In Hamburg gibt es den weltweit ersten Mercedes me Store – ein Café mit Unterhaltungsprogramm, in dem auch Autos gekauft werden können. Mercedes-Benz will damit die Internetgeneration für die Marke gewinnen.

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er Ballindamm ist ein breite Straße an der Hamburger Binnenalster. Unter Bäumen kann man dort schön am Wasser flanieren, der riesigen Fontäne zuschauen oder den rot-weißen Booten, die vom Anleger zu ihren Rundfahrten aufbrechen. Zwei Fahrbahnen trennen den Fuß- und Radweg von traditionsreichen Kontorhäusern. Eines davon trägt in luftiger Höhe den Schriftzug der Reederei Hapag-Lloyd, die hier ihre Zentrale hat. Ein paar Schritte weiter befand sich vor langer Zeit in einem dieser prächtigen Gebäude das erste Autohaus von Mercedes-Benz in der Hansestadt. Seit dem vergangenen Jahr ist hier wieder der Mercedes-Stern zu sehen. In den großen Schaufenstern sind heute jedoch keine Autos ausgestellt, sondern Reisebücher und Globen. Vor der Fensterfront hängen Sonnenschirme; sie beschatten Stühle und Tische eines Cafés. Die Speisekarte listet unter anderem Flammkuchen, belegte Sylter Brote und Bio-Apfelsaft auf, aber auch – zum Preis von 0 Euro – eine Probefahrt oder das „Erstellen Ihres Wunschfahrzeugs am iPad und Präsentation über die Markenwand“. Das Café ist ein Autohaus der etwas anderen Art: Es ist der erste „Mercedes me Store“.

Dieses Hamburger Pilotprojekt ist Teil eines ganzen Bündels von Maßnahmen, mit denen die Marke Mercedes-Benz auf den Wandel der Kundenwünsche reagieren will. Dazu gehört ein im vergangenen Jahr gestartetes neues Service-Portal ebenso wie ein neuer Onlinekanal über den Neuwagen angeboten werden.

Markenbindung durch Gastronomie und Events

Auch der Internetverkauf wird in der Hansestadt organisiert – von der Hamburger Mercedes-Niederlassung. Die Hafenstadt ist eine Zukunftswerkstatt des Stuttgarter Autobauers für neue Vertriebsformen, zu denen auch „Pop-up-Stores“ gehören: Mercedes-Benz schafft damit einen temporären Markenauftritt – mit Seecontainern – auf Stadtteilfesten.

„Wir müssen näher zu den Kunden kommen“, begründet Matthias Lührs, der in der Autosparte von Daimler weltweit für den Verkauf zuständig ist, diese neuen Vertriebsformen. Gerade junge Leute, so Lührs, kommen weniger in die Mercedes-Autohäuser. Deshalb wolle man ausprobieren, wie ein neues Konzept in der Innenstadt ankomme, das einen unkomplizierten Zugang zur Marke ermögliche. Das sollte kein Verkaufshaus sein, in dem Autos ausgestellt werden, so Lührs, sondern eine Kombination aus Gastronomie mit Veranstaltungen, wo man „digital-affinen Besuchern“ etwas bieten könne, „das cool und hip ist“.

Dazu dient unter anderem eine riesige Bildschirmwand für die virtuelle Präsentation von Automodellen oder ein großer Tisch mit Touchpad-Oberfläche, auf dem Besucher sich über technische Details informieren können. Das eine oder andere richtige Auto ist in dem Gastraum allerdings schon zu sehen. Blickfang neben der schwarzen Bar ist derzeit allerdings kein Wagen aus dem aktuellen Angebot, sondern eine knallgelbe S-Klasse, Baujahr 1963, aus dem Stuttgarter Mercedes-Museum, die einst bei einer großen Spendensammel-Aktion quer durch Australien eingesetzt wurde.

Nur die Verkaufsgespräche finden nicht im Café statt

Der Oldtimer steht für das Thema Reisen, das im April im Hamburger Mercedes-Store im Mittelpunkt der Veranstaltungen steht. Deshalb sind auch die Wände mit historischen Landkarten geschmückt, lehnt ein Eskimoschlitten an der Wand und liegt das Holzskelett eines Kajaks neben einer Sitzgruppe. Im März präsentierte sich der Laden als grüne Nutzpflanzoase, es gab unter anderem Veranstaltungen über vegane Kost, Schokolade und eine „Schnupper-Entdeckungstour“ mit Gewürzen.

„Wir wollen tolle Geschichten erzählen“, erläutert Tobias Müller das Unterhaltungskonzept dieses ungewöhnlichen Etablissements. Der 31-Jährige Chef trägt Turnschuhe wie seine Kollegen, die „viel Fingerspitzengefühl“ brauchen, wie Müller sagt. „Denn sie müssen erspüren, ob ein Gast nur in Ruhe einen Cappuccino trinken oder auch mehr über die Modelle von Mercedes-Benz erfahren will.“

Wer will, kann hier auch ein Auto kaufen. Der Weg dorthin führt über mehrere Stufen. Wer eintritt, wird zunächst von einem „Star Assistant“ empfangen. Wer Interesse an näheren Informationen zum Produktprogramm hat, wird dann nicht von einem normalen Autoverkäufer, sondern von einem sogenannten „Product Concierge“ beraten, in einer Sitzecke, die etwas separiert vom großen Gastraum mit Bar liegt. Für noch intimere Kaufgespräche gibt es einen kleinen Raum mit vier Sesseln und einem großen LED-Bildschirm, der sich mit Glastüren verschließen lässt. In der Wand befinden sich schwarze Schubladen mit Leder- und Lackproben, wo die Besucher den Unterschied der verschiedenen Ausstattungsvarianten ertasten oder sehen können, wie ein Auto in Diamantweiß wirklich aussieht.

Der Absatz neuer Fahrzeuge ist nur ein Kriterium

Auch Probefahrten können vereinbart werden – und dies mit einem besonderen Service. Denn der „Mobile Star“, so die hauseigene Bezeichnung für das neue Berufsprofil, bringt den Vorführwagen je nach Wunsch nach Hause oder zum Arbeitsplatz und holt ihn dann später auch wieder ab.

Aber lohnt sich dieser ganze Aufwand für das Unternehmen? Kann Mercedes-Benz mit all diesen neuen Stores den Absatz wirklich ankurbeln? „Das wissen wir noch nicht“, sagt Lührs frank und frei. „Wir hoffen natürlich, dass es irgendwann mittel- und langfristig zu zusätzlichen Verkäufen führt. Das ist aber nicht das vorrangige Ziel der Stores,“ erläutert der Daimler-Manager. Es handle sich vielmehr um einem Teil einer breit angelegten Marketing- und Vertriebsstrategie bei Mercedes-Benz Cars. „Ziel ist die Öffnung der Marke für neue Kundensegmente und die Ausrichtung auf sich verändernde Kundenwünsche. Wir sind jetzt schon überzeugt, dass wir damit Erfolg haben werden“, sagt der Vertriebsmanager.

Lührs wertet es als Erfolg, dass die Hälfte der Besucher zwischen 20 und 40 Jahre alt ist. „Es war unser Ziel, jüngere Leute an die Marke heranzuführen“. Dies sei gelungen. Zudem seien die Veranstaltungen gut besucht und die Reaktionen sehr positiv.

Der Hamburger Store ist Vorbild für weitere Projekte

Dies zeigt sich auch bei der Lesung von Helena Henneken, die allein als Rucksack-Touristin durch den Iran reiste und nun das aus dieser Reise entstandene Buch gemeinsam mit der iranischen Schauspielerin Neda Rahmanian vorstellt. Nein, sie sei noch nie hier gewesen, meint eine junge Hamburgerin, die auf einem der Sitzwürfel Platz genommen hat. Die Studentin ist durch ein Internet-Portal für kostenlose Veranstaltungen auf diese Lesung aufmerksam geworden und erzählt, dass sie „super“ findet, was Mercedes hier mache.

Obwohl noch die Testphase in Hamburg läuft, gibt es schon Pläne für eine weltweite Expansion, berichtet Lührs. Mercedes-Benz hat in der Vergangenheit bereits 20 besondere City-Showrooms in Metropolen, wie etwa in Berlin „Unter den Linden“ oder in Paris auf den Champs-Elysees. Einige davon sollen Schritt für Schritt nach dem Vorbild des Hamburger Stores umgestaltet werden, andere werden neu eröffnet. Bis zum Ende des Jahrzehnts soll die Anzahl der Markenauftritte von Mercedes-Benz in exklusiven Innenstadtlagen mindestens verdoppelt werden. Der nächste Mercedes me Store wird im Mai in Mailand eröffnet, danach folgen Moskau, Tokio und Hongkong, im Herbst Peking.

Nicht überall werden die Stuttgarter selbst investieren, sagt der Daimler-Manager. So werde etwa der geplante Store in Hongkong in bester Lage von einem Händler finanziert. Der Vertriebsmanager sieht durchaus Chancen, dass sich mit der Zeit weitere Händler engagieren werden. „Wenn sich das bewährt und die Leute glauben daran“, so schwärmt Lührs, „wird es eine Lawine auslösen.“