Noch wird der ultraleichte Werkstoff meist in Handarbeit hergestellt. Auf einer Messe in Stuttgart ist zu beobachten, dass die Hersteller eine Serienproduktion anpeilen. Alle warten darauf, dass dem ersten Unternehmen der Durchbruch gelingt.

Stuttgart - Wer den Carbonrahmen eines Mountainbikes anhebt, kommt aus dem Staunen nicht heraus. Gemessen an der gewohnten Alu- oder Stahlkonstruktion fühlt sich das Hightechrad federleicht an. Und hat auch seinen Preis: viele Tausend Euro. Nicht wenige sind bereit, das zu zahlen. Sie rechnen in Gramm, vergleichen das Gewicht von Lenker, Tretkurbel oder Sattelrohr. Carbon hat meist die Nase vorn. Es wiegt rund 50 Prozent weniger als Aluminium, kann in Sachen Festigkeit und Steifigkeit aber locker mit Metallen mithalten. Daher wird es gern in High-End-Produkten, wo Leistung vor Preis geht, eingesetzt: Formel-1-Karosserieteile, Radsport oder Helme. Der hohe Preis hat zwei Gründe: Zum einen ist der Ausgangsstoff, die Carbonfaser, teuer. Zum anderen wird in den vielen Nischenanwendungen überwiegend von Hand gefertigt. Der Automatisierungsgrad ist niedrig.

 

Das muss sich ändern, sagen die meisten Fachleute, Forscher und Entwickler. Die Autobranche scheint hier der Schrittmacher zu sein, vor allem das Unternehmen BMW. Die Bayern haben den Hauptdarsteller der Messe Composites Europe in Stuttgart dezent an den Hallenrand gesetzt – ohne selbst auf der Messe präsent zu sein: das aktuelle BMW-Elektroauto i3 mit Carbon-Fahrgastzelle. „Alle schauen im Moment auf BMW“, sagt Simon Küppers, Mitarbeiter am Textilforschungsinstitut Denkendorf bei Esslingen. „Und alle warten darauf, dass BMW damit Geld verdient.“ Die Forscher und Entwickler warten gewissermaßen auf eine Initialzündung, auf den Durchbruch eines großen Herstellers.

Beim Verbiegen kann Carbon zerbrechen wie Knäckebrot

Wenn Fachleute von Carbon oder CFK (kurz für: Carbon-faserverstärkter Kunststoff) sprechen, meinen sie einen Verbundwerkstoff aus zwei Bestandteilen: der Carbonfaser plus einem Kunststoff, in dem die Faser eingebettet ist. Im Prinzip kann man das mit einem klassischen Gipsverband vergleichen: Erst die Kombination aus Mullbinde und Gips verschafft dem Verband Festigkeit und Beständigkeit. Und der Verband ist reine Handarbeit. Ähnlich beim Carbon: der Werkstoff entsteht durch ein sogenanntes Infiltrieren eines Carbonfasertextils mit einem Kunststoff. Letzterer härtet aus und schafft ein formstabiles Bauteil. Das Auslegen oder Wickeln von Carbonfasertextilien sowie das Infiltrieren mit Harzen oder Kunststoffen ist noch vielfach Handarbeit. Je nach Produktionsverfahren können Fasern oder Textilien schon mit Kunstharzen oder Kunststoffen benetzt sein, so dass sie nach der Formgebung sofort aushärten.

Für Festigkeit und mechanische Stabilität entscheidend ist die Ausrichtung der Fasern im Bauteil. Nur exakt in Faserlaufrichtung kann ein Bauteil etwa Zugkräfte optimal abpuffern. Damit betreten Forscher und Ingenieure eine neue Welt: Während die bekannten Metalle gleiche Eigenschaften in alle Richtungen haben, verhält sich ein Carbonbauteil unterschiedlich, je nachdem, ob es längs oder quer belastet wird. Die Konstrukteure müssen das in ihren Computermodellen berücksichtigen. Die Software für Crashtests muss grundsätzlich neu geschrieben werden. Und in der Produktion muss genau kontrolliert werden, dass die Fasern nicht verrutschen.

Wie sehr man dieses Prinzip der lastgerechten Faserauslegung auf die Spitze treiben kann, zeigt Peter Fassbaender, Entwicklungsleiter von ACC-Technologies in Sindelfingen, an einem Fahrrad-Kettenblatt. Für das Kettenblatt (siehe Bild) hat er auf einer Vorrichtung mit Harz imprägnierte Carbonfasern so gewickelt, dass beim Radfahren 53 Zähne die Kräfte an die Kette weitergeben. Überall dort, wo keine Kräfte wirken, offenbart das Kettenblatt Leerräume zwischen den ausgehärteten Fasersträngen. Das Bauteil wiegt nur 30 Gramm. „Das Kettenblatt hat schon 700 Kilometer im Mountainbike gehalten“, sagt Fassbaender, „und das mit unserem ersten Prototyp.“ Für seine Funktion auf der Pedalachse ist das Kettenblatt optimal auf Zug und Druck ausgelegt. Versuchte man das Carbonbauteil stark zu verbiegen, könnte es hingegen zerbrechen wie Knäckebrot. Doch dazu gibt Fassbaender sein Unikat nicht her.