Mando Diao sind nicht mehr die Alten. Zumindest klingen sie nicht mehr so wie früher. Ihr Stuttgarter Auftritt verwirrt viele und beeindruckt in all seiner konsequenten Schrägheit.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Frei nach Frank Zappa: Indie ist nicht tot, aber er riecht ein bisschen. Und zumindest das jüngere Stuttgarter Konzertgeschehen deutet darauf hin. Klaxons: spielen auf ihrer Abschiedstournee vor gerade 200 ziemlich müden Fans im Universum. The Rifles: werden von den Wagenhallen ins Universum verlegt. Mando Diao: sollen nicht 6000 Leute in der Porsche-Arena unterhalten, sondern die, die am Mittwoch halt in den 1900 Menschen fassenden Hegel-Saal in der Liederhalle gekommen sind. Antenne-1-Promo hin, „Dance with somebody“ her. Der Hit ist ja auch schon ein paar Jahre alt.

 

Dass die Band genau das nicht macht – die alten Hits genau so aufzuführen wie damals –, dürfte sich bereits herumgesprochen haben. Die Band redete ja auch selbst dauernd darüber, zum Beispiel im Interview mit der Stuttgarter Zeitung. „Unsere Hallenshows werden mehr wie Theater, wie eine Oper“, hat der Sänger Gustaf Norén da außerdem gesagt.

Realitätscheck: Dieser Abend ist zunächst Ballett, was an der Vorband Kristal And Jonny Boy liegt. Die Schweden machen klassisch unterkühlten, skandinavischen Songwriter-Electropop und als Bühnenshow rhythmische Sportgymnastik im Plastikkostüm. Das Ganze vor einem surreal-technophilen Bühnenbild, und die Sängerin schwenkt eine riesige Rose, was als Pose ein bisschen an Morrissey erinnert. Dazu Halbplayback und eine ziemlich expressiv gespielte elektrische Westerngitarre.

Was so nicht zu erwarten war

Das klingt in der Beschreibung ärger als es ist, erinnert aber stark an allerlei futuristische Popfantasien aus den Achtzigern und ist natürlich nur das Warm-Up für die folgende Esoterik-Oper im Hauptprogramm. Die Mando-Diao-Chefs Gustaf Norén und Björn Dixgård brechen ganz massiv mit dem, wofür sie in den Köpfen der allermeisten Hörer bislang stehen. Statt Schrammel-und-Mitgröl-Gitarrenmusik gibt es bunten Electropop mit hippieskem Ideologieüberbau und gelegentlichen Ausflügen Richtung Rave und Achtziger-Rock.

Das war so alles zu erwarten, zumindest wenn man das aktuelle Album Aelita gehört hat. Was nicht zu erwarten war: dass Mando Diao ihr neues Programm so konsequent durchziehen. Um ihre alten Hits, das wird ihnen das Management schon eingebläut haben, kommen sie nicht herum. Aber „Dance With Somebody“ ist bei diesem Konzert zunächst mal ein Wiegenlied, das die Zuschauer nach dem Willen von Gustaf Norén ihren Kindern vorsingen sollen. „Schade, dass keine Kinder hier sind. Kinder werden aus der Gesellschaft ausgeschlossen!“, ruft der Sänger. Und im Publikum schauen sich manche mit schrägem Blick an. Was soll das?

Was soll das?

Mando Diao kennen die Antwort selbst am besten. Es ist leicht, ihr neues Programm als Spinnerei abzutun, als lauen Aufguss von dem, was Hippies in den Sechzigern und die Technoszene in den Neunzigern gelebt und aufgeführt haben, Motto: Wir haben uns alle lieb. Dazu die Bühnenshow: das Sänger-Duo Dixgård / Norén stellt sich ganz massiv in den Vordergrund. Der Look zum Eso-Trip: weiße Unterbuxen und große Saunatücher, die bald abgelegt werden.

Die erste halbe Stunde stehen die beiden Frontmänner alleine auf der Bühne und spielen Akustik-Songs, für manche Zuhörer ist das eine Geduldprobe. Erst danach erscheint der Rest der Band: im lila Schummerlicht, teils hinter einer pyramidenartigen Konsole für diverse Synthesizer versteckt, dazu ganz in weiß und mit Masken, sozusagen als Abstraktion ihrer selbst. Die Bühne wird von zwei griechischen Säulen flankiert.

Nach dem Konzert in den Perkins Park

Insofern hat die aktuelle Mando-Diao-Show tatsächlich etwas von modernem Musiktheater: auch in der Oper, zumindest in der Stuttgarter Oper, steht die Interpretation im Vordergrund, nicht das eigentliche Werk. Letztlich kann man den ganzen Electropop-Mantel, den die Schweden mit ihrem aktuellen Album Aelita um ihre neuen wie auch die alten Songs legen, selbst als eine Art Abstraktion verstehen: wenn das Arrangement völlig ungewohnt und anders ist, kommt der Kern besser zur Geltung, also der Song selbst.

Was einen Mando-Diao-Song demnach ausmacht: die weiterhin fantastischen Stimmen der Sänger Dixgård und Norén; die großen Melodiebögen in den Refrains, die immer so klingen, als könnten sie jederzeit völlig aus der Spur geraten und geradewegs Richtung Himmel schießen; und das schon immer vom Funkrock inspirierte Gitarrenspiel des ziemlich schlechten Gitarristen Norén.

Die Herrscher der Welt

Es gäbe noch so viel mehr zu erzählen – von Noréns irren Ansagen (etwa „Das Schlagzeug ist das Fundament der Gesellschaft ... Schlagzeuger sind die Herrscher der Welt!“), von Mando Diaos Partyprogramm nach dem Konzert („Kommt in den Perkins Park und sprecht uns an!“), von wilden Exkursionen Richtung Rave (eine besonders harte Version gibt es hier zu sehen) und von der Verneigung des nur noch mit Unterhose bekleideten Gustaf Norén vor dem halbgottähnlich auftretenden Keytar-Spieler. Wichtiger: Letztlich spielen Mando Diao einfach nur Theater, ihre Show ist die Meta-Version eines Rockkonzerts. Und als solche gut gemacht.

Man kann in Stuttgart und auf den anderen Shows der Aelita-Tour eine Band und zwei Frontmänner erleben, die aus der Ecke herauskommen will, in die sie selbst, aber auch alle ihre Zuhörer sie gesteckt haben. Ob das gelingt und die Fans das mitmachen, ist offen; vom Wien-Konzert hieß es in der „Kronen Zeitung“, die Schweden hätten ihr „treues Publikum schockiert“.

Katharsis mit Van Halen

Dieses Urteil ist nicht fair – vor allem nicht aus der Sichtweise des, pardon, Durchschnittsfans, der vor allem wegen der alten Hits da ist. Denn genau die spielen Mando Diao in Wien wie auch in Stuttgart – wenn auch erst nach mehr als einer Stunde und teilweise stark abgewandelt. Als „Dance With Somebody“, „Gloria“ und Co. in Versionen ertönen, die sich so circa 1987 auch auf einem Van-Halen-Konzert gut gemacht hätten und die beiden Frontmänner wie früher gemeinsam in dasselbe Mikro schreien, jubelt das Publikum. In der antiken Tragödie wäre man jetzt bei der Katharsis – gewissermaßen die Erlösung nach mehr als einer Stunde, in der Mando Diao sich sogar in den zeitgenössischen R’n’B vorgewagt haben.

Ob das bisherige Mando-Diao-Publikum auf diese Weise „schockiert“ werden möchte und beim nächsten Mal wieder so viel Geduld mitbringt: keiner weiß es. Vielleicht findet die Band auch ein anderes Publikum.

Für ihr aktuelles, mutiges Programm gebührt den Schweden Respekt. Sie können sich glücklich schätzen, dass die Show im Hegelsaal und nicht in der Porsche-Arena stattgefunden hat – die Liederhalle ist viel besser geeignet. Das Stuttgarter Downsizing hat so gesehen auch etwas Gutes.

P.S. Für alle, die eine der Aelita-Shows angesehen haben, sei als Erinnerung und harter Kontrast empfohlen, sich noch einmal das Video zu „You Can’t Steal My Love“ anzusehen.

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