Lenny Kravitz hat in der Stuttgarter Schleyerhalle vor 8000 Besuchern eine sehr gute Bühnenshow abgeliefert und alle Erwartungen befriedigt. Und doch bleiben manche Fragen offen.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Ausgerechnet „All along the Watchtower“ läuft als Rausschmeißer vom Band, als am Samstagabend die Scheinwerfer aus und das Hallenlicht angegangen sind. Jimi Hendrix’ längst selbst zum Klassiker gewordene Adaption des Klassikers von Bob Dylan, vom Folksänger als „die maßgebliche“ Deutung bezeichnet, geleitet die Besucher nach draußen. Ein kleines Detail vielleicht nur, aber Sinnbild womöglich für das Dilemma, an dem Lenny Kravitz seit Jahr und Tag zu rackern hat: dem Vorwurf, dass er, auch optisch Jimi Hendrix sehr ähnlich, epigonal die alten Erfolgsrezepte auszureiten versucht; dass sein Beitrag zur zeitgenössischen Popularmusik mehrheitlich in selbstdarstellerischen Qualitäten liegt; und dass dort, auf der Bühne und im Tonstudio, zwar massenkompatibel Tönendes, aber wenig Innovationspotenzial Bietendes geboten wird.

 

Achttausend Besucher sprechen am Samstagabend in der Schleyerhalle für und wider diese Thesen. Für, weil es in Stuttgart sonst keine Halle gibt, die ein entsprechend großes Publikum fassen könnte. Und wider, weil diese Arena je nach Bühnengröße bis zu fünfzehntausend Zuschauern Platz bietet, mithin bei diesem Konzert insbesondere auf den hinteren der bis zu knapp achtzig Euro bepreisten Ränge recht luftig gefüllt ist.

Dienst nach Vorschrift

Als einer der Mitpräsentatoren firmiert ausweislich der Eintrittskarte das bekannte Musikfachblatt „Cosmopolitan“, was allerdings nicht weiter verwundern oder gar beschweren muss, da umstandslos ins Geschehen übergeleitet werden soll. Lenny Kravitz betritt schon um viertel nach Neun die Bühne, eröffnet pflichtschuldigst mit „Dirty white Boots“ vom neuen Album das Konzert, legt sogleich seine zwei Kracher „American Woman“ und „It ain’t over till it’s over“ nach. Es folgen kurze Ausflüge in das bisherige Schaffen, weitere Lieder vom neuen Album, dann wird zum Gassenhauer „Always on the run“ ein wenig gejammt, schließlich kommt Kravitz’ größter Kracher „Fly away“, und dann . . . ist nach einem Dutzend Songs auch schon Schluss.

Nichts spricht jedenfalls gegen die Songs, ganz im Gegenteil: es sind gute Nummern, die den Ruf des Musikers mit ukrainisch-jüdisch-bahamesischen Wurzeln begründet haben. Sie kommen auch in der Schleyerhalle bestens daher und retten diesen kurzen Abend auch über seine Längen hinweg. Überraschenderweise wird am Ende eine Zugabe anberaumt, sie besteht aus sage und schreibe gleich zwei Stücken, „Are you gonna go my Way“ ist das zweite, womit nunmehr alle Hits gespielt worden wären. Einen ordentlichen Dienst nach Vorschrift hat Lenny Kravitz somit abgeliefert. Zu bemäkeln wären allenfalls der selbst für Schleyerhallenverhältnisse grotesk laute Klang, den der Kosmopolit Kravitz mitgebracht hat, sowie die sehr kärgliche Videoleinwand, auf der das Bühnentreiben so unzureichend vergrößert wird, dass auf den billigen Plätzen am Ende des Hallenrunds tatsächlich nicht mehr als Stecknadelköpfe zu sehen ist.

Etwas mehr Originalität wäre schön

Aber auch darum geht es ja nur am Rande. Entscheidender ist die Frage, ob hier flugs eine Tourneestation heruntergekurbelt worden wäre oder umgekehrt ein Künstler zu beobachten ist, der den drängenden Impuls ausstrahlt, das Dagewesene durch Neuerungen zu bereichern. Die Antwort heißt „jein“. Lenny Kravitz’ Darbietung ist in Ordnung, alle Erwartungen an einen ordnungsgemäßen Konzertverlauf werden erfüllt, die Mindestmenge gespielten Materials erreicht. Die erwähnte Jamsession gaukelt womöglich sogar Spontaneität vor, wie Kravitz’ Ausflugsbad in der Menge bei seinem letzten Stuttgarter Gastspiel vor einigen Jahren bei den Jazz-Open vielleicht auch volksnahen Flair suggeriert haben mag.

De facto bleibt also ein – zumindest für die vorderen Reihen sichtbar – wie aus dem Ei gepellter Musiker, der seine Hits abfeuert, einen kleinen Einblick in sein neues Schaffen gewährt und noch ein wenig Material aus seinen restlichen neun Alben bietet. Ein guter Entertainer obendrein, der natürlich auch über einen Sack voller großer Hits und mithin eine erstaunliche Lebensleistung verfügt, weswegen sich nachdenkliche Töne auch nachgerade verbieten.

Halten wir also trotz aller Zwischentöne fest, dass am Samstagabend der sehr gute Musiker Lenny Kravitz eine sehr gute Show in der sehr gut besuchten Schleyerhalle abgeliefert hat. Dass sein neuer titelgebender Song „Strut“ vom aktuellen gleichnamigen Album tatsächlich das Zeug zum Evergreen haben könnte? So lebhaft, wie er in der Arena präsentiert wurde, dürfte dies außer Frage stehen. Dass Lenny Kravitz ein exzellenter Performer ist? Ebenfalls Ehrensache! Und dass er seinen Konzerten etwas mehr Originalität verpassen dürfte? Wohl auch das.