Fast 60 Millionen Euro fordert die LBBW von einem einst gelobten Ex-Manager. Der wehrt sich und kämpft hartnäckig um seine berufliche Rehabilitierung. Zweimal siegte er bereits vor Gericht.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es war ein emotionaler Auftritt, wie man ihn in Zivilprozessen nur selten erlebt. Bitter beklagte sich der einstige Manager der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) vor dem Landgericht Stuttgart über seinen einstigen Arbeitgeber. Als Geschäftsführer der LBBW-Tochter Südfactoring, berichtete Karl Weigend (Name geändert) äußerlich ruhig, aber erkennbar aufgewühlt, habe er seit 2008 erfolgreich agiert. Den Umsatz verdreifacht, den Gewinn kontinuierlich gesteigert, alle Ziele erreicht oder übertroffen – auch der LBBW-Chef Hans-Jörg Vetter sei hochzufrieden gewesen. „Wir sind von Ihnen überzeugt“, habe Vetter gelobt und den Gewinn „toller Kunden“ ebenso wie die eingeführten klaren Strukturen gewürdigt. Bei dem Finanzdienstleister, der sein Geld mit der Übernahme von Forderungen verdient, schien mithin alles in bester Ordnung zu sein, ebenso wie bei der Schwestergesellschaft Südleasing, wo der Südfactoring-Chef später ebenfalls die Geschäftsführung übernahm.

 

„Als Dank kam die fristlose Kündigung“, fuhr Weigend sarkastisch fort – und eine Schadenersatzforderung über fast 60 Millionen Euro. Kurz vor Weihnachten 2013 überbrachte ein Bote an seiner Haustür das Anwaltsschreiben, mit dem die LBBW den gigantischen Betrag verlangte. Einige Monate zuvor hatte man sich getrennt, erst per gerichtlichen Vergleich und dann doch im Streit. Seither ringt der Ex-Geschäftsführer in mehreren Verfahren vor Gericht mit der Bank – nicht nur um die Millionen, die im Zweifel seine Manager-Haftpflichtversicherung aufbringen müsste, und eine sechsstellige Abfindung, die die LBBW nicht mehr zahlen möchte, sondern mindestens ebenso sehr um seine Ehre.

Wie ein Gefangener gefühlt

Seit mehr als zwei Jahren sei er nun „im Berufsleben blockiert“, schilderte der Mittfünfziger, studierter Jurist und Betriebswirt, dem Richter. Alle Versuche, wieder Fuß zu fassen, scheiterten an dem durch die Vorwürfe genährten Verdacht, man könne ihm keine Vermögensinteressen anvertrauen. Dabei seien diese „komplett falsch“: Nicht er habe den Schaden im Zusammenhang mit einem Betrugsfall bei einem großen Kunden zu verantworten, sondern die Bank durch Versäumnisse und Fehlentscheidungen. „Ich fühle mich wie ein Gefangener, der unschuldig im Gefängnis sitzt“, bilanzierte Weigend mit leicht bebender Stimme.

Es ist ein ungleicher Kampf, der da derzeit vor dem Land- und dem Oberlandesgericht ausgetragen wird. Auf der einen Seite steht die Bank, der es vor allem ums Geld geht. Wenn man überzeugt sei, Ansprüche zu haben, dann müsse man diese auch geltend machen und durchzusetzen versuchen, sagte der scheidende Vorstandschef Vetter kürzlich vor Journalisten. Das sei „unsere Aufgabe, so unangenehm das im Einzelfall sein mag“. Seit seinem Amtsantritt 2009 sei die LBBW etwa gegen eine ganze Reihe von Investmentbanken vorgegangen, teils mit großen Namen; „zweistellige Millionenbeträge“ habe man auf diese Weise für die Gesellschafter – Land, Stadt Stuttgart und Sparkassen – zurückgeholt. Einstige Manager zu verklagen sei natürlich „ein diffiziles Thema“, das man „entsprechend sensibel“ handhabe. Ob rechtliche Schritte und Prozesse unbedingt sein müssten, prüfe die Bank regelmäßig. „Wir sehen unsere primäre Aufgabe nicht darin, Rechtsanwälte reich zu machen“, witzelte Vetter.

Auf der anderen Seite stehen Manager wie Weigend, bei denen es um die berufliche, ja sogar persönliche Existenz gehen kann. Starke Nerven, Durchhaltevermögen und viel Geld erfordert es, um die als unberechtigt angesehenen Ansprüche abzuwehren und eigene durchzusetzen. Unter dem Kampf leidet da schnell die ganze Familie oder die Gesundheit. Beistand bekommen die Ehemaligen im Zweifel von der Manager-Haftpflichtversicherung, die natürlich nicht grundlos zahlen will; auch im Fall Weigend ficht diese an seiner Seite. Doch für die Versicherungen sind solche Fälle eine Gratwanderung: Je interessanter ein Kunde ist, desto weniger will man es sich dauerhaft mit ihm verscherzen.

Schadenersatz wegen Pflichtverletzungen

Der einstige Südfactoring-Chef ist nicht der Einzige, von dem die LBBW viel Geld fordert. Seit Jahren geht sie auch gegen Manager ihrer einstigen Immobilientochter vor: Sogar 120 Millionen Euro Schadenersatz sollen drei Ex-Geschäftsführer zahlen, wegen angeblicher Pflichtverletzungen bei verlustreichen Projekten im Ausland, vorneweg Rumänien. Die strafrechtliche Aufarbeitung der Vorwürfe erbrachte wenig: Zwei aus dem Trio mussten erst gar nicht vor Gericht, der dritte erreichte eine Einstellung des Verfahrens gegen Geldauflage, wegen geringer Schuld. Der Zivilprozess um die Millionenforderung vor dem Landgericht geriet derweil zur Hängepartie: Mehr als ein Jahr lang wurde darum gerungen, welche Unterlagen die Bank freigeben muss; Termin um Termin wurde vertagt, bis man sich endlich einigte. Nun soll vielleicht im Frühsommer über die eigentliche Klage verhandelt werden. Die Ex-Manager und ihre Versicherung weisen dem Vernehmen nach alle Ansprüche zurück.

Im Fall Weigend ist man da schon weiter. Zwei wichtige Etappensiege konnte der beklagte Manager bereits feiern. In den öffentlichen Verhandlungen blieb zwar unklar, was genau – nach dem Lob von Vetter – zum Zerwürfnis mit dem Südfactoring-Chef führte. Schwierig wurde das Verhältnis offenbar, als der für die Tochter zuständige Vorstand wechselte. Joachim Schielke ging, Karl Manfred Lochner kam – und hatte wohl seine eigenen personellen Vorstellungen. Eher zufällig erfuhr Weigend, dass längst über seinen Kopf hinweg geplant wurde. Man einigte sich schließlich auf eine Trennung gegen Abfindung.

Fristlose Kündigung

Dann kam der Fall „Chips & More“. So hieß jene Freiburger Firma, die Speicherprodukte für Computer, Digitalkameras und Smartphones vertrieb. Es war ein Geschäft mit Höhen und Tiefen – und endete 2013 mit einem Insolvenzantrag. Etwa zur gleichen Zeit liefen Ermittlungen wegen Betrugs an. Zwei Verantwortliche hätten sich selbst angezeigt, berichtet die Mannheimer Staatsanwaltschaft, die das Verfahren von den Freiburger Kollegen übernommen hat. Die beiden und zwei Helfer hätten „an ein Unternehmen“ Rechnungen verkauft, denen keine Geschäfte zugrunde lagen, zumindest nicht in der angegebenen Höhe. Mutmaßlicher Schaden: 59 Millionen Euro. Ende 2014 gab es Razzien in Firmen- und Privaträumen, inzwischen wird gegen einen der Beschuldigten auch wegen Untreue ermittelt. Kürzlich habe die Polizei ihren Schlussbericht übersandt, sagt ein Justizsprecher, nun bekämen die Beteiligten Akteneinsicht.

Das betrogene Unternehmen war die LBBW-Tochter Südfactoring. Die Bank erstattete nicht nur Strafanzeige gegen die Verantwortlichen bei Chips & More, sondern ging auch gegen den zweifelsfrei nicht in kriminelle Machenschaften involvierten Ex-Geschäftsführer vor: Weigend wurde nachträglich fristlos gekündigt, soll die vereinbarte Abfindung nun doch nicht erhalten und stattdessen knapp 60 Millionen Euro Schadenersatz zahlen. Die vereinfachte Begründung: Mit dem unbegrenzten Ankauf der Forderungen der Chip-Firma habe er seine Kompetenzen überschritten; hätte er das gebotene Limit vereinbart, wäre der Schaden deutlich geringer ausgefallen. Nun müsse man sich eben an ihn halten. Im Kern werfe man dem Ex-Manager vor, dass er die Südfactoring eigenmächtig „wie ein inhabergeführtes Unternehmen geführt“ habe, erläuterte einer der Bankanwälte vor dem Landgericht.

Dort geht es zunächst nicht um einen konkreten Betrag – der Streitwert liegt bei 30 Millionen Euro –, sondern darum, eine Zahlungspflicht festzustellen. Weigend, der sich auf Anfrage nicht äußern wollte, bestreitet in den Verfahren, Pflichten verletzt zu haben; die behaupteten Vorgaben habe es nicht gegeben. Der Schaden sei erst durch die fristlose Kündigung des Vertrages mit Chips & More entstanden, den sein Nachfolger und der Aufsichtsrat zu verantworten hätten; erst dadurch sei es zu der – sonst vermeidbaren – Insolvenz gekommen. Er selbst habe im Gegenteil vieles umgesetzt, um Südfactoring und Südleasing vor Betrug zu schützen. Doch seine dringende Bitte, einen zweiten Geschäftsführer und einen Aufsichtsrat zu installieren, sei von der Bank lange nicht erhört worden.

Wenig glaubhafte „Rolle rückwärts“

Vor Gericht bekam der Ex-Geschäftsführer kürzlich zum zweiten Mal recht. Die Beweisaufnahme habe „nichts ergeben, was die Auffassung der Klägerin stützen könnte“, hielt die zuständige Handelskammer fest. Eine Pflichtverletzung sei verneint worden, „weil es keine konkrete Vorgabe der LBBW für eine betragsmäßige Begrenzung des Factoring-Engagements gegeben hat“. Weigend habe sich vielmehr an die Bedingungen gehalten, die der damals zuständige Vorstand Schielke vorgegeben habe. Auch Schielkes Aussage als Zeuge, die die Richter teils als wenig glaubhafte „Rolle rückwärts“ kommentierten, habe man nichts anderes entnehmen können. Ähnlich hatte sich zuvor eine andere Kammer im Rechtsstreit um die Abfindung positioniert: Weigends Verzicht auf ein Ankaufslimit im Vertrag sei vertretbar gewesen, die Darstellung der Bank dagegen „unglaubwürdig“, „unplausibel“ und „unschlüssig“.

Mit den Niederlagen will sich die LBBW indes nicht abfinden, die Rechtsstreitigkeiten gehen nun vor dem Oberlandesgericht weiter. Man müsse „immer aufpassen, dass man sich in einem Thema nicht verrennt“, hatte Bankchef Vetter gesagt. Auch Rechtsmittel, ergänzte ein Sprecher, würden nur nach „umfassender Prüfung“ eingelegt.

Die Bank hat Zeit – Karl Weigend aber nicht. Lieber heute als morgen würde er sich, vom Makel der Vorwürfe befreit, seiner beruflichen Zukunft zuwenden.