Wegen chaotischer Abrechnungspraktiken könnten Teile der Ausgaben für Betreuung doppelt gezählt worden sein. Krankenhäuser und Chefärzte haben haben die Gunst der Stunde genutzt und hohe Rechnungen gestellt.

Stuttgart - Die strukturelle und medizinische Neuordnung des Stuttgarter Klinikums schreitet voran: Am Montag legen Oberbürgermeister Fritz Kuhn und Sozialminister Manne Lucha (beide Grüne) den Grundstein für einen weiteren Neubau auf dem Gelände des Katharinenhospitals. Indes versuchen Stadtverwaltung, Wirtschaftsprüfer sowie Rechts- und Staatsanwälte einer weiteren Großbaustelle im Klinikum Herr zu werden: Ursachen und Folgen der Misswirtschaft bei der Abrechnung von Behandlungen ausländischer Privatpatienten müssen geklärt werden. Es geht um Betrug und Untreue.

 

Arbeitsrechtliche Konsequenzen wurden mit der Kündigung des Leiters der Internationalen Abteilung (IU) und der Direktorin für Controlling und Finanzen gezogen, strafrechtliche könnten dem ehemaligen alleinigen Geschäftsführer drohen. Finanziell werden die Verantwortlichen im Klinikum aber wohl nicht zur Verantwortung gezogen. Den Schaden für die Verluste aus den beiden umstrittenen Verträgen zur Behandlung von 371 libyschen Kriegsversehrten sowie der Entsendung von Stuttgarter Ärzten nach Kuwait – die Rede ist von etwa 20 Millionen Euro im schlechtesten Fall – würde eine Manager-Haftpflichtversicherung begleichen.

Werberichtigungen nicht mehr nötig?

Allerdings müssten dafür auch tatsächlich Verluste nachgewiesen werden, was nach StZ-Informationen zumindest für das Libyen-Geschäft im Rathaus und im Klinikum nach Sichtung aller Unterlagen mittlerweile bezweifelt werden darf. Die in den vergangenen beiden Jahren vorgenommenen Wertberichtigungen in Millionenhöhe könnten unnötig gewesen sein, sollen Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young ermittelt haben. Dieser Umstand kommt für viele im Rathaus überraschend, er wurde von der StZ auf Basis von Kalkulationen und Abrechnungen aber bereits vor Monaten prognostiziert.

Kurzer Rückblick: Zwischen 2013 und 2014 reisten 371, teils schwer traumatisierte Versehrte aus dem libyschen Kriegsgebiet nach Stuttgart, um sich im Klinikum ambulant und stationär versorgen zu lassen. Die Verwaltung des städtischen Eigenbetriebs hatte sich mit der Botschaft geeinigt, nicht nur die medizinische Behandlung zu übernehmen, sondern ausnahmsweise auch dafür zu sorgen, dass die Patienten während ihrer bis zu dreimonatigen Aufenthalte Essen und Taschengeld erhalten, in Hotels wohnen konnten, dass man ihnen die Wäsche reinigt, mit VVS-Tickets versorgt, ihre Visa verlängert und ihnen den Rückflug organisiert. Die personell schwach aufgestellte IU war mit dem „All-inclusive-Service“ schnell überfordert. Zwar übernahm die Betreuung der Libyer ein erfahrener Dienstleister und Dolmetscher, auf eine ordnungsgemäße Buchführung im Klinikum sowie für die Bezahlung der Hotels und der Rückflüge hatte er aber keinen Einfluss. Dort war wild durcheinander gebucht und abgerechnet worden, exakte Zuordnungen etwa der Hotelkosten auf einzelne Patienten waren nicht möglich. Wie auch? Es wurden Zimmerkontingente geblockt, um stets freie Kapazitäten für Neuankömmlinge zu haben. Viele standen deshalb manchmal tagelang leer.

28,4 Millionen Euro Ausgaben prognostiziert

Ende 2015 hatte das Rechnungsprüfungsamt (RPA) in seinem Jahresbericht rund 19 Millionen Euro Einnahmen durch Überweisungen der libyschen Botschaft auf das Klinikum-Konto festgestellt. Für Behandlungen sowie für Kost und Logis seien dagegen Ausgaben von 28,4 Millionen Euro getätigt worden; etwa 15 Millionen Euro für Behandlungen und der Rest für Regiekosten. Bis heute gehen Stadtverwaltung und Gemeinderat deshalb davon aus, der humanitäre Kraftakt habe dem ohnehin defizitären Klinikum 9,4 Millionen Euro Verlust gebracht – denn von den Libyern war der Differenzbetrag nicht mehr zu holen, nachdem in der Heimat der Bürgerkrieg neu entflammt war.

Der Botschafter hätte sich wohl auch gewehrt, denn von einem Minus könne gar keine Rede mehr sein, heißt es im Rathaus hinter vorgehaltener Hand. Das Klinikum hat offenbar den Betreuungsaufwand, der in Wahrheit nur neun statt 13,4 Millionen Euro beträgt, in die Behandlungskosten eingerechnet und als einen Betrag ausgewiesen. Die Verwirrung war wohl so groß, dass bei der Prüfung die Regiekosten noch einmal beziffert, also dann doppelt gezählt wurden. Der Gesamtaufwand fürs Klinikum dürfte deshalb nur bei 19 bis 20 Millionen Euro liegen – das ist ungefähr der Betrag, den die Libyer überwiesen hatten.

500 Euro am Tag für ein Krankenzimmer

Dieser Saldo ist aber wohl nur deshalb so hoch, weil das Klinikum selbst und ihre Chefärzte sowie Partnerkrankenhäuser, an die Patienten mangels freier Betten abgegeben worden waren, keine Chance zur Gewinnmaximierung ausließen. Beispiele gefällig? Der 2,2-fache Satz für Regelleistungen, Einzelzimmer für 500 Euro am Tag, Physiotherapie für 460 Euro am Tag und höchste Sätze für einfache Tätigkeiten. Der drastischste Fall: für eine von Experten auf 3000 Euro taxierte Behandlung stellte eine Heidelberger Privatklinik 45 000 Euro in Rechnung, das Klinikum erhöhte diese dann mithilfe von Betreuungskosten auf rund 270 000 Euro. Damit nicht genug: das Klinikum versäumt es nicht, trotz der hohen Sätze auch die übliche 12,9-prozentige Infrastrukturpauschale für ausländische Patienten draufzusatteln. Pikant: Im speziellen Fall bedeutet das auch 12,9 Prozent auf Kost, Logis und Taschengeld.

Ein Geheimnis wird um die Provisionszahlungen gemacht. Bekannt sind nur die 835 000 Euro an einen libyschen Gesandten sowie 119 000 an den ehemaligen CDU-Parteigranden Hermann-Josef Arentz. Er soll im Auftrag des gekündigten IU-Abteilungsleiters Andreas Braun, beide kennen sich von früher, Patienten in Köln betreut und „Unterstützungsleistungen bei Visa-Angelegenheiten“ erbracht haben. Die Rechnungsprüfer monieren, das könne man nirgends herauslesen. In ihrem Bericht vergaßen sie auch nicht zu erwähnen, dass dies bei Arentz nicht ungewöhnlich sei: 2004 kam heraus, dass der Chef des CDU-Arbeitnehmerflügels 60 000 Euro pro Jahr samt kostenlosem Strom von RWE ohne Gegenleistung erhalten hatte. Damit war die Parteikarriere beendet.