In München wurde unter dem Titel „Digitale Disruption“ über die Zukunft der Branche diskutiert. Im TV-Bereich sehen die meisten großes Potenzial bei Internet-Plattformen.

München - Die Rückwand der Bühne zeigte eine dekonstruktivistisch zersplitterte Fläche. Und gleichzeitig drang aus den Lautsprechern betont entspannte Musik, ein unbekannter Künstler pfiff sich eins, ganz so, als wollten die Gastgeber zur Eröffnung der diesjährigen Münchner Medientage zeigen, dass man nicht gedenke, sich von den Umbrüchen in der Branche einschüchtern zu lassen. Im dunklen Keller pfeifen hat schließlich schon manchem Mut verschafft. „Digitale Disruption. Medienzukunft erfolgreich gestalten“, mit diesem Titel war der europaweit größte Branchentreff, der am Freitag zu Ende gegangen ist, diesmal überschrieben.

 

Es wird damit ein Begriff in den Vordergrund gerückt, der durchaus Angst machen kann. Disruption, wie so vieles im Branchensprech aus dem Englischen eingedeutscht, bedeutet Zusammenbruch, Zerstörung, und gemeint ist damit die Art von abrupter Veränderung und Bedrohung, die zum Beispiel das Auftauchen des Fahrservices Uber für die Taxifahrer bedeutet oder die Beliebtheit des Bettenvermittlers Airbnb für die Hotellerie.

Solche unkonventionellen neuen Mitspieler gibt es in der Medienbranche seit Längerem und zuhauf, „gerade Menschen meines Alters interessieren sich ja noch fürs Fernsehen, die Jungen suchen sich ihre Inhalte längst da, wo sie wollen“, flachste Thomas Gottschalk, der den traditionellen TV-Gipfel der dreitägigen Konferenz sehr geschickt moderierte.

Amazon setzt aufs Geschäft mit Serien

Zum Thema „Wie das Kräftespiel zwischen Glotze, Netz und Nutzer unser Fernsehen verändert“ diskutierten da unter anderem Norbert Himmler, der Programmdirektor des ZDF, mit Jay Marine von Amazon Instant Video. Dem Bewegtbildableger jenes Handelsriesen, der inzwischen nicht nur das Buchgeschäft aufgerollt und eine große US-Zeitung übernommen hat, sondern seit „zwei Jahren und fünf Monaten“, so Marine, auch eigene Serien produziert, ist es nach dieser kurzen Zeitspanne gelungen, bei den diesjährigen TV-Preisverleihungen in den USA zehn Emmys und ein paar Golden Globes zu gewinnen. Aus dem etwa tausendköpfigen, ansonsten sehr zurückhaltenden Auditorium, gab es Szenenapplaus für seine ungeheuer zeitgenössisch wirkenden Trailereinspielungen etwa der Geschlechtswechsel-Serie „Transparent“, ziemlich wahrscheinlich waren viele Amazon-Abonnenten unter den Beteiligten und genauso viele, die von der Machtkonzentration in den Händen des Gründers Jeff Bezos nicht begeistert sind.

Doch wie sollen die großen Unternehmen überhaupt auf die radikalen Veränderungen reagieren, die aus dem Silicon Valley, aber auch aus der heimischen Gründerszene drohen, hatte auch Siegfried Schneider von der Bayerischen Landesanstalt für neue Medien schon in seiner Keynote am Eröffnungstag gefragt, und darum ging es in den meisten der neunzig Panels auf dem Kongress. Ist das Fernsehen „zu groß, um zu scheitern“? Kann das Jugendschutzgesetz auf dem neuen konvergenten Markt überhaupt noch Schritt halten? Werden bald native Videoformate die Bewegtbildwelt dominieren? Und wie hält man da am besten mit?

Das ZDF setzt auf seine Stammkunden

Nicht jeder wird so unverfroren geschäftstüchtig, wie Wolfgang Link von Pro Sieben Sat 1 TV, der den amerikanischen Giganten schmeichelte: Er sei froh, sagte Link, dass inzwischen so viele verschiedene mögliche Partner an der Diskussion beteiligt seien, früher habe man für zwei deutsche öffentlich-rechtliche Sender produzieren können, heute sei es möglich, seine Ideen auch bei den neuen Internet-Mitspielern Netflix oder eben Amazon unterzubringen. Weshalb er sich mit seinem auf allen möglichen Plattformen spielenden Sender gut gerüstet für die Zukunft sehe, eine Befindlichkeit, die alle Mitdiskutanten, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise teilten.

Norbert Himmler zählt auf seine treue, ältere ZDF-Stammkundschaft und darauf, dass die ZDF-Mediathek, wo künftig immer noch mehr Stücke jederzeit abrufbar sein werden, den Zuschauern jenen bildungspolitischen Mix aus Unterhaltung und Information bietet, der bei den nach Nutzerinteressen agierenden Newcomern nicht auf dem Zettel ist. Der Prognose, dass lineares Fernsehen bald – die Zahlen variieren zwischen fünf und dreißig Jahren – ausgestorben sein wird, setzte er jene gebührenfinanzierte Bräsigkeit entgegen, die längst mehr Teil des Problems als Teil seiner Lösung ist.

Der Freistaat Bayern investiert ins Digitale

Ilse Aigner, die bayrische Ministerin unter anderem für Wirtschaft und Medien, präsentierte in ihrer Rede im Vergleich dazu den Freistaat als bodenständigen, aber für digitale Aufbrüche jeder Art offenen Ort. Man befinde sich in einem historischen Umbruch, sagte sie und erläuterte ein Vier-Punkte-Programm der Landesregierung für das kommende Jahr. Dazu gehört unter anderem eine verstärkte Gründerförderung – zu dem „Inkubator“ im Münchner Werk 1 sollen Zentren in jedem einzelnen Regierungsbezirk kommen. Es wird einen Digitalbonus geben, rund zwanzig Millionen Euro sind für neue Geschäftsmodelle bereitgestellt worden. Und künftig pflegt man einen technologieneutralen Ansatz bei der Förderung von Projekten, auch Transmediales wird erstmals förderfähig sein und darf „zwischen Regional- und Weltfernsehen“ liegen.

Wie dabei die Inhalte aussehen könnten? Miriam Meckel, die Kommunikationswissenschaftlerin und Chefredakteurin der „Wirtschaftswoche“, las den versammelten Herrschaften – Frauen gibt es bei den Medientagen immer noch eher wenige – engagiert die Leviten. Sie forderte, die Nerven der Nutzer nicht ständig zu strapazieren, und vor allem in Sachen Werbung im Internet auf mehr Qualität und nicht auf immer mehr Quantität zu setzen. „Das 24/7 Byte-Geballer“, so ihre Worte, mache den Menschen zur „Resterampe der digitalen Zerstreuung“. Statt unkreativer Disruption wäre da ihrer Ansicht nach gut durchdachte kreative Zerstörung durchaus angebracht.