Dass so viele Menschen in Deutschland kaum Lesen und Schreiben können, ist ein Skandal. Deshalb ist es gut, dass die Kultusministerin versucht, dem Thema eine gewisse Dynamik zu geben, kommentiert StZ-Autor Reiner Ruf.

Stuttgart - Die im Dunkeln sieht man nicht, heißt es in der Moritat von Mackie Messer in Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“. So verhält es sich auch in der Bildungspolitik mit ihrer Fixierung auf das Gymnasium, insbesondere auf die gymnasiale Oberstufe und deren sich ewig im Kreis drehenden Reform. Dass in Deutschland Millionen von Menschen – mehrheitlich mit Deutsch als Erstsprache – selbst einfache Texte nicht verstehen, spielt in den Debatten kaum eine Rolle. Das liegt auch daran, dass Politiker und Journalisten fast alle aus dem Gymnasium kommen und Analphabeten allenfalls an fernen Küsten vermuten – und dass ganz generell gebildete und wohlhabende Menschen ihre Interessen machtvoller artikulieren und durchsetzen als solche, die abends zu müde und ungeübt sind für das Schreiben von Leserbriefen oder das Verfassen von Petitionen.

 

Deshalb ist es gut, dass Kultusministerin Susanne Eisenmann mehr für Grundbildung und Alphabetisierung tun will und überhaupt versucht, dem Thema eine gewisse Dynamik zu geben. Denn es geht nicht allein um die Erschließung bisher unbeachteter Fachkräftepotenziale. Erst die Fähigkeit des Lesens und Schreibens eröffnet in unserer Gesellschaft die Möglichkeit eines selbst bestimmten Lebens. Da gibt es auch im Südwesten für die Träger der Erwachsenenbildung noch viel zu tun.