Kultur: Stefan Kister (kir)

Doch zurück zu Frankreich. Im den Pavillon des Gastlandes fühlt man sich auf den ersten Blick eher in Schweden, beziehungsweise in einem Labyrinth aus Ikea-Regalen. Wo sonst in imaginärem Dämmer landestypische Visionen beschworen werden, erscheint das schöne Nachbarland hier als piranesihaft ausgewucherter Albtraum einer Studentenbude. Mit Büchern vollgestellte Fichtenborde rücken nüchtern alles ins Licht, was eine ins Zentrum gewanderte Bücherpresse seit ihrer Erfindung ausgestoßen hat. Man könnte versuchen, den unaufgeräumten Gesamteindruck dieser zwiesprachig gehaltenen grande Bühne mit französischer Clarté, mit Klarheit zu übersetzen. Dazu müsste man sich aber wohl in dem integrierten Bistro vorab mit einigen Schlückchen französischer spiritueller Leckereien erst in Stimmung bringen.

 

Unveräußerliche Rechte

Hier werden am Abend dieses Eröffnungstages der französische Staatspräsident Emmanuel Macron und die deutsche Bundeskanzlerin die erste Seite der Menschenrechtserklärung auf Gutenbergs Erfindung ausdrucken. Darin sind die natürlichen und unveräußerlichen Rechte wie Freiheit, Eigentum und Widerstand gegen Unterdrückung niedergelegt. Die enormen Sicherheitsmaßnahmen wegen des hohen Besuchs setzen einen Teil dieser Errungenschaften gleich wieder außer Kraft. Mit kaum mehr als den Kleidern auf dem Leib darf man passieren. Symbolpolitik hat ihren Preis.

Wer es in den Festsaal geschafft hat, ohne verhaftet zu werden, erlebt einen Akt, mindestens so glänzend wie eine Kaiserkrönung, in Anwesenheit führender Repräsentanten der Literatur-, Kunst- und Geistesaristokratie beider Länder. Und er erlebt bei allen Freundschaftsbekundungen zwei rhetorische Kulturen, wie sie gegensätzlicher nicht sein können. Was umso mehr auffällt, als beide Politiker in ihren Reden eigentlich dasselbe sagen: dass Europa ohne die engen Beziehungen ihrer Länder nicht existenzfähig sei. Und weil man ja eine Buchmesse eröffnet: wie sehr es der Freiheit der Literatur bedürfe, unser Gewissen wach zu halten.

Die Freude des Zuhörens

Beide versprechen, sich für den für Sprachaustausch einzusetzen, und führen Gewährsmänner für die tiefreichenden Geistesbeziehungen an: der französische Staatspräsident Goethe und den Faust-Übersetzer Nerval; Merkel den Bildhauer Rodin und Rainer Maria Rilke, Friedrich den Großen und Voltaire. Macron freilich tut dies in einer Weise, dass die des Französischen nicht mächtige Bundeskanzlerin von der Freude des Zuhörens schwärmt. Welches entwaffnend ehrliche Bekenntnis wiederum seinen eigenen einnehmenden Charme entfaltet.

Das alles klingt sehr schön, jedes auf seine Weise. Doch in Erinnerung bleiben wird nicht der Inhalt dieser Reden, sondern das wütende Bellen, mit dem der aus dem Libanon stammende francophone Autor Wajdi Mouawad die Schrecken des Bürgerkriegs in seiner Heimat beschwört. Da war sie zu hören die Kraft der Literatur, wie sie die Sphäre der Sonntagsreden aufsprengt, und dem Leiden einen Ausdruck verschafft, der das Fundament der Sprache selbst erschüttert.

Frankreich als Ikea-Regal

Doch zurück zu Frankreich. Im den Pavillon des Gastlandes fühlt man sich auf den ersten Blick eher in Schweden, beziehungsweise in einem Labyrinth aus Ikea-Regalen. Wo sonst in imaginärem Dämmer landestypische Visionen beschworen werden, erscheint das schöne Nachbarland hier als piranesihaft ausgewucherter Albtraum einer Studentenbude. Mit Büchern vollgestellte Fichtenborde rücken nüchtern alles ins Licht, was eine ins Zentrum gewanderte Bücherpresse seit ihrer Erfindung ausgestoßen hat. Man könnte versuchen, den unaufgeräumten Gesamteindruck dieser zwiesprachig gehaltenen grande Bühne mit französischer Clarté, mit Klarheit zu übersetzen. Dazu müsste man sich aber wohl in dem integrierten Bistro vorab mit einigen Schlückchen französischer spiritueller Leckereien erst in Stimmung bringen.

Unveräußerliche Rechte

Hier werden am Abend dieses Eröffnungstages der französische Staatspräsident Emmanuel Macron und die deutsche Bundeskanzlerin die erste Seite der Menschenrechtserklärung auf Gutenbergs Erfindung ausdrucken. Darin sind die natürlichen und unveräußerlichen Rechte wie Freiheit, Eigentum und Widerstand gegen Unterdrückung niedergelegt. Die enormen Sicherheitsmaßnahmen wegen des hohen Besuchs setzen einen Teil dieser Errungenschaften gleich wieder außer Kraft. Mit kaum mehr als den Kleidern auf dem Leib darf man passieren. Symbolpolitik hat ihren Preis.

Wer es in den Festsaal geschafft hat, ohne verhaftet zu werden, erlebt einen Akt, mindestens so glänzend wie eine Kaiserkrönung, in Anwesenheit führender Repräsentanten der Literatur-, Kunst- und Geistesaristokratie beider Länder. Und er erlebt bei allen Freundschaftsbekundungen zwei rhetorische Kulturen, wie sie gegensätzlicher nicht sein können. Was umso mehr auffällt, als beide Politiker in ihren Reden eigentlich dasselbe sagen: dass Europa ohne die engen Beziehungen ihrer Länder nicht existenzfähig sei. Und weil man ja eine Buchmesse eröffnet: wie sehr es der Freiheit der Literatur bedürfe, unser Gewissen wach zu halten.

Die Freude des Zuhörens

Beide versprechen, sich für den für Sprachaustausch einzusetzen, und führen Gewährsmänner für die tiefreichenden Geistesbeziehungen an: der französische Staatspräsident Goethe und den Faust-Übersetzer Nerval; Merkel den Bildhauer Rodin und Rainer Maria Rilke, Friedrich den Großen und Voltaire. Macron freilich tut dies in einer Weise, dass die des Französischen nicht mächtige Bundeskanzlerin von der Freude des Zuhörens schwärmt. Welches entwaffnend ehrliche Bekenntnis wiederum seinen eigenen einnehmenden Charme entfaltet.

Das alles klingt sehr schön, jedes auf seine Weise. Doch in Erinnerung bleiben wird nicht der Inhalt dieser Reden, sondern das wütende Bellen, mit dem der aus dem Libanon stammende francophone Autor Wajdi Mouawad die Schrecken des Bürgerkriegs in seiner Heimat beschwört. Da war sie zu hören die Kraft der Literatur, wie sie die Sphäre der Sonntagsreden aufsprengt, und dem Leiden einen Ausdruck verschafft, der das Fundament der Sprache selbst erschüttert.

Europas Fundament in Gefahr

Einer blieb der Zeremonie fern. Dabei ist der französische Soziologe Didier Eribon einer der Stars der diesjährigen Buchmesse. Seine Abrechnung mit der französischen Klassengesellschaft, „Rückkehr nach Reims“, hat sich allein in Deutschland 90000 mal verkauft. Er weigere sich, der Zeremonie beizuwohnen, während in Frankreich Macrons Arbeitsmarktreformen alles das bedrohten, was zum Fundament einer europäischen Kultur gehöre, schrieb Eribon, der am Freitag auch im Stuttgarter Literaturhaus zu Gast sein wird, in einem Beitrag für die „Süddeutsche Zeitung“.

Als größenwahnsinniger und narzisstischer Präsident, als ein Präsident, der andere Menschen beleidigt und verachtet, liebe es Macron, in schönen Gesprächsrunden zu großen, mystisch-lyrischen Höhenflügen anzusetzen. Das mag von Eribon nicht besonders freundlich sein, ist aber vielleicht der authentischste Ausdruck für den renitenten französischen Geist, den man bei solchen Gelegenheiten so gerne feiert.