte in Kiew, er wolle zurück zu Gesprächen im Genfer Format. Im April hatten sich Vertreter der USA, Russlands, der EU und der Ukraine erstmals zu Friedensgesprächen in Genf getroffen.

Das Treffen in Minsk wurde von den schwersten Kämpfen seit Ausbruch der Auseinandersetzungen zwischen prorussischen Separatisten und der ukrainischen Armee überschattet. Erstmals sei ein russischer Militärhubschrauber vom Typ MI-24 von der ukrainischen Armee abgeschossen worden. Dabei kamen vier Soldaten ums Leben, berichtet der Militärsprecher der ukrainischen Armee, Andrej Lysenko. Zudem seien zehn russische Fallschirmjäger auf ukrainischem Territorium festgenommen worden. Die russische Seite bestätigte den Vorfall und sprach davon, dass die Militärs aus Versehen auf fremdem Gebiet gelandet seien. In einem im ukrainischen Fernsehen gezeigten Video gab ein Soldat zu, mit seiner Kolonne die Grenze zur Ukraine überquert zu haben. Die Ukrainer sprechen von massiven Grenzverletzungen. Die Gefangennahme der Soldaten ist der erste konkrete Beleg, dass Russland mit eigenen Truppen im umkämpften Osten der Ukraine aktiv ist. Unterdessen wurden aus der südukrainischen Stadt Nowoasowsk schwere Kämpfe zwischen ukrainischer und russischer Armee gemeldet. Die 12 000-Einwohner-Stadt liegt am Asowschen Meer, direkt an der russischen Grenze. Eine wichtige Fernstraße führt von Nowoasowsk in die Hafenmetropole Mariupol. Dorthin hat die Donezker Regionalregierung ihren Sitz verlegt, weil die Großstadt Donezk seit Wochen umkämpft ist. In Kiew werden Befürchtungen zur Gewissheit, dass der russische Angriff auf die Ukraine aus dem Süden kommen könnte. Mariupol war im Mai nach heftigen Kämpfen von den ukrainischen Streitkräften zurückerobert worden, nun sieht vieles danach aus, dass die Stadt erneut fällt.

Separatisten könnten an Neuwahlen teilnehmen

Wenige Stunden bevor der ukrainische Präsident Poroschenko nach Minsk aufgebrochen war, hatte er am Montagabend das Parlament aufgelöst – damit sind Neuwahlen am 26. Oktober möglich. Der Politologe Vadim Karasew hält es für keinen Zufall, dass diese Entscheidung am Vorabend der Minsker Gespräche gefallen ist. Mit dem neuen Parlament werde auch eine „neue politische Elite nach Kiew ziehen“, so Karasew.

Kritiker indes warnen davor, dass auch die von Russland unterstützten Separatisten an den Wahlen teilnehmen werden, damit wären diese Gruppen dann auf legitime Weise im ukrainischen Machtzentrum verankert. Die Zentrale Wahlkommission hat bereits angekündigt, genau hinschauen zu wollen, welche Parteien oder Personen sich für den Wahlkampf registrieren lassen werden. Spannend wird, wer sich unter dem Dach von Poroschenko zusammenfinden wird. Er will offenbar mit seiner Partei Solidarität antreten und kleinere Parteien um sich versammeln und dann als sogenannter Block Petro Poroschenko eine große Mehrheit im Parlament erreichen.