Ludwigsburgs Oberbürgermeister Werner Spec möchte, dass die Region im Jahr 2025 Kulturhauptstadt wird – aber Stuttgart reagiert nicht.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Ludwigsburg - Die Region stelle ihr Licht unter den Scheffel. National und international sei sie vor allem wegen des Streits über Stuttgart 21 bekannt, meint Werner Spec, der Ludwigsburger Oberbürgermeister und Vorsitzende der Kulturregion. Es sei höchste Zeit, andere Zeichen zu setzen. Eine Präsentation als Europäische Kulturhauptstadt 2025 sei dafür bestens geeignet. Bisher ist der Funke der Begeisterung allerdings nicht übergesprungen: Der Stuttgarter Stadtchef Fritz Kuhn habe nicht einmal reagiert. Spec ist enttäuscht.

 
Herr Spec, wo sitzen die größeren Feinde für Ihre Idee der Kulturhauptstadt Region: in Dresden, Magdeburg oder Stuttgart?
Die Idee einer Europäischen Kulturhauptstadt muss man eher als Chance begreifen, um die Kultur, aber auch andere Schlüsselfelder deutlich zu stärken. In der Region Stuttgart sind das weitreichende Veränderungen hin zu einer nachhaltigen Mobilität. Wir müssen die Energiewende erfolgreich gestalten, zudem gibt es atemberaubende Veränderungen im IT-Sektor. Als Vorsitzender der Kulturregion möchte ich ein solches Projekt mit voranbringen, wenn die Kräfte in Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft darin eine Chance sehen. Aber ich muss auch darauf hinweisen, dass mit Blick auf einen notwendigen breiten Dialog und eine ambitionierte Vorbereitungsphase für eine mögliche Bewerbung nicht mehr viel Zeit verbleibt. Die Gefahr besteht, dass sich die Frage allein schon durch den Zeitablauf erledigt.
Offenbar rennen Sie keine offenen Türen ein. Überrascht Sie dieser Widerstand?
Natürlich nehme ich wahr, dass man in der Landeshauptstadt mit sich ringt. Nicht zuletzt wegen des großen Finanzierungsbedarfs für die Staatsoper. Das kann ich einerseits gut nachvollziehen. Wir haben heute schon ein beachtliches Renommee in der Kultur und sind auf wichtigen Feldern der Innovation bedeutende Schritte vorangekommen. Aber die entscheidende Frage ist, ob wir die unglaublichen Stärken, die wir hier nicht nur in der Kultur, sondern auch in der Technologie, in der Wissenschaft, in der Architektur, in der Kreativwirtschaft und auf anderen Feldern vorfinden, schon optimal ausgespielt haben. Das ist sicher nicht der Fall. Hier können und müssen wir noch mehr tun.
Sie haben einen guten Draht zu Jürgen Walter, der Kulturstaatssekretär und Parteigenosse von Herrn Kuhn ist. Wen haben Sie denn auf Ihrer Seite?
Natürlich ist in der Landesregierung bekannt, dass Mannheim sich seit vielen Jahren gezielt vorbereitet. Aber in Gesprächen mit Herrn Walter oder auch der Wissenschaftsministerin Theresia Bauer habe ich den Eindruck gewonnen, dass man einer möglichen Bewerbung der Region Stuttgart offen gegenübersteht.
Muss das Land auf jeden Fall für die Idee gewonnen werden?
Es macht nur Sinn, wenn eine Region gemeinsam mit der Regierung antritt. Wenn mehrere Bewerbungen innerhalb eines Bundeslandes zu erwarten sind, wird ein Auswahlverfahren nötig sein. Weil mit äußerst starken Konkurrenten aus anderen Bundesländern zu rechnen ist, muss Baden-Württemberg ein Interesse haben, den Bewerber mit den besten Voraussetzungen ins bundesweite Rennen zu schicken.
Was hat die Kultur mit Mobilität zu tun?
Wie schon erwähnt, geht es bei den Europäischen Kulturhauptstädten zum einen darum, der Kultur Aufmerksamkeit und Impulse zu verschaffen, aber auch regionalspezifische Handlungsfelder aufzuzeigen. Marseille hat beispielsweise soziale Brennpunkte der Stadt thematisiert.
Aber nicht zu aller Zufriedenheit.
Ja, schon. Aber wenn man sich die Region Stuttgart mit der Landeshauptstadt im Jahr 2025 vor Augen führt, dann könnten wir es bis dahin geschafft haben, die komplexen Herausforderungen hin zu einer nachhaltigen Mobilität zu meistern, und zwar mit der Kompetenz in Wirtschaft und Wissenschaft sowie der ökonomischen Leistungsfähigkeit. Wir könnten deutlich machen, auch mit Blick auf die weltweit zunehmende Urbanisierung, wie man mit dem technologischen Potenzial unserer Unternehmen sowohl den Klimaschutz als auch die Lebensqualität der Menschen deutlich verbessern kann. Die Region Stuttgart, die zuletzt international eher durch Kontroversen um die Modernisierung eines Bahnhofs bekannt geworden ist, wäre dafür prädestiniert. Wir dürfen nicht verkennen, dass uns Gutachten eine nachlassende Entwicklungsdynamik bescheinigen. Eine noch stärkere Bündelung der Kräfte würde uns gut tun.
Das heißt, Sie hoffen auf einen neuen Schub?
Ja, natürlich. Wir dürfen uns nicht mit dem begnügen, was wir schon erreicht haben. Man muss zeigen, dass die Region noch mehr kann.
Befürchten Sie nicht sowieso, dass der Konkurrenzgedanke in der Region überwiegt? Würde nicht der Fokus auf Stuttgart liegen?
Wir sind im Gegensatz zu andern Metropolen in Europa nicht zentralistisch organisiert. Wir sind heterogen, weil wir eine Vielzahl von selbstbewussten Städten und Gemeinden sind. Dadurch haben wir innerhalb der Region nicht das Problem, dass das Zentrum hochattraktiv ist und in den Vororten große Schwierigkeiten bestehen. Aber klar ist auch: eine Bewerbung würde nur dann Sinn machen, wenn alle wichtigen Akteure, in erster Linie natürlich auch in der Landeshauptstadt, darin eine echte Chance sehen und mit Begeisterung dabei sein können.
Aber man sprüht nicht vor Begeisterung.
Bei einem so wichtigen Thema halte ich es für wünschenswert, dass ein offensiver Dialog geführt wird – selbst wenn man am Ende entscheidet, sich nicht zu bewerben. Im Moment bedauere ich, dass man in der Findungsphase viel Zeit verliert.
Apropos Zeit: was müsste sich denn bis 2025 in der Region alles ändern?
Neben den grundlegenden Veränderungen hin zu einer nachhaltigen Mobilität und einer gelingenden Energiewende zeichnet sich mit der Industrie 4.0 ein unglaublicher Innovationsschub ab. Wir profitieren heute von den Anstrengungen der Vergangenheit, aber wir müssen auch heute die Weichen für den Erfolg von morgen stellen.
Welche Rolle spielen die Kulturinstitutionen in diesem Konzept?
Im Zeitalter der Partizipation bestünde für mich der nächste Schritt darin, auf die Kulturschaffenden zuzugehen und zu überlegen, wie wir ein solches Projekt gemeinsam konzipieren würden. Denken Sie an das Staatstheater, das Ballett, die Ludwigsburger Schlossfestspiele, die Bachakademie, die Jazz Open, die Filmakademie, die Kreativwirtschaft oder die Musiktrends, die hier ihre Wurzeln haben – das sind Schätze! Oder denken Sie an die Architekturbüros, die urbane Entwicklungen weltweit innovativ prägen. Dieser Stärke sind wir uns zu wenig bewusst.
Staatstheater und Bachakademie haben sich bisher nicht sehr erfreut geäußert.
Ich habe keine unmittelbaren Gespräche mit diesen Kulturinstitutionen geführt. Das würde ich erst machen, wenn wir uns mit der Region – mit der ich mich bereits grundsätzlich abstimmen konnte – und natürlich mit dem Kollegen Kuhn im Stuttgarter Rathaus darauf verständigt haben.
Haben Sie das Gefühl, es wird ausgesessen?
Weshalb man nicht bereit ist, sich in einem offenen und breiten Dialog mit den Fragen zu beschäftigen, kann ich nicht sagen.
Herr Kuhn und Sie sprechen nur über die Zeitung miteinander.
Nein. Ich habe mit dem Kollegen Kuhn, dessen Haltung in Fragen der regionalen Zusammenarbeit ich außerordentlich schätze, im vergangenen Jahr einige Male über das Thema geredet. Nachdem ich in Abstimmung mit der Regionaldirektorin Schelling einen gemeinsamen Besprechungstermin vereinbaren wollte, um eine Dialogstrategie zu entwickeln – in der Regionalversammlung gab es dazu im Dezember einen entsprechenden Beschluss – kam es trotz mehrerer Anläufe leider zu keiner telefonischen Abstimmung. Mein Büro bekam die Auskunft, dass man sich in Stuttgart im ersten Quartal 2015 zu dieser Frage entscheiden möchte.
Zeigt man Ihnen die kalte Schulter?
Diesen Eindruck habe ich nicht, aber viele Reaktionen zeigen mir, dass ein breiter Dialog erwünscht wäre.
Man muss auch die Bürger mitnehmen. Was käme im Fall einer Bewerbung auf sie zu?
Ein solches Projekt könnte natürlich nicht an den Menschen vorbei entschieden werden. Das müsste mit den unterschiedlichen Kräften einer Gesellschaft diskutiert werden, um zu spüren, ob eine gemeinsame Energie entwickelt werden kann, ob man es als gemeinsame Chance begreift.
Eine Kulturhauptstadt ist mit hohen Kosten verbunden. Wo kommt dafür das Geld her?
Natürlich gibt es europäische Zuschüsse. Davon abgesehen haben wir bei verschiedenen Prozessen die Erfahrung gemacht, dass durch eine intensive Kooperation aller Beteiligten mit ihren ohnehin laufenden Programmen und Projekten Ressourcen gespart werden können, wenn man gemeinsame Leitideen entwickelt. Abgesehen von der Diskussion in Stuttgart über ein neues Konzerthaus haben wir außerdem in der Region bereits heute herausragende Veranstaltungsstätten für die unterschiedlichsten Genres der Kulturarbeit.